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Polizeiruf 110 "Wölfe"
"Der Wolf ist eines meiner Lieblingstiere"

In Christian Petzolds neuem Polizeiruf gibt es zahlreiche Verweise auf den Wolf. Die Geschichte sei inspiriert durch Märchen und Nachrichten über Wölfe, die in den letzten Jahren in den Lebensraum der Menschen zurückgekehrt seien, sagte der Filmemacher im Deutschlandfunk.

Christian Petzold im Gespräch mit Andi Hörmann |
    Der Berliner Filmregisseur Christian Petzold
    Der Filmregisseur Christian Petzold (Jonathan Auer / Deutschlandradio Kultur)
    Andi Hörmann: Herr Petzold, der Wolf ist Mythenfigur beflügelt seit jeher unsere Fantasie. Wie sind sie für Ihren neuen "Polizeiruf" auf den Wolf gekommen?
    Christian Petzold: Ja, aus dem selben Grund, dass ich sehr sehr viele Märchen den Kindern vorgelesen habe und dass gleichzeitig so eine Art Wiederkehr der Wölfe durch die Gazetten ging in den letzten Jahren. Man merkt ja so: Schlägt die Natur zurück oder kommt sie zurück? Rächt sie sich an uns oder baut sie sich wieder auf? Und dann gab es sehr sehr schöne Wolfsgeschichten von Cormac McCarthy, wo die Intelligenz eines Rudels in diesen Geschichten verhandelt wird. Der Wolf ist eines meiner Lieblingstiere. Und dann hatte ich die Idee um Werwölfe, Wölfe und Graue Wölfe eine Geschichte zu machen.
    "In vielen Ursprungsmythen stehen Wölfe am Anfang"
    Hörmann: Im Polizeiruf "Wölfe" verweisen Sie auch auf "Rotkäppchen", "Der Wolf und die sieben Geißlein". Mit den "Grauen Wölfen", den türkischen Faschisten, wird es dann auch politisch. Vom Märchen bis zur Politik, weiter lässt sich ein Bogen kaum spannen. Was hat Sie an dem Thema gereizt?
    Petzold: Erstmal hat mich das immer erstaunt, dass in ganz ganz vielen Ursprungsmythen, ob es türkische Mythen sind, des osmanischen Reiches, des römischen Reiches, Wölfe am Anfang stehen und die Wölfe im Grunde genommen die Männer, Romulus und Romulus bei den Römern, die Wölfe sozusagen die Stadthalter, die Ernährer, die Mutter sind. Und gleichzeitig ist der Wolf Nazi, Faschist. Ein Spitzname von Hitler war Wolf, sein Schäferhund war wolfsabstämmig, die Wolfsschanze, die Stadt Wolfsburg, die im Grunde genommen die Führerstadt Kraft-durch-Freude-Stadt war. All das, da habe ich gesagt: Das ist doch ein unheimlich komplexes Tier, der Wolf. Und die Komplexität sollte in das Buch und in den Film.
    Hörmann: Warum haben Sie sich denn gerade für den politischen Aspekt für die Grauen Wölfe, also für die türkischen Faschisten entschieden. Ich denke mal, als der Polizeiruf geschrieben oder gedreht wurde, war das Thema Erdogan noch nicht so präsent.
    Petzold: Nein, das nicht, aber ich kenne mich da ziemlich aus. Meine Frau ist Türkin und ich habe mich mit der Geschichte der Grauen Wölfe ein bisschen beschäftigt. Wir leben in Berlin und in Berlin gibt es ja eine große kurdische Gemeinde. Und es gibt auch eine große Gemeinde an Grauen Wölfen, die dann da auch ihr Unwesen getrieben haben. Das hat mich interessiert. Es gab ja damals diesen Song, einerseits von Fehlfarben aber auch von Deutsch Amerikanische Freundschaft "Türkkültur hinter Stacheldraht / Neu Izmir, ist in der DDDR Atatürk der neue Herr", da ging es so um die Morde der Türken in Berlin-Kreuzberg.
