Was genau ist eine "Not-Operation"? Fällt darunter jede OP, die dringend erforderlich ist? Oder muss sie lebensrettend sein, um den Begriff zu rechtfertigen? Diese Fragen stehen im Zentrum einer Debatte rund um die Öffentlichkeitsarbeit der Polizei – die zuletzt immer wieder in die Kritik geraten ist.
Not-Operation, aber keine Lebensgefahr
Dass das Thema nun erneut auf der Tagesordnung steht, hat mit der jüngsten Silvesternacht zu tun: Nachdem es im Leipziger Stadtteil Connewitz zu Auseinandersetzungen mit Polizisten gekommen war, hatten viele Medien über die entsprechende Polizeimeldung berichtet – und auch über einen "schwerverletzten" Polizisten, der notoperiert werden musste.
Später stellte ein Sprecher der Leipziger Polizei klar, dass dabei keine Lebensgefahr bestanden habe. Genau das hatten aber mehrere Medien aus dem Begriff "Not-Operation" abgeleitet, wie eine Zusammenfassung des Portals Übermedien zeigt.
Marcus Engert, Senior Reporter beim Portal "Buzzfeed News Deutschland", sieht bei Meldungen wie dieser keinen bösen Vorsatz bei den Pressestellen der Polizei. "Ich glaube nicht, dass eine Behörde, eine Social-Media-Abteilung der Polizei, vorsätzlich falsch kommuniziert", sagte er im Deutschlandfunk.
Pressestellen müssen oft schnell reagieren
Wenn es zu Falschmeldungen der Polizei komme, dann sei das der Geschwindigkeit geschuldet und der Tatsache, dass man sich vor Ort in sehr aufgeheizten Stimmungen befinde. Jeder habe inzwischen ein Telefon in der Tasche und sei somit ein eigenes kleines Massenmedium: "Wir haben eine Kommunikation in Echtzeit." Die Polizei stehe in einem Geschwindigkeitswettbewerb. Die Folge sei, dass es inzwischen sehr oft zu Ungenauigkeiten komme.
Für Behörden gelte ein Neutralitäts- und Sachlichkeitsgebot, das auch die Twitter-Accounts der Polizei umfasse. Trotzdem dürfe man nicht davon ausgehen, dass die Polizei ein neutraler Player sei. Schließlich steuere sie mit ihren Social-Media-Kanälen gezielt große Versammlungslagen. Pressestellen würden Informationen selektieren und deswegen kein vollständiges Bild liefern. "Das ist nichts Bösartiges, das liegt in der Natur der Sache: Die können natürlich nicht alles ungefiltert rausblasen", sagte Engert.
Tweets der Polizei keine privilegierte Quelle
Journalisten sollten die Social-Media-Accounts der Polizei deswegen nicht als privilegierte Quellen betrachten - also als Quellen, deren Informationen man ohne zweite Bestätigung melden dürfe. Engert empfiehlt stattdessen, sich Informationen aus sozialen Netzwerken telefonisch bestätigen zu lassen, sich eine zweite Quelle zu suchen und mit Menschen zu sprechen, die vor Ort waren.
Damit bezog sich Engert explizit auf die Social-Media-Kanäle der Polizei: "Die Polizei ist dort einfach viel zu schnell unterwegs, weiß mitunter auch noch nicht alles."
Enorme Reichweite der Polizei auf Twitter
Der Deutsche Journalistenverband war im Juli 2019 noch einen Schritt weiter gegangen: In einer Pressemitteilung hatte er darauf hingewiesen, dass Journalisten Informationen der Polizeibehörden "in allen Fällen" kritisch hinterfragen und nicht ungeprüft übernehmen sollten. Der DJV-Vorsitzende Frank Überall betonte, dass Polizei Partei sei und nicht unparteiischer Beobachter.
Ebenfalls im Juli hatte Oliver Bendixen, langjähriger freier Polizeireporter beim Bayerischen Rundfunk, im Deutschlandfunk gesagt, dass er die Polizei nach wie vor als "privilegierte Quelle" betrachte, der man als Journalist in den meisten Fällen vertrauen könne, ohne weitere eigene Recherchen anzustellen.
"Buzzfeed"-Journalist Engert betonte, dass die Polizei in München und Berlin zusammen fast eine Million Follower auf Twitter hätten – mehr als die Auflagen der "Süddeutschen Zeitung", der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", des "Handelsblatts", der "Welt" und der "tageszeitung" zusammen. Deswegen sei es wichtig, dass die Polizei eher weniger als mehr verbreite und sich mit der Herausgabe von Informationen lieber einen Tag mehr Zeit lasse.