38 Jahre lang war Martin Herrnkind Polizist. Die Frage nach dem Rassismus in den eigenen Reihen sei lange Zeit kein Thema in seinem Arbeitsalltag gewesen. Ab Mitte der 1990er-Jahre habe sich das verändert, sagt Herrnkind.
"…als der Druck auf die Polizei wuchs, der politische Druck. Und die Polizei dann mit einer gewissen Verzögerung angefangen hat, zu reagieren darauf."
Heute ist Herrnkind Dozent an der Schleswig-Holsteinischen Fachhochschule für Verwaltung und Dienstleistung. Und ehrenamtliches Mitglied in der Arbeitsgruppe "Polizei und Menschenrechte" von Amnesty International.
Die Nichtregierungsorganisation hat schon früh gefordert, unabhängige Stellen zu schaffen. Um Bürger*innen – und auch den Beamt*innen - die Möglichkeit zu geben, rassistische Erfahrungen mit der Polizei zu melden.
"Das Thema ist tabuisiert"
Schleswig-Holstein war das zweite Bundesland, das nach Rheinland-Pfalz 2016 das Amt einer Landespolizeibeauftragten schuf. Amnesty-Mitglied Herrnkind glaubt allerdings, dass es nur bedingt Polizist*innen ermutigt, Rassismus in den eigenen Reihen zu melden.
"Weil das eben ein sehr tabuisiertes Thema ist, ein heikles Thema ist, und man sich zwar anonym an die Polizeibeauftragte wenden kann oder vertraulich Gespräche führen kann und vertrauliche Gespräche führen kann. Aber vielleicht müssen wir dieser Institution auch noch ein paar Jahre Wirkchancen geben um zu sehen, wie sich das in der Praxis einspielt…"
Die Grünen hatten das Amt der Landespolizeibeauftragten 2015 in Kiel angeregt. Die Polizeigewerkschaften waren skeptisch, auch die CDU wollte von dem Posten nichts wissen. Daniel Günther, CDU, der heute auch dank der Grünen Ministerpräsident ist, versprach im Wahlkampf 2017, das Amt wieder abzuschaffen.
Erster Tätigkeitsbericht in wenigen Tagen
Doch das ist nicht passiert. Inzwischen macht Samiah El Samadoni ihre Arbeit als Beauftragte für die Landespolizei Schleswig-Holstein schon seit vier Jahren.
In einem unscheinbaren dunkelrosa Zweckbau gegenüber des Kieler Landtags haben sie und ihre Mitarbeiter*innen ihre Büros. Und alle Hände voll zu tun.
"Wenn ich auf die ersten zwei Jahre gucke - wir stellen jetzt nächste Woche den ersten Tätigkeitsbericht vor - dann haben wir insgesamt 396 Vorgänge bearbeitet in diesem Zeitraum. Und knapp drei Viertel davon kamen tatsächlich aus dem Bereich der Polizei selber. Das war so nicht unsere Erwartung, und ich glaube, auch nicht die Erwartung der Politik."
Um Rassismus sei es nicht gegangen
Offenbar wird die Einrichtung trotz aller anfänglichen Kritik von der Polizei angenommen – sogar deutlich stärker als von den Bürger*innen. Zwischen 2016 und 2018 gab es bei den Beamt*innen vor allem Redebedarf über das interne Kommunikationsverhalten und Konflikte mit den Vorgesetzen. Doch um Rassismus sei es nicht gegangen, sagt El Samadoni. Auf Bürger*innenseite sieht es kaum anders aus.
"Es gab zwei Bürger*innen-Beschwerden, bei denen ich sagen würde, da spielte es am Rande eine Rolle."
Stattdessen beschwerten sich Bürger*innen immer wieder über den Tonfall der Beamt*innen bei Verkehrskontrollen. Oder sie hätten den Eindruck, dass Strafanzeigen zu langsam bearbeitet werden.
Deutlich mehr Beschwerden über Rassismus erhält Samiah El Samadoni als Leiterin der Schleswig-Holsteinischen Anti-Diskriminierungsstelle, die die Juristin ebenfalls innehat. Betroffene berichten dort, wegen ihrer Hautfarbe keine Wohnung oder keinen Einlass in die Disco zu bekommen. Doch Beschwerden über die Arbeit der Polizei gebe es keine.
