Aus Protest gegen die Neuregelung des Infektionsschutzgesetzes sind in Berlin am Mittwoch (18.11.2020) Tausende Menschen auf die Straße gegangen. Viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer missachteten die Auflagen für Masken und Abstand. Es kam zu gewaltsamen Auseinandersetzungen mit der Polizei. Die Polizei setzte Wasserwerfer ein, um die Kundgebung aufzulösen. Der stellvertretende Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Jörg Radek, sagte im Deutschlandfunk, dem Veranstalter gehe es ausschließlich um Provokation. Das müsse auch bei den Gerichten in die Entscheidung einfließen, ob solche Veranstaltungen zugelassen werden.
Niklas Potthoff: Herr Radek, welche Bilanz ziehen Sie denn nach diesem ereignisreichen Tag?
Jörg Radek: Zunächst einmal bin ich sehr dankbar, wie die Berliner Polizei mit den Unterstützungskräften aus anderen Ländern und von der Bundespolizei diese, sehr komplizierte Lage, die der Veranstalter zu verantworten hat, gemeistert hat. Meine Gedanken sind natürlich auch bei den verletzten Kolleginnen und Kollegen. Aber wir haben da als Polizei gezeigt, wie professionell wir so eine Lage bewältigen können und mit wieviel Fingerspitzengefühl, mit wieviel Sensibilität und Empathie solch eine Lage bewältigt werden kann.
"Veranstalter hat nicht vorgehabt, sich an Auflagen zu halten"
Potthoff: Man hat jetzt auch Bilder gesehen, die auch andere Sachen mutmaßen lassen, wenn man sieht, Wasserwerfer wurden eingesetzt, Pfefferspray, Hunde, fast 200 vorläufige Festnahmen. Was hat denn Ihrer Meinung nach das Ausmaß dieses Polizeieinsatzes gerechtfertigt?
Radek: Gerechtfertigt ist dieser Einsatz durch das Verhalten des Veranstalters, der eine Veranstaltung anmeldet – das haben wir häufiger schon in diesem Jahr gehabt – als eine Provokation entweder zu einem historischen Datum, an einem historischen Ort. Nun ist das Brandenburger Tor immer auch für Veranstalter ein interessanter Ort. Aber auch in der Art und Weise, wie der Veranstalter vorgeht. Er hat ja gar nicht vorgehabt, sich an die Vorlagen zu halten. Das heißt, Tragen von Masken, Einhalten von Abstandsgeboten, die sind vorsätzlich unterlaufen worden. Und da war es nur richtig und konsequent, dass diese Versammlung aufgelöst wurde und dass diese Auflösung auch konsequent umgesetzt wurde.
"Sensibler" Wasserwerfereinsatz
Potthoff: Sie haben es schon angesprochen: Das gab es in den letzten Wochen immer wieder, diese Demonstrationen, wo man schon damit gerechnet hat, dass hier gegen die Auflagen verstoßen wird. Hätte man unter diesen Vorzeichen die Demonstration heute überhaupt genehmigen dürfen?
Radek: Der Genehmigungsvorbehalt bei Versammlungen ist gekennzeichnet, dass die Polizei zunächst erst mal die Versammlungsfreiheit durchsetzen soll. Im Rahmen der Versammlungsfreiheit soll es möglich gemacht werden, seine Meinung darzustellen. Darum geht es diesem Veranstalter aber gar nicht. Dieser Veranstalter möchte provozieren und diese Provokationen, die müssen mittlerweile auch bei den Behörden, bei den Gerichten, die das zu bewerten haben, mit einfließen in eine Bewertung. Wir haben hier einen Veranstalter, der bewusst beispielsweise auch Kinder in die Versammlung mitnimmt, und wir als Polizei reagieren dann sehr sensibel darauf, dass der Wasserwerfereinsatz eben nicht so erfolgte, wie er provoziert werden sollte, sondern dass wir einen Wasserregen eingesetzt haben und keine Wasserstöße. Das heißt: Dieser Veranstalter will provozieren und will diesen Staat herausfordern, nicht im Übrigen nur die Polizei, sondern auch die Behörden und die Gerichte, denn der Rechtsstaat wird nicht nur alleine von der Polizei repräsentiert.
"Provokation mit dem Kindeswohl"
Potthoff: Sie sprechen einen wichtigen Punkt an mit den mitgebrachten Kindern, dass die Wasserwerfer heute auch deswegen nicht auf die Demonstranten gezielt haben. Die Strategie war ja eher, sie zu nerven. Grund waren ja diese mitgebrachten Kinder in den vorderen Reihen. Kann man verhindern, dass wenigstens diese Kinder sich auf Demonstrationen befinden, von denen man das Gefahrenpotenzial inzwischen ja wirklich kennt?