    "Wenn man das Gesicht zerkratzt, ist die Identität ausgelöscht"
    Hörmann: Wobei man sagen muss, das Politische ist in ihrem Polizeiruf "Wölfe" nicht das große Thema, vielmehr ist der Film von einer mystisch-mythologischen Stimmung durchzogen. Es ist kein Großstadt-, sondern mehr Heimatkrimi. In der Abgeschiedenheit des bayerischen Alpenvorlandes morden offenbar Wölfe schöne Frauen. Über die Biographie der beiden Opfer erfährt man nicht wirklich viel. Schön sind sie und ihre Gesichter werden scheinbar von einer Katze bzw. einem Wolf zernagt. Ein Seitenhieb auf die Selfie-Kultur?
    Petzold: Nein, das nicht. Was mir immer an München gefallen hat ist, in Gegensatz zu Städten, in denen ich groß geworden bin, also Wuppertal, Düsseldorf oder eben Berlin heute, man fährt raus und gerät in ein mystisches Land. Ich habe immer das Gefühl, man fährt ein bisschen aus München raus und dort könnte auch Frankensteins Labor sein oder Nosferatu wohnt auch nicht weit. Die Ungleichzeitigkeit: Was ganz Altes und was ganz Mystisches, Modernes, eben hier, was damals so Lederhose und Laptop genannt worden ist. Das zeichnet München aus.
    Hörmann: München ist auch ein bisschen verschrien als High-Society-Stadt. Ich musste da irgendwie dran denken, weil ja einfach das Gesicht zerkratzt wird - Selfie-Kultur - haben Sie gar nicht dran gedacht?
    Petzold: Doch, es ist ja so, dass Person von persona, Maske, kommt und wenn man das Gesicht zerkratzt, ist die Identität ausgelöscht. Die gesellschaftliche Maske ist weg. Das ist immer eine Tat, die besonders furchtbar ist: Jemanden das Gesicht nehmen, der Gesichtsverlust. Und deshalb ist es so, dass die beiden, Barbara Auer und Matthias Brandt, am Anfang über ihre Liebe reden und plötzlich reden sie über jemanden, dessen Gesicht zerstört ist. Und von diesem Moment an können sie nicht mehr über ihre Liebe reden, sondern über den Fall. Weil das ist das Allerschlimmste, wenn man Menschen ihre Gesichter ausradiert. Dann ist etwas Schreckliches im Anmarsch.
    "Ich glaube, dass das Kino und die Märchen was miteinander zu tun haben"
    Hörmann: Was fasziniert Sie an Märchen als Grundlage für Ihre Filme? Es ist ja nicht das erste Mal, dass sie so etwas machen. In "Gespenster" von 2005 haben Sie sich von Grimms Märchen "Das Totenhemdchen" inspirieren lassen. Warum betrachten sie die heutige Welt aus der Perspektive alter Erzählungen? Sagen Märchen mehr über das Heute als wir denken?
    Petzold: Ich glaube, dass das Kino und die Märchen was miteinander zu tun haben. Das Kino ist im Gegensatz zum Fernsehen und zum Radio ein Ort, wo mythisches auch kolportagehaftes Material in eine Form gebracht wird. Ich habe beim Kino immer den Eindruck, es sind Leute, die eine Geschichte weiter erzählen. Das Kino erzählt immer wieder eine Geschichte weiter. Man kann richtige Linien finden. Also die beiden Menschen, die einander sexuell verfallen sind, die einen dritten umbringen. Da gibt es 2.500 Kinofilme drüber. Und die Märchen sind auch Variationen. Es gab ja damals diese Reihe: französische Märchen, englische Märchen, deutsche Märchen, österreichische Märchen. Eine ganze, große Buchreihe. Und die Märchen ähnelten sich alle. Die waren nur durch eine kleine Differenz verschoben. Die sind weiter erzählt worden, von jemanden, der in Frankreich das Märchen gehört hat, dann war der als Wanderbursche im Elsass, dann erzählte er dieses Märchen, die erzählten das Märchen für sich weiter. Und so wanderten die Geschichten durch die Welt. Das Kino kommt mir auch so vor. Deswegen ist die Nähe zwischen Kino und Märchen so nah.
    Hörmann: Ich musste ja zum Beispiel auch an den Steppenwolf denken, von Hermann Hesse. Also in der Literatur taucht er auch oft auf, der einsame Wolf.
