"Die Polizei gibt ja selbst Meldungen heraus, wo sie berichten, was auf der Straße passiert ist. Und insbesondere haben wir uns über einen Fall sehr aufgeregt, es war eine Meldung von der ‚Neuen Westfälischen‘, die hatten getitelt: ‚Radfahrerin kracht ohne Helm gegen Auto‘. Und was wirklich passiert war, war, dass die Autofahrerin der Radfahrerin die Vorfahrt genommen hat", erklärt Stephanie Krone, die Pressesprecherin des Allgemeinen Deutschen Fahrrad Clubs, ADFC.
In dem konkreten Fall allerdings hatte die fragwürdige Überschrift der "Neuen Westfälischen" mit der Polizeimeldung nichts zu tun. Die Polizei in Gütersloh – dort war der Unfall passiert, titelte lediglich: "77-jährige Fahrradfahrerin bei Unfall schwer verletzt", Stunden, nachdem die Zeitung bereits online berichtet hatte. Der Verkehrsreporter Thorsten Hess war vor Ort gewesen und hatte die Redaktion telefonisch informiert. Text und die fragwürdige Überschrift entstanden dann ohne ihn in der Redaktion, erinnert er sich heute. Nach massiver Kritik änderte die Zeitung ihre Überschrift am nächsten Tag in "Autofahrer übersieht Radfahrerin".
Eine Überschrift, die den Unfall also nicht richtig wiedergibt, von einer Redaktion verfasst. Trotzdem, Unfallmeldungen in Zeitungen basieren fast immer auf denen von Polizeidienststellen. Und die formulieren häufig einseitig, findet ADFC-Sprecherin Krone. "Die Polizeimeldungen sind ganz oft so geschrieben und formuliert, dass man das Gefühl hat, hier ist überhaupt keine Person im Auto. Also da heißt es dann, Radfahrerin von Pkw erfasst, als ob da ein Pkw auf der Straße unterwegs ist, der einen Menschen erfasst. Der Junge geriet unter einen LKW."
"Unterbewusst die Sicht des Autofahrers widerspiegeln"
Tatsächlich sei auch ihm aufgefallen, dass Polizeimeldungen häufig eine verharmlosende Sprache verwenden, meint Stefan Jacobs, der beim Berliner "Tagesspiegel" seit Jahren über Verkehrsthemen berichtet. "Ich glaube, dass es daran liegt, dass einfach diese Meldungen tatsächlich geschrieben werden von Leuten, die Jahre ihres Lebens im Streifenwagen verbracht haben, d. h. denen einfach die Autofahrerperspektive die vertrauteste ist."
Und das führe offenbar dazu, glaubt Stefan Jacobs, dass die polizeilichen Unfallberichte häufig unterbewusst die Sicht des Autofahrers widerspiegeln. "Krasse Dinge gab es, die hatte ich ja mal gesammelt für den ‚Tagesspiegel‘, beispielsweise, dass eben stand, dass ein Linksabbieger ein Ehepaar übersehen hat. Dieses Ehepaar hatte Vorrang, und dieser Linksabbieger hatte nicht mal einen Führerschein."
Dabei sind die Zahlen der Verletzten und Getöteten im Straßenverkehr seit Jahren massiv rückläufig. Nur nicht bei Radfahrerinnen und Radfahrern betont Stephanie Krone vom ADFC. "Die Zahl der verunglückten Autofahrer geht seit Jahrzehnten zurück. Der Radverkehr ist die einzige Verkehrsart, die sich gegen den Trend negativ entwickelt."
Polizei will Vorverurteilungen vermeiden
Dass die Polizei ihre Meldungen recht vage formuliert, liege daran, dass man keine frühzeitigen Vorverurteilungen vornehmen wolle, erklärt Anja Dierschke, die Leiterin der Pressestelle der Berliner Polizei. "Wir als Polizei Berlin, und nur für die kann ich sprechen, erfassen all das, was wir aus den ersten Informationen haben, was auf neutralem Boden steht in unserer Meldung. Schuldfragen werden nur dann mit hineingenommen, wenn sie tatsächlich ganz klar sind."
Natürlich müsste die Polizei neutral bleiben, aber trotzdem den Sachverhalt konkret beschreiben, fordert Stephanie Krone. "Das bedeutet, wenn ich so eine Meldung auf dem Tisch habe, dann muss ich sehen können, hier handelt eine Person im Auto, und das fängt damit an, dass man eine Person benennt, also die Autofahrerin oder den Autofahrer, und da einen Aktivsatz daraus baut."
Früher Meldungen ohne eigene Recherchen übernommen
Auch Stefan Jacobs sieht viele Begriffe der Polizeimeldungen als irreführend an. Wie zum Beispiel: "touchiert". Wenn Rad- und Autofahrer kollidieren, heißt das häufig in Polizeiberichten, der Autofahrer habe den Radfahrer "touchiert". "Aber touchiert klingt ja dann doch irgendwie so etwas flauschig und wird also der Brutalität, die da passiert, nicht gerecht, ich würde sagen: gerammt. Vielleicht rammen sich nicht Fußgänger, aber mindestens, wenn Kraftfahrzeuge involviert sind, wird gerammt."
Bei tödlichen Unfällen übernahmen die Redaktionen früher fast immer die Polizeimeldungen ohne eigene Recherchen, erinnert sich der Journalist vom "Tagesspiegel". Das habe sich gänzlich geändert. Bei schweren Unfällen verlasse man sich längst nicht mehr nur auf die Pressemeldungen der Polizei. "Da ist auch ein paar Stunden lang gesperrt, weil dann erst mal alles digital vermessen und mit Drohne dokumentiert wird und so. Also da guckt nach Möglichkeit schon jemand an der Unfallstelle vorbei."
Das rät auch die Pressesprecherin des ADFC den Journalistinnen und Journalisten: zumindest bei schweren Unfällen sich selber vor Ort ein Bild machen und nachrecherchieren.