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Polizeigewalt in den USA
"Das Thema wird bleiben"

Der Mord an fünf Polizisten in Dallas war offenbar das Werk eines Einzeltäters. Dieser sei besessen gewesen von Wut, sagte der Amerikanist Crister Garret im DLF. Die Themen, um die es bei der Tat gegangen sei - Rassismus und Gewalt - seien aber in den ganzen Vereinigten Staaten höchst aktuell.

Crister Garrett im Gespräch mit Martin Zagatta |
    Eine Frau und ihre Tochter legen in Dallas Blumen an einem Polizeiauto nieder, um der getöteten Polizisten zu gedenken
    Eine Frau und ihre Tochter legen in Dallas Blumen nieder, um der getöteten Polizisten zu gedenken (AFP / Laura Buckman)
    "Das Thema wird bleiben und muss behandelt werden", sagte Garret im Deutschlandfunk. Die Tat werde das Problem des Rassismus weiter politisieren, was aber durchaus gut sei, denn Rassismus könne man nur durch Dialog bekämpfen. "Und es geht nicht nur um Rassismus, sondern auch um Gewalt und die Polizeiarbeit an sich", so der Amerikanist.
    Garret erwartet, dass die neue Polizeigewalt und die Polizistenmorde von Dallas die Wahlen beeinflussen werden. "Was das Thema angeht, steht Hillary Clinton besser da." US-Präsident Barack Obama stehe weiter vor einer schwierigen Aufgabe. Er müsse viel Frust in ganz unterschiedlichen Kreisen ansprechen.

    Das Interview in voller Länge:
    Martin Zagatta: Wut über die jüngsten Tötungen von Afroamerikanern in Minnesota und Louisiana – das war wahrscheinlich das Motiv dafür, dass in Dallas fünf Polizisten erschossen wurden aus dem Hinterhalt. Verantwortlich, so jüngste Meldungen, soll nun doch ein Einzeltäter gewesen sein, ein Verbrechen, das den Riss in der amerikanischen Gesellschaft jetzt noch zu vertiefen droht. Martina Buttler berichtet.
    Mitgehört hat Crister Garrett, US-amerikanischer Politikwissenschaftler an der Universität Leipzig. Guten Morgen, Herr Garrett!
    Crister Garrett: Guten Morgen, Herr Zagatta!
    Zagatta: Herr Garrett, heftige Anschuldigen gegen die Polizei, der vorgeworfen wird, Schwarze brutal zu misshandeln, oft auch zu ermorden – das kennen wir ja aus der Vergangenheit, auch Proteste, Unruhen nach solchen Vorfällen oder wenn Polizisten freigesprochen werden, aber ein solcher Mordanschlag auf Polizisten, das ist neu. Für wie gefährlich halten Sie diese Entwicklung?
    Garrett: Ich bedauere es zutiefst, weil das heißt für Polizeichefs bundesweit, sei es in Los Angeles oder in San Francisco oder in Dallas, die müssen natürlich Taktiken, Strategie grundlegend überlegen, was es heißt, Umzüge und öffentliche Versammlungen zu schützen und im Dienst zu sein. Wir sehen, wie kompliziert das alles ist, wie gerade in Dallas mit einem schwarzamerikanischen Polizeichef seit Jahren versucht, genau Rassismus zu bekämpfen, Ausbildung für Polizisten grundlegend umzugestalten, und jetzt kommt es zu so was, gerade in seinem Revier.
    Rassismus in der Gesellschaft ist ein bundesweites Thema
    Zagatta: Kommt das so aus heiterem Himmel?
    Garrett: Na ja, je nachdem, wie man es deuten möchte. Wir haben es hier offensichtlich mit einem Einzeltäter zu tun, ein Schwarzamerikaner, Veteran, offensichtlich besessen von Wut. Man kann das als Einzelfall sehen, aber die Themen sind bundesweite, aktuelle, höchst aktuelle Themen natürlich, Rassismus insgesamt in der Gesellschaft, also die Vielfalt in der Gesellschaft. Wir sehen aus Minnesota zum Beispiel, es war ein Latino-Polizeioffizier, der auf einen Schwarzen geschossen hat. Das Thema wird bleiben und muss behandelt werden, und wir sehen das dadurch, dass der Präsident sich jetzt so aktiv da engagiert.