    Petzold: Das ist ja das Interessante. Die Wölfe sind keine Einzelgänger. Der Wolf ist immer Rudel, ist immer Gruppe. Aber wir tun so, als ob der Wolf ein einsamer Wolf ist. Dann wird er nämlich gefährlich. Das Rudel ist nicht gefährlich. Das Rudel ist Aasfresser. Die gucken, dass sie irgendwas finden, was zu schwach ist und fressen es auf. Der einsame Wolf ist in unserer Welt, der, der gefährlich ist, der nicht mehr zur Gesellschaft gehört, der ausgestoßen ist. Deswegen ist der einsame Wolf das interessante Bild. Auch in den Märchen: Es ist nie das Rudel, der dem Menschen gefährlich wird.
    Hörmann: Filmzitate tauchen in Ihren Filmen eigentlich weniger als versteckte Hinweise auf, sondern werden ganz konkret in Dialoge eingebaut: Im Polizeiruf "Wölfe" ist es u.a. Jean-Pierre Melvilles französischer Kriminalfilm "Vier im Roten Kreis" (1970). Es wird die Szene einer Tapetentür beschrieben. Sind ihre Filme nicht auch ein wenig Tapetentür? Voller verborgener Geheimnisse des Alltags, hinter der Fassade einer fiktionalen Geschichte.
    Petzold: Dass sich Tapetentüren öffnen oder sich etwas in unsere normale Welt ergießt, was wir hier nicht haben wollen, das ist eigentlich das Kino. Und das Fernsehen kümmert sich darum, dass diese Türe eigentlich sehr schnell wieder geschlossen wird und wir ins Bett gehen können. Und das Kino sagt: Wenn wir die Tür wieder schließen, irgendwas haben wir übersehen und bleibt draußen und macht uns noch eine Menge Ärger.
    Hörmann: Was spiegelt sich in der Figur des Wolfes in unserer heutigen Zeit? Ich denke auch an den Film "Wild" von Nicolette Krebitz, in dem sich eine verlorene Großstädterin in einen Wolf verliebt und den auch domestiziert.
    Petzold: Bei Nicolette läuft ja eine Männlichkeitsgeschichte drunter. Der Georg-Friedrich, der den Arbeitgeber von ihr spielt, von der jungen Frau, die sich in den Wolf verliebt, der ist ja auch ein halber Wolf, der ist ja auch nicht ganz angepasst, der ist ein bisschen unkonventionell, aber der ist nicht Wolf genug. Diese Frau sucht den richtigen, den tiefen, den wahren - den Mann. Das steckt in diesem Wolf, in diesem Film drin. Und das ist auch etwas, das die Figur bei mir, der Werwolf, auch dieser Mann ist. Da gibt es schon Korrespondenzen.
    Hörmann: Das Ermittlerduo des Münchner Polizeiruf, Matthias Brandt und Barbara Auer als Hannes von Meuffels und Constanze Hermann, ist gezeichnet von psychischen Problemen (Melancholie und Depression) - wie Wölfe kreisen sie umeinander. Es ist vielleicht auch ein Leitthema in Ihren Filmen - ich denke da vor allem an die Filme mit Nina Hoss: In "Barbara" scheitert die Liebe am System der ehemaligen DDR, in "Yella" scheitert der Mann am Besitzdenken in der Beziehung. Die Unmöglichkeit der Liebe in der Welt zwischen Leben und Tod. Was lässt uns denn scheitern?
    Petzold: Ach, ich würde die Frage anders stellen. Ich würde sagen: Was bringt uns weiter? Die Figuren in manchen Filmen scheitern ja, weil ihre Ansprüche zu groß sind und weil sie sehr alleine sind. Und ich glaube, was sie eben meinten, mit Wölfen, die sich umkreisen, dass das Umkreisen, das Liebesspiel, der Tanz, die Möglichkeit ist, dem Scheitern zu entgehen.
    Hörmann: Sehr schön poetisch ausgedrückt.
    Petzold: Mal probiert.
    Hörmann: Vielen Dank, Herr Petzold, für das Corsogespräch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.