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Der Fall Dilan S. und die Medien
Übernahme der Polizeimeldung "grob fahrlässig"

Viele Medien haben eine Meldung übernommen, wonach eine 17-Jährige attackiert wurde, weil sie angeblich keine Maske getragen hatte - dabei handelte es sich möglicherweise um einen rassistischen Angriff. Der Vorfall zeige, wie üblich es in Redaktionen geworden ist, Polizeimeldungen ungeprüft zu übernehmen, meint unser Gesprächspartner.

Olaf Sundermeyer im Gespräch mit Sebastian Wellendorf / Text: Mike Herbstreuth |
Ein Polizeiauto im Einsatz in Berlin
Ein Polizeiauto im Einsatz in Berlin (imago images/Sabine Gudath)
Die Polizei gilt als sogenannte privilegierte Quelle - aus Sicht von Redaktionen besitzt sie eine besonders hohe Glaubwürdigkeit. Das gleiche gilt beispielsweise auch für Staatsanwaltschaften. Der Informationsgehalt solcher privilegierter Quellen wird anders bewertet als der anderer Quellen, und oft sind Polizeimitteilungen die einzige Quelle der Berichtenden. Medien sind also darauf angewiesen, dass die Polizei die Fakten korrekt berichtet.
Wenn man als Journalistin oder Journalist bei einem Ereignis nicht dabei gewesen ist, sei man der Kommunikation der Polizei oft "regelrecht ausgeliefert", wie Olaf Sundermeyer es in unserem Podcast "Nach Redaktionsschluss" formuliert hat. Er berichtet seit über 20 Jahren für die ARD von Demos mit Rechtsextremisten und hat oft Kontakt mit den Presseteams der Polizei.

Redaktionen verwenden Meldungen oft ungeprüft

"Ich versuche grundsätzlich, mir immer selbst ein Bild zu machen, selbst nachzurecherchieren. Für mich ist die Polizei nur eine Quelle, sie ist nicht die Quelle." Als Mitglied einer Rechercheredaktion habe er die Zeit und Möglichkeit, Polizeipressemitteilungen nachprüfen zu können.
Das sei allerdings in Nachrichten- und Onlineredaktionen häufig anders. Die Redakteurinnen und Redakteure dort hätten meistens nur die Meldung der Deutschen Presse-Agentur dpa und die Polizeimeldung. Man könnte dann "möglicherweise noch das eine oder andere Telefonat machen, was aber auch unterbleibt. Die Polizei als privilegierte Quelle muss da funktionieren."

Fehlerhafte Polizeimeldung im Fall Dilan S.

Im Fall von Dilan S. hat sie nicht funktioniert. Die 17-jährige Berlinerin wurde von mehreren Personen auf einem Bahnsteig rassistisch beleidigt und geschlagen. In einer Mitteilung der Polizei hieß es allerdings, es sei zum Streit gekommen, weil die Angreifer Dilan S. auf eine "fehlende Mund-Nase-Bedeckung angesprochen hätten" - dabei trug die 17-Jährige Maske, anders als ihre Angreifer. Und auch das Tatmotiv Rassismus wurde in der ursprünglichen Polizeimitteilung nur beiläufig erwähnt.

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Die dpa und mehrere Medien übernahmen diesen Fehler der Polizei und titelten beispielsweise "Fehlende Mund-Nasen-Bedeckung: Jugendliche von Erwachsenen krankenhausreif geschlagen" oder "Erwachsene verprügeln 17-Jährige, weil sie keine Maske trägt".

Polizei korrigiert ursprüngliche Meldung

Erst nachdem Dilan S. in einem Instagram-Video aus dem Krankenhaus den Tathergang aus ihrer Sicht schilderte und das Video viral ging, korrigierte die Polizei ihre Meldung. In der Korrektur schrieb die Berliner Behörde:
"Wie bei jeder anderen Pressemeldung der Polizei Berlin auch, kann nur der Stand der Informationen wiedergegeben werden, der zum Zeitpunkt des Verfassens der Meldung bestand. Die hier verwendeten Informationen stammten aus den vor Ort aufgenommenen Strafanzeigen, die, wie die weiteren Ermittlungen gezeigt haben, missverständlich formuliert waren."

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Für Olaf Sundermeyer ist es unverständlich, dass Medien die ursprüngliche Pressemitteilung zum Angriff auf Dilan S. ungeprüft verbreitet haben. Sie enthalte gleich drei Faktoren, bei denen die Alarmglocken hätten schrillen müssen, sagte der Journalist im Gespräch mit @mediasres: "Es ist eine Kombination der Faktoren Maskenverweigerung, Rassismus und Alkohol - das Ganze noch an einem Wochenende in Berlin." Eine solche Meldung ungeprüft zu übernehmen, hält Sundermeyer für grob fahrlässig.

Ungeprüfte Übernahme von Meldung "grob fahrlässig"

"Die Erfahrung zeigt, dass es bei solchen Sachzusammenhängen oft zu Widersprüchen kommt in der öffentlichen Kommunikation - nicht nur bei der Polizei, sondern auch über sämtliche Sachverhaltsbeteiligte".
Die Berliner Polizei habe die Meldung im Anschluss angemessen korrigiert, so Sundermeyer - allerdings mit dreitägigem Verzug, und "in der Zeit passiert eine ganze Menge in der hochtourigen Nachrichtenwelt".