    Zagatta: Wir haben in dem Bericht unserer Korrespondentin da eben sehr versöhnliche Töne auch gehört. Diese schrecklichen Vorgänge, aus Ihrer Sicht jetzt, spalten die die amerikanische Gesellschaft noch weiter oder führen die eventuell die Leute auch zusammen, weil man sich sagt, so kann es nicht weitergehen?
    Garrett: Na ja, das ist die Frage. Wir werden beides erleben, auf alle Fälle, es wird das Thema weiter politisieren und thematisieren, das ist richtig so, Rassismus kann man nur durch Dialog und sehr scharfe Debatten angehen und transparenter machen und Bildung für Polizisten auch verbessern. Gleichzeitig muss man betonen, wir sehen zum Beispiel in Dallas, da sind viele Schwarzamerikaner als Polizisten im Dienst. Man sieht, wie kompliziert das Thema ist, gerade an Dallas oder auch in Minnesota, wenn man so will, also viele Minderheiten im Polizeidienst. Es geht nicht nur um Rassismus, es geht um Gewalt, es geht um Polizeiarbeit, es geht um mehrere gesellschaftliche Themen in den USA.
    Thema wird die Wahlen beeinflussen
    Zagatta: Kann diese Zuspitzung jetzt den Wahlkampf beeinflussen, also Donald Trump, dem ja Rassismus oft vorgeworfen wird, und Hillary Clinton, die sich da gegenüberstehen? In ersten Stellungnahmen, so weit zu sehen, hat Trump ja sehr staatsmännisch reagiert.
    Garrett: Das stimmt, aber es wird, denke ich mir, schon die Wahlen beeinflussen, gerade was Minderheitsbeteiligung an den Wahlen betrifft. Wir sehen, dass die sich einschreiben, zum Wählen gehen wie nie zuvor in der amerikanischen Geschichte, und Hillary Clinton hat immer die Narration gehabt, wir müssen zusammenkommen, wir müssen dieses Thema angehen, was Rassismus in der Gesellschaft insgesamt betrifft – Schwarz gegen Weiß, Weiß gegen Schwarz, Braun gegen Schwarz, Schwarz gegen Braun. Das Thema ist höchst komplex in den USA. USA ist in einigen Jahren eine sogenannte Minderheit-Mehrheit-Gesellschaft, das heißt, keine Ethnie wird also eine Mehrheit genießen. Das Land steht vor einer sehr großen Herausforderung, und da steht, was das Thema betrifft, Hillary Clinton, denke ich mir, unter den Wählern besser da.
    Zagatta: Nun haben die USA mit Barack Obama ja seit Jahren einen farbigen Präsidenten – hat das, was den Rassismus angeht, nichts oder nur wenig bewirkt?
    Garrett: Ich denke, es hat durchaus viel bewirkt, also Barack Obama hat natürlich versucht, die ganze schwarzamerikanische Gesellschaft anzusprechen. Ein laufendes Thema unter Schwarzamerikanern zum Beispiel ist die immer noch wachsende schwarzamerikanische Mittelschicht, die ziehen aus den Innenstädten der USA, die wohnen in Vororten, es gibt mehr als je zuvor Schwarzamerikaner an amerikanischen Universitäten. Und er versucht auch, diese Klientel anzusprechen, gleichzeitig Rassismus und Trennung in der Gesellschaft, er muss für alle Minderheiten reden. Und wenn man ein bisschen in das Thema hineintaucht, sieht man, wie schwierig das ist für den Präsidenten, gerade was Polizeiarbeit betrifft in Großstädten in den USA. Er muss auch für die Polizisten sprechen und die vielen Minderheiten, die Polizisten sind, die schauen auch auf den Präsidenten. Also er muss viel Frust in unterschiedlichen Kreisen ansprechen, und das ist äußerst schwierig.