Radek: Hier sind zunächst erst mal die Erziehungsberechtigten gefordert. Wenn die Aufrufe, die ich im Netz gelesen habe, keine Fake News sind, wurden bewusst Kinder mitgenommen, um den Polizeieinsatz zu erschweren. Es sind da Aufrufe gelaufen wie "dort wo die roten Herzen als Luftballons sind, sind Kinder, und dort werden die Wasserwerfer nicht eingesetzt werden." – Sie merken also, dass hier auch bewusst mit dem Kindeswohl eine Provokation der Sicherheitskräfte einhergeht, und ich glaube, da müssen wir insgesamt, nicht nur die Genehmigungsbehörden, nicht nur die Polizei, sondern die gesamte Gesellschaft muss sich mit diesem Veranstalter auseinandersetzen, und zunächst erst mal muss sein Verhalten geächtet werden und dann müssen diese Verläufe auch genau ausgewertet werden.
"Aus den Querdenken-Einsätzen gelernt"
Potthoff: Wie schon angesprochen gab es in den letzten Wochen ja mehrere Demonstrationen, vor einer Woche zum Beispiel erst die Demonstration in Leipzig. Damals hatte es starke Kritik an der Polizei gegeben. Da hieß es, die Polizei würde zu harmlos vorgehen, vor den Corona-Leugnern quasi in die Knie gehen. Heute hat man dann andere Bilder gesehen. Inwiefern hat die Kritik an vorherigen Einsätzen den heutigen vielleicht beeinflusst?
Radek: Ich denke, dass die Polizei eine lernende Organisation ist, dass wir aus den Einsatzverläufen in diesem Jahr, die Querdenken uns präsentiert hat, gelernt haben. Wir haben Veranstaltungen in Stuttgart gehabt, die sind reibungslos gelaufen. Da hat der Veranstalter akzeptiert, dass auf einem Messegelände demonstriert werden konnte. Da wurden auch die Masken aufgesetzt, da wurden auch die Abstände eingehalten. In Leipzig war es ganz anders. Die Polizei hatte vorgeschlagen, zur Gewährleistung der Versammlungsfreiheit auch auf einen Messeplatz zu gehen. Das hat der Veranstalter abgelehnt. Er wollte bewusst in die Enge der Stadt Leipzig gehen, um Bilder zu provozieren, die an die Montags-Demonstrationen vor 31 Jahren erinnern sollten. Daraus haben wir als Polizei gelernt – nicht, dass wir uns taktisch umgestellt haben, aber hier gab es auch ein Zusammenwirken mit den Anmelderbehörden, mit den Gerichten und mit der Polizei, die dann das umzusetzen hat, was die Gerichte auch möglich machen, und das ist in erster Linie die Versammlungsfreiheit zu gewährleisten, aber auch die Auflagen durchzusetzen, und das haben wir heute sehr deutlich gesehen, dass die Polizei das macht. Damit ist die Veranstaltung nicht gefährdet, aber wir wollen auch, dass das Recht zu seiner Gültigkeit kommt.
"Mehr Angriffe auf Pressevertreter"
Potthoff: Da gab es, um nur noch mal zu der Kritik zurückzukommen, letzte Woche auch vor allem von der eher politisch linken Seite den Vorwurf, die Polizei gehe bei Demonstrationen zum Teil ungleich vor, ginge zum Beispiel deutlich härter bei linksextremen Krawallen vor. Wie beurteilen Sie diesen Vorwurf?
Radek: Ich stelle fest, dass gerade über das Versammlungsrecht in der Beurteilung von Parteien, aber auch von anderen NGOs sehr viel Meinung und wenig Wissen vorhanden ist. Die Polizei schützt nicht eine Meinung, sondern sie gewährleistet die Versammlungsfreiheit, auf der eine Meinung präsentiert werden kann, und das war auch genau in Frankfurt der Fall. Die Versammlung von Querdenken war genehmigt von der Behörde und da haben wir als Polizei den Auftrag, diese Versammlung zu schützen und Störungen zu vermeiden. Die Sitzblockaden, die wir dann gesehen haben, richten sich dann gegen die Linken, und da mussten wir einschreiten, damit die Versammlungsfreiheit durchgesetzt wird. Das ist dieses Spannungsfeld der Versammlungsfreiheit, die möglich machen soll, eine Meinung abzubilden, und dass man auch sagen kann, wir können in Deutschland unsere Meinung sagen. Aber wenn es darum geht, dass Auflagen damit verbunden sind, dass diese Auflagen auch eingehalten werden.
Im Übrigen noch ein Reizwort. Was ich noch sagen will ist, was diese Versammlungen von Querdenken insbesondere auch kennzeichnet. Wir haben gerade bei diesen Veranstaltungen mehr Angriffe auf Vertreter der freien Presse als bei anderen Veranstaltungen. Warum möchte dieser Veranstalter nicht, dass über seine Veranstaltungen berichtet wird? Das wäre doch geradezu ein willkommenes Bild, dass von seinen Versammlungen auch berichtet wird. Nein, er versucht es zu unterbinden. Also geht es ihm um Provokation.
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