Mario Dobovisek: Am Telefon begrüße ich Christine Landfried, Politikwissenschaftlerin von der Universität Hamburg. Guten Tag, Frau Landfried.
Christine Landfried: Guten Tag, Herr Dobovisek.
Dobovisek: Bei wem sehen Sie die Verantwortung für das Scheitern der Sondierungen? Bei der FDP?
Landfried: Nein. Man kann jetzt nicht eine Partei für das Scheitern verantwortlich machen. Hier saßen vier Parteien am Tisch. Alle haben immer betont, dass es große Gegensätze gibt. Zum Schluss wurde gesagt, das Ganze ist an einem seidenen Faden, ob es etwas wird oder nicht wird. Und ich denke, jetzt kann man nicht eine Partei hier zum Sündenbock machen.
Dobovisek: Was sagt das aus, dass sich diese drei Parteien (oder es sind ja vier eigentlich) nicht einigen konnten? Was sagt das aus über auch die politische Kultur in diesem Land?
"Parteien müssen ein gemeinsames Konzept haben"
Landfried: Das sagt aus, die kleineren Parteien hier am Tisch, die wollten ja doch in unterschiedliche Richtungen gehen, und man sieht, es war zwischen diesen vier Parteien nicht ein großes Thema, das sie hätte zusammenbringen können. Man hat sich ja auch zum Teil in Kleinigkeiten zerstritten. Wenn Parteien eine Koalition machen, dann müssen sie schon ein gemeinsames Konzept haben, und daran hat es offenbar gefehlt. Wir haben ja immer nur von diesem Papier mit den 60 Seiten und den eckigen Klammern gehört und von den zwei, drei strittigen Themen. Aber es ging offenbar immer schon sehr um Details, und was fehlte, war ja, einfach mal zu sagen, das ist aber das Hauptthema dieser Koalition, in diese Richtung wollen wir gehen. Das hat einfach wirklich gefehlt und das braucht eine Regierungskoalition, denn man muss ja für die Zukunft auch handlungsfähig sein. Es können ja Dinge passieren in drei Monaten, die nicht in einer Koalitionsvereinbarung stehen, und insofern, denke ich, war die gesamte Zeit noch offen, ob es wirklich etwas wird.
Dobovisek: Die FDP erhebt ja schwere Vorwürfe gegen die Kanzlerin. Wir haben es vorhin von Volker Wissing gehört. Unstrukturiert, nicht organisiert, ohne Konzept. Ist Angela Merkel als Parteichefin, als Kanzlerin am Ende?
"Merkel ist in ihrer Partei nicht umstritten"
Landfried: Das kann man noch nicht sagen. Wir kennen ja auch nicht, wie das in den Verhandlungen genau lief. Man muss nur sagen, natürlich, sie hatte den Auftrag in allererster Linie, hier die Regierung zu bilden, und das ist gescheitert. Wir beobachten ja schon seit einer ganzen Weile, dass doch die Macht von Angela Merkel am Schwinden war, die ganze Zeit schon. Wir hatten das Wahlergebnis, wir hatten die Auseinandersetzungen mit der CSU und jetzt haben wir dieses Ergebnis dieser Sondierungen, die schiefgegangen sind. Das sind natürlich schon Belastungen. Aber ich denke, innerhalb der Partei ist sie bisher jedenfalls so, dass es nach außen dringt, nicht umstritten, und es wäre ja auch die große Frage, wer wäre hier Nachfolgerin oder Nachfolger.
Dobovisek: Bei Horst Seehofer in Bayern sieht das ein bisschen anders aus. – Schauen wir voraus. Um 14:30 Uhr, in gut einer Stunde also, will sich Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zum Scheitern der Sondierungen erklären, will sich äußern. Was erwarten Sie von ihm?