    Rassismus zu bekämpfen ist "allgemeines demokratisches Problem"
    Zagatta: Kann das die Politik lösen? Was zu diesen Gewaltausbrüchen oft führt, sind ja auch Tötungen, aber auch, dass die mutmaßlichen Täter so oft dann freigesprochen werden, nicht belangt werden. Kann die Politik das lösen, oder haben die USA da ein Problem auch mit dem Rechtsstaat?
    Garrett: Ich denke, die Politik kann durchaus dazu beitragen – noch einmal: thematisieren, debattieren, neue Gesetze. Also was die Umsetzung von Gesetzen betrifft vor Ort, da kann die Politik zumindest auf Bundesebene nur so viel bewirken. Wir sehen es am Polizeichef in Dallas, ich denke, das ist ein gutes Beispiel dafür, wie schwierig das ist. Er versucht seit Jahren, die Kultur da vor Ort zu ändern, und hat gute Erfolge auch mit sich gebracht. Aber es gibt noch zu tun, natürlich. Das ist eine Stadt mit mehr als Millionen Menschen, mehrere Tausend Polizisten im Einsatz, und man sieht, es kommt auf einen in diesem Fall Einzeltäter mit Waffen, mit Wut. Kann man dem wirklich vorbeugen, das ist eine berechtigte Frage.
    Zagatta: Die Frage, die Medien jetzt in den USA offenbar schon aufwerfen: Müssen jetzt auch Weiße Angst vor rassistischer Gewalt haben, wie sehen Sie das?
    Garrett: Es gibt diese Klientel natürlich, also rassistische Bewegungen und Gruppen sind bundesweit zu erleben, wenn man so will, die wollen auch weißen Terror ausüben. Der FBI hat das natürlich vor Augen ständig, das wächst auch als Bewegung, aber insgesamt, denke ich mir, die große Mehrheit der Weißen sieht das als grundsätzliches Problem. Man sieht das an den Umzügen, da sind viele weiße Mitbürger dabei. Es ist ein allgemeines demokratisches Problem oder Herausforderung für die Gesellschaft, Rassismus zu bekämpfen und wirklich noch einmal das zu thematisieren, so weit wie überhaupt möglich, Rechtsstaat rassenblind zu fördern.
    Bessere Ausbildung der Polizei
    Zagatta: Herr Garrett, nach Angaben der "Washington Post" haben Polizisten in den USA in diesem Jahr schon mehr als 500 Menschen getötet, aber nach diesen Angaben auch weit mehr Weiße als Schwarze. Spricht diese Statistik gegen Rassismus, gegen Dunkelhäutige, oder sagt das wenig aus?
    Garrett: Das ist eine sehr interessante Statistik. Ich weiß es auf Anhieb nicht, aber es würde mich auch interessieren zu erfahren – das schaue ich gleich nach –, zum Beispiel, wie viele Latinos auch erschossen werden. Ich komme aus Kalifornien zum Beispiel, wo die Latino-Gemeinschaft sehr groß ist, und das ist auch ein Problem, ganz besonders in Los Angeles zum Beispiel. Also um nicht zu grob zu klingen, aber zum Teil ist es ein statistisches Problem im Sinne von, natürlich gibt es viel mehr Weiße, und Weiße werden auch erschossen. Man kann debattieren, ob es hier um Gewalt in der Gesellschaft eher geht und wie Polizisten sich schützen müssen oder einsetzen müssen oder nicht einsetzen sollen – dies sind auch genau wichtige Themen. Insgesamt denke ich mir, hier geht es um Gewalt in unseren Städten, wie man das vermindert, und dazu natürlich gleichzeitig, wie die Polizisten ausgebildet werden und was die sehen in bestimmten Situationen – sei es Baltimore zum Beispiel, auch ein schwarzamerikanischer Polizeichef hat es versucht seit Jahren, und jetzt haben wir auch in Baltimore an der Ostküste Tragödien. Man sieht einfach noch einmal, wie komplex das Thema eigentlich ist.
    Zagatta: Crister Garrett, Politikwissenschaftler von der Universität Leipzig. Herr Garrett, ich bedanke mich da für Ihre Einschätzungen!
    Garrett: Sehr gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.