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Polizei in Deutschland
"Man sollte die Situation nicht dramatisieren"

Der Sicherheitsexperte Hans-Gerd Jaschke hält die Polizei in Deutschland derzeit nicht generell für überfordert. Zwar sei es wegen der aktuellen Lage sinnvoll, das Personal aufzustocken, sagte er im DLF. Man solle die Situation aber auch nicht dramatisieren.

Hans-Gerd Jaschke im Gespräch mit Martin Zagatta |
    Bundespolizisten gehen Streife im Hauptbahnhof München am 18.11.2015.
    Wegen neuer Problemfelder wie etwa Grenzkontrollen sei die Einstellung neuer Polizisten richtig, sagt der Polizeiexperte Hans-Gerd Jaschke. (picture alliance / dpa / Matthias Balk)
    Der Polizei- und Sicherheitsexperte an der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin sagte im Deutschlandfunk, man müsse differenzieren. Die Bundespolizei sei wegen ihres Einsatzes an den Grenzen zu Österreich vermutlich wirklich unterbesetzt. Anders bei der Landespolizei: Dort seien Anfang der 2000er Jahre unter anderem deshalb Stellen abgebaut worden, weil es Überkapazitäten gegeben habe. "Unter dem Strich" unterstützt Jaschke jedoch die Forderung der Polizeigewerkschaften, neue Beamte einzustellen. Das Problem: Geeignete Bewerber seien schwer zu finden.

