Archiv

Polizeigewalt in Frankreich
Über 30 Journalisten erstatten Anzeige

Frankreichs Journalistengewerkschaften kritisieren, dass die Polizei Journalisten bei Demonstrationen der Gelbwesten angreift und willkürlich festnimmt. Der Regierung werfen sie vor, solche Verstöße gegen die Pressefreiheit systematisch zu decken.

Von Margit Hillmann |
Ein Journalist in Paris trägt bei den Gelbwesten-Protesten ein Schild mit der Nachricht "Presse - freundlicher Fotograf" auf dem Rücken.
Ein Journalist trägt bei Gelbwesten-Protesten in Paris ein Schild mit der Aufschrift "Freundlicher Fotograf" auf dem Rücken (picture alliance/dpa)
Ein Video von der Pariser Gelbwestendemo am Ostersamstag: Zu sehen und zu hören ist ein junger Mann mit Presse-Armbinde und -Helm und einer Kamera in der Hand, der sich bei einer Gruppe von Polizisten beschwert: Sie hätten eine Tränengasgranate auf ihn abgefeuert. Er will den leitenden Polizisten sprechen. Einer der Beamten stößt ihn brutal zurück. Der Journalist zeigt ihm seinen Mittelfinger.
Dann geht alles ganz schnell: Er wird von den Polizisten überwältigt und verhaftet. 48 Stunden lang wird Videojournalist Gaspard Glanz auf der Polizeiwache festgehalten, kurz darauf vor Gericht wegen Polizistenbeleidigung angeklagt. Der Richter verbietet ihm, bis zum Prozesstermin im Oktober bei den Pariser Samstagsdemonstrationen der Gelbwesten präsent zu sein - und auch bei der Demonstration am heutigen 1. Mai.
Gewerkschafter: "Das hat es so noch nie gegeben"
Es folgten massive Proteste aus französischen Redaktionen. Auf einen Antrag seines Anwalts wurde die Auflage schließlich am Montag von einem anderen Richter wieder kassiert.
"Danke und ein Bravo an die Justiz meines Landes", kommentiert Dominique Pradalié vom Vorstand der Journalistengewerkschaft SNJ, dass die Auflage annulliert wurde. Das sei aber kaum mehr als ein kleiner Lichtblick. Denn willkürliche Festnahmen und Polizeigewalt gegen Journalisten, die vor Ort über die Gelbwestendemos berichten, seien in Frankreich inzwischen an der Tagesordnung.
"Wir haben noch nie eine solche Repression gegen Journalisten in unserem Land gesehen. Und ich bin schon sehr lange Journalistin und Gewerkschafterin. Das hat es so noch nie gegeben."
Angebliche Angriffe mit Schlagstöcken und Tränengas
Über 80 Fälle wurden der Journalistengewerkschaft seit Beginn der Gelbwestenproteste im November gemeldet. Aus Paris – aber auch von Gelbwesten-Demonstrationen in Toulouse, Bordeaux und Marseille. Weil – dass jedenfalls sei der Eindruck der Journalisten auf dem Terrain – Polizisten sich für kritische Medienberichte über die zahlreichen schweren Verletzungen der Demonstranten rächen oder aber Journalisten vorsorglich einschüchtern und fernhalten wollten.
"Journalisten wurden an Absperrungen blockiert, also am Arbeiten gehindert, ihr Arbeitsmaterial beschlagnahmt, zerstört, Pressekarten weggenommen. Sie wurden von Polizisten beschimpft, gezielt ins Visier genommen, mit Schlagstöcken, Gummigeschossen und Tränengas-Granaten verletzt. Wir haben Fotos, Videos und Zeugenaussagen, die das beweisen."
Innenminister weist Kritik zurück
Seit Monaten fordern Frankreichs Journalistenorganisationen die Regierung auf, dafür zu sorgen, dass die Fälle aufgeklärt werden und dass Polizeigewalt gegen Journalisten endlich unterbunden wird. Vergeblich, sagt Gewerkschafterin Dominique Pradalié. Staatspräsident Emmanuel Macron und seine Regierung hätten bis heute nicht darauf reagiert.
In einem Fernsehinterview letzter Woche hat Frankreichs Innenminister Christoph Castaner denn auch die Vorwürfe der Journalistengewerkschaften und der Nichtregierungsorganisation Reporter ohne Grenzen vehement zurückgewiesen. Die Polizeibeamten schützten Journalisten vielmehr gegen Übergriffe medienfeindlicher Gelbwesten, verdienten dafür mehr Respekt.
"Schon den Begriff Polizeigewalt akzeptiere ich nicht, weil er suggeriert, dass Polizisten absichtlich verletzen. Und sobald jemand Anzeige erstattet, weil ein Polizist sich schlecht oder falsch verhalten hat, wird der Fall intern untersucht. Juristische Untersuchungen, die etwas Zeit beanspruchen. Aber liegt etwas vor, wird der Polizist selbstverständlich von den Behörden sanktioniert."
Noch kein Polizist zur Verantwortung gezogen
Über 30 Journalisten haben Anzeige erstattet. Nicht in einem einzigen Fall sei bisher ein Polizeibeamter zur Verantwortung gezogen wurden, kontert Gewerkschaftssprecherin Dominique Pradalié. Stattdessen habe die Polizeigewalt gegen Journalisten in den vergangenen Wochen noch zugenommen. Besonders häufig betroffen seien Foto- und Videojournalisten, die die Konfrontationen zwischen Polizeikräften und Gelbwesten auf ihren Bildern festhalten.
Frankreichs Journalistengewerkschaften hoffen nun auf den Europarat und seine 2015 eingerichtete Plattform für die Sicherheit von Journalisten. Dort können NGOs und Journalisten Alarm schlagen, wenn das Recht auf freie Berichterstattung in einem europäischen Land gefährdet ist, Journalisten angegriffen, eingeschüchtert oder drangsaliert werden.
Auf der aktuellen April-Alarmliste der Plattform taucht Frankreich gleich zweimal auf: Mit den Verhaftungen der beiden Journalisten Glanz und Kraland und mit Ermittlungen der französischen Staatsanwaltschaft gegen drei Journalisten, die über den Einsatz französischer Waffen im Bürgerkriegsland Jemen berichtet hatten und nun wegen der Veröffentlichung nationaler Verteidigungsgeheimnisse belangt werden sollen.