"Es braucht eine wissenschaftliche Untersuchung"
Möglicherweise hat die Schleswig-Holsteinische Polizei auch dazugelernt. Noch im Sommer 2016 wurde mehreren Polizeianwärtern an der Polizeischule in Eutin sexistisches und rassistisches Verhalten vorgeworfen. Die Schulführung wurde gewechselt, auch der Lehrplan überarbeitet. Erst vor wenigen Monaten bekam die Einrichtung in Eutin eine Auszeichnung als "Schule ohne Rassismus, Schule mit Courage".
Trotzdem ist der Landespolizeibeauftragten bewusst, dass immer noch Klarheit über das Ausmaß an Rassismus bei den Beamt*innen insgesamt fehlt.
"Also, ich glaube, Aufschluss über eine Dunkelziffer kann letztendlich nur eine echte, wissenschaftliche Untersuchung geben. Das wäre mir auch ein Anliegen, dass man das durchaus mal untersucht und klärt. Dann wissen wir nämlich auch, worüber wir reden. Zum jetzigen Zeitpunkt kann ich aber nur sagen, dass es natürlich mein Wunsch wäre, dass es bei den Bürger*innen bekannter wird, dass es hier diese Ansprechstelle gibt. Und das mag mit ein Grund sein - aber da kann ich letztlich nur mutmaßen."
Nach Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein hat 2017 auch Baden-Württemberg die Stelle einer Polizeibeauftragten geschaffen.
Sind die Beschwerdestellen überhaupt erreichbar?
Doch die Arbeit der Einrichtungen sei insgesamt noch sehr wenig erforscht, sagt der Hamburger Polizeisoziologe Rafael Behr. Dass der Landespolizeibeauftragten in Schleswig-Holstein zwischen 2016 und 2018 gerade mal zwei Fälle mit Rassismus-Verdacht gemeldet worden seien, wundert ihn nicht.
"Es deutet eher daraufhin, dass die Beschwerdestelle so weit weg von den Beschwerdeführern ist oder von den Betroffenen, dass sie nicht aktiviert wurde."
Grundsätzlich sei es gut, wenn Bundesländer das Amt einer Polizeibeauftragten schüfen, sagt Behr. Doch oftmals hätten gerade die von Rassismus Betroffenen Probleme mit der deutschen Sprache oder würden sich nur wenig mit Behörden auskennen.
"Also, es ist überhaupt nicht rückzuschließen, dass das Problem nicht existiert. Sondern es ist mehr danach zu fragen, wie sind denn die Verständigungs-/ Kommunikationserreichbarkeiten gestaltet, sind sie so barrierefrei oder barrierearm, dass sie tatsächlich für alle Menschen gleichermaßen zugänglich sind."
Gewerkschafter: Fälle ja, aber kein strukturelles Problem
"Ich möchte nicht sagen, dass wir keinen Rassismus in der Landespolizei Schleswig-Holstein haben…"
Sven Neumann ist stellvertretender Landesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei.
"Wir sind Teil der Gesellschaft, in der Gesellschaft ist Rassismus immer wieder ein Thema. Und ich glaube, dass wir auch Fälle in der Landespolizei haben."
Doch dieser Rassismus sei nicht strukturell, ist Neumann überzeugt. Wenn Fälle bekannt würden, würden sie eben nicht immer den Weg über den Schreibtisch der Polizeibeauftragten nehmen. Neumann vertraut weiterhin vor allem auf Landespolizei und Staatsanwaltschaft, die rassistischen Vorwürfen gegen Polizeibeamt*innen nachgehen.
Das Schleswig-Holsteinische Landespolizeiamt nennt auf Deutschlandfunk-Anfrage Zahlen zu den rassistischen Verdachtsfällen. 2016 seien es drei gewesen, 2017 zwei, 2018 drei und 2019 vier Verdachtsfälle von Verhaltensweisen, die als fremdenfeindlich, rassistisch oder rechtsextremistisch motiviert eingestuft wurden.
Die niedrigen Zahlen aus Schleswig-Holstein könnten nahelegen, dass vieles richtig läuft bei den Menschen, die das staatliche Gewaltmonopol ausüben. Oder - dass weiterhin sehr viel nicht gesehen wird.