    Martin Zagatta: Die deutsche Polizei steht seit den Übergriffen der Silvesternacht gewaltig in der Kritik, sie habe sich viel zu passiv verhalten, die Angriffe auf Frauen verharmlost und verschwiegen, dass es sich bei den Tatverdächtigen fast ausnahmslos um Nordafrikaner handelt. Seitdem schieben sich Politik und Polizei den schwarzen Peter zu, und dazu passt jetzt auch die jüngste Auseinandersetzung: Die Bundespolizei, das heißt Polizeigewerkschafter, sprechen von einer Überforderung, die vom Innenminister angeordnete Verlängerung der Grenzkontrollen sei kaum noch zu stemmen. Einschätzen kann uns das Professor Hans-Gerd Jaschke, Polizei- und Sicherheitsexperte an der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin. Guten Morgen, Herr Jaschke!
    Hans-Gerd Jaschke: Guten Morgen, Herr Zagatta!
    Zagatta: Herr Jaschke, die Polizei hält sich mit den Grenzkontrollen für überfordert, das Innenministerium widerspricht da umgehend und sagt, das ist machbar, und die Klagen der Polizei, das sei eben Gewerkschaftspolitik. Aus Ihrer Sicht: Ist die Polizei tatsächlich so unterbesetzt, wie die Gewerkschaften das jetzt beklagen?
    "Die Einstellung von neuen Polizeibeamten ist richtig"
    Jaschke: Nun, man muss hier sehr genau hingucken: Was die Bundespolizei angeht mit ihrem Einsatz an den Grenzen zu Österreich, ist dieses Bild vermutlich richtig, aber was die Länderpolizeien angeht von 16 Bundesländern, muss man es etwas anders sehen. Es hat Stellenabbau gegeben Anfang der 2000er-Jahre, allerdings waren das damals Anpassungen an die Erfordernisse der Länderhaushalte und auch teilweise Überbesetzungen. Nehmen wir mal das Beispiel Berlin, dort ist in Anfang der 2000er-Jahre die Zahl der Polizeibeamten von 18.000 zurückgefahren auf 16.000, weil man im Städtevergleich zu dem Ergebnis gekommen ist, dass die Polizei überbesetzt ist. Das heißt, unter dem Strich bin ich der Auffassung, in der Tat, wir haben neue Problemfelder wie zum Beispiel die Grenzsituation, auch andere wie zum Beispiel Terrorismus, sodass man sagen kann, die Einstellung von neuen Polizeibeamten ist richtig, allerdings sollte man die Situation auch nicht dramatisieren.
    Der Polizeiexperte Hans-Gerd Jaschke
    Der Polizeiexperte Hans-Gerd Jaschke (picture alliance / dpa / Arne Meyer)
    Zagatta: Wieso geht die Bundespolizei beziehungsweise der Innenminister dann nicht auf das Angebot der bayrischen Staatsregierung ein, die Landespolizei zur Unterstützung an den Grenzen einzusetzen? Was steht dem entgegen?
    Jaschke: Dem stehen rechtliche Gründe entgegen: Die Aufgabe der Bundespolizei besteht darin, die Grenzen zu sichern...
    Zagatta: Das kann man nicht lösen?
    Jaschke: Bitte?
    Zagatta: Und das kann man nicht lösen?
    Jaschke: Nein, man müsste die Gesetze ändern, und davor scheut man zurück, weil es eine Bundesaufgabe ist, die Grenze sind keine Länderaufgabe, sondern Bundesaufgabe.
    Zagatta: Nun hat ja selbst das rot-grün regierte Nordrhein-Westfalen Neueinstellungen angekündigt, zusätzliche Polizisten – bewirken die Übergriffe der Silvesternacht da jetzt ein völliges Umdenken?
    "Es wird ein Umdenken geben"
    Jaschke: Ich denke, es wird ein Umdenken geben, in der Tat, allerdings ist das wesentlich motiviert auch dadurch, dass die Öffentlichkeit kritisiert und dass man hier die Öffentlichkeit beruhigen will, denn, schauen Sie, neue Polizeibeamte einstellen dauert drei Jahre, der gehobene Dienst, die Kommissarsanwärter, brauchen eine Ausbildungszeit von drei Jahren. Man kann nicht ohne Weiteres neue Polizeibeamte einstellen und in den Dienst stellen, das dauert. Es kommt hinzu, dass die geeigneten Bewerber nicht auf der Straße zu finden sind, das heißt, wir haben sehr viele Bewerber für den Polizeidienst, aber sehr wenige geeignete Bewerber, die den Einstellungstest auch bestehen, die den Sporttest bestehen, den Sprachtest und so weiter. Insofern ist es gar nicht so einfach die Zahl der Polizeibeamten zu erhöhen. Es sei denn, man fragt Pensionäre, ob sie wieder Dienst verrichten wollen, und das passiert ja auch teilweise.
    Zagatta: Mit dem Abstand jetzt von drei Wochen – ist Ihnen den klar, warum die Angriffe auf Frauen in der Silvesternacht zunächst so verharmlost worden sind, und warum wurde verschwiegen, dass nahezu alle Tatverdächtigen Nordafrikaner sind? Da schieben sich Polizei und Politik ja die Verantwortung gegenseitig zu. Ist Ihnen klar, was da passiert ist?
    Jaschke: Nun, ich vermute mal, dass der erste Fehler der Polizei darin bestand, dass man in den Tagen zuvor ein falsches Lagebild gezeichnet hat. Man ist davon ausgegangen, Silvester auf der Kölner Domplatte hatten wir schon mal im letzten Jahr, was gab es da, und man hat ein Lagebild gezeichnet, was ähnlich war zu den zurückliegenden Jahren. Das war ein Fehler, man hat nicht gesehen, dass dort offensichtlich ein größerer Teil von Nordafrikanern oder Männern überhaupt sich versammeln würde. Ob man das hätte wissen können, ist eine Frage, die zu klären sein wird. Das ist eine der wesentlichen Fragen. Das Lagebild war aber offensichtlich falsch. Zweiter Punkt: Man hat dann offenbar bei den Geschehnissen selber nicht richtig eingeschätzt, was dort überhaupt passiert. Drittens, das Kommunikationsverhalten der Kölner Polizei ist grundsätzlich skandalös gewesen, der Polizeibericht um sechs Uhr morgens am 1. Januar dieses Jahres wies noch darauf hin, dass es keine besonderen Vorkommnisse gegeben hat, und in den Tagen darauf ist in der Tat, und da haben Sie recht, mehr oder weniger verschwiegen worden, dass es sich um Nordafrikaner handelt. Nun muss man natürlich überlegen, ähnlich wie beim Pressekodex, ob bei jeder Straftat die ethnische Zugehörigkeit genannt werden muss. Hier ist allerdings zu berücksichtigen, dass man natürlich auch die ethnische Gruppe insgesamt schützen muss, wenn einzelne aus dieser Gruppe Straftaten begehen, das wird auch noch, denke ich, genau zu klären sein, ob die Kölner Polizei hier richtig gehandelt hat.
    Zagatta: In Köln liegen ja jetzt, also das ist die jüngste Zahl, mehr als 800 Anzeigen vor, es gibt wohl, was man hört, aber konkret nur relativ wenige Tatverdächtige. Glauben Sie, dass es überhaupt zu Verurteilungen kommen wird?
    "Sehr schwierig, einzelne Täter zu überführen"
    Jaschke: Ich bin da relativ skeptisch, weil man natürlich an die Beweissicherung denken muss. Es muss hier klare Beweise geben gegen einzelne Tatverdächtige, und wenn man sich die Tatbegehungsumstände genauer anschaut, Dunkelheit, auch eine sehr schnelle zeitliche Abfolge des Ganzen, dann wird es vermutlich sehr schwierig sein, einzelne Täter beweissicher zu überführen. Ob das möglich sein wird, weiß ich nicht, ich bin aber skeptisch.
    Zagatta: Da wird ja immer schnell nach neuen Gesetzen gerufen, dass man die dann bräuchte. Sind die aus Ihrer Sicht da notwendig oder reichen die bestehenden aus?
    Jaschke: Ich denke, die bestehenden Gesetze reichen völlig aus. Der Ruf nach neuen Gesetzen erfolgt sehr häufig ritualhaft, um das Publikum sozusagen zu beruhigen. Ich denke, die bestehenden Gesetze reichen aus.
    Zagatta: Aber wie groß ist denn dann der Vertrauensverlust, den die Polizei beziehungsweise der Staat erlitten hat in dieser Silvesternacht? Das wird ja jetzt noch verstärkt, wenn dann niemand zur Rechenschaft gezogen werden kann.
    "Das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung hat nachgelassen"
    Jaschke: Richtig ist, dass die Verunsicherung in der Bevölkerung gewachsen ist. Es gibt Umfragen vor dem 1. Januar, die zeigen, dass das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung nachgelassen hat. Das hat allerdings nicht nur polizeiliche Ursachen, sondern auch darüber hinausgehende, die zu tun haben mit dem Flüchtlingsstrom insgesamt, mit dem Terrorismus, mit den unsicheren Faktoren in der weltpolitischen Lage. Man könnte sagen, wir leben in sehr unsicheren Zeiten, die Polizei ist nur ein Faktor davon - und das Unsicherheitsgefühl gegenüber möglichen Straftaten. Insgesamt bleibt die Polizei aber aufgefordert ihre Arbeit zu kontrollieren, zu verbessern und weiterzuentwickeln.
    Zagatta: Sagt Professor Hans-Gerd Jaschke, Polizei- und Sicherheitsexperte an der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin. Herr Jaschke, ich bedanke mich für das Gespräch!
    Jaschke: Bitte schön!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.