"Ein Traum ist eine Minderheitsregierung nicht"
Landfried: Ich erwarte jetzt: Er wird natürlich zur Besonnenheit jetzt erst mal raten. Wir sollten jetzt nicht in Panik und irgendwelche schnellen Lösungen verfallen. Er wird jetzt sicher erst mal sagen, wir haben jetzt erst mal eine geschäftsführende Regierung, und dann wäre die eine Möglichkeit die Minderheitsregierung. Das wird er sicher erwähnen, denn da wäre er ein wichtiger Akteur. Denn wenn wir eine Minderheitsregierung haben, ist es ja der Herr Bundespräsident, der am Ende dann sagt, jetzt ernenne ich in dem dritten Wahlgang eine Bundeskanzlerin, die nur die meisten Stimmen bekommen hat.
Dobovisek: Wäre eine Minderheitsregierung aus Ihrer Sicht sinnvoll in dieser Situation?
Landfried: Ich finde, es wäre keine Katastrophe, aber es wäre natürlich keine stabile Regierung. Wir sind ja doch eher stabile Regierungen gewöhnt und wir haben international sehr viele Krisen zu bewältigen im Moment. Wünschenswert ist das natürlich nicht. Ein Traum ist eine solche Minderheitsregierung nicht, aber auch keine Katastrophe. Die Alternative mit Neuwahlen, da können wir ja auch noch nicht vorhersagen, wie das ausgeht. Die Wahrscheinlichkeit ist ja groß, dass das nicht so sehr unterschiedlich ist wie beim letzten Mal, und dann wären wir in genau der gleichen problematischen Lage.
Dobovisek: Die AfD reklamiert das gegenwärtige Politchaos für sich. Alexander Gauland sagt: "Ich sehe, dass wir wirken." Könnte die AfD bei möglichen Neuwahlen am Ende profitieren?
"Neuwahlen würden im Grunde nicht sehr viel verändern"
Landfried: Sie könnte etwas profitieren, weil man natürlich sagen kann, die etablierten Parteien haben hier nicht mal eine solche Koalition zusammengebracht. Meine Einschätzung wäre aber doch, dass sie nicht sehr viel davon profitieren würde und dass der Ausgang solcher Neuwahlen im Grunde nicht sehr viel verändern würde in dieser ganzen kurzen Zeit. Es war ja zwischen der letzten Wahl und Neuwahlen kein großer Zeitraum. Ich denke, so vieles würde sich nicht verändern, trotz dieser gescheiterten Sondierungen und trotz der Möglichkeit, dass vielleicht manche Wähler hier einige Parteien bestrafen wollen. Aber ich denke, im Endeffekt würde sich so viel nicht ändern.
Dobovisek: Normalerweise sieht man in solchen festgefahrenen politischen Situationen immer Gewinner und Verlierer. Gewinner kann ich jetzt kaum ausmachen. Ich sehe nur Verlierer. Geht es Ihnen da anders?
Landfried: Gewinner kann man überhaupt nicht ausmachen. Wer verliert, ist die Regierungsfähigkeit der Bundesrepublik. Es ist ja im Moment so: Wir haben die geschäftsführende Regierung, aber das kann ja nun kein Dauerzustand werden. Insofern: Es gibt keine Gewinner. Es gibt hier Verlierer und es muss jetzt wirklich ein guter Weg aus dieser Situation gezogen werden und man muss erst mal abwarten, was der Bundespräsident heute Nachmittag sagt.
Dobovisek: Müsste sich die SPD bewegen, die ja eine Große Koalition weiter vehement ablehnt?
"Die SPD sollte sich Gesprächen nicht entziehen"
Landfried: Sie müsste wenigstens zu Gesprächen bereit sein. Die Reaktion der SPD, dass sie gesagt hat, die Große Koalition ist abgewählt und wir gehen in die Opposition, die ist gut nachvollziehbar. Nun sind aber Sondierungen gescheitert. Nun ist wieder eine neue Lage. Und ich denke, die SPD wäre gut beraten, wenn sie sich jetzt nicht auch noch Gesprächen entzieht.
Dobovisek: Christine Landfried, Politikwissenschaftlerin von der Universität in Hamburg. Vielen Dank für das Gespräch.
Landfried: Auf Wiederhören!
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