Ost-Berlin, an einem trockenen, heißen Tag Ende Juni. Der Himmel ist klar, der Wind fast still - die Hitze aus dem Zentrum der Stadt verscheuchen kann er nicht. Doch hin und wieder trifft ein Luftstoß die Windfahne eines Messinstrumentes der Universitätsklinik Charité. Es sammelt Pflanzenpollen über den Dächern Berlins.
"Wir haben jetzt hier die Pollenfalle vor uns auf dem Dach der Hautklinik in der Charité. Und im Hintergrund hören wir dieses saugende Geräusch. Eine Pumpe saugt jetzt zehn Liter Luft pro Minute durch einen kleinen Schlitz. Durch diesen Schlitz kommt alles, was in der Luft ist, prallt dann auf einen Tesafilm-Streifen. Und dieser Tesafilm wird dann herausgenommen nach einem Tag. Und wird unters Mikroskop gelegt. Und es wird gezählt: Welche Pollen sind drauf? Und wie viele?"
Karl-Christian Bergmann ist Lungenarzt im Allergie-Zentrum der Charité. Das Instrument vor ihm steht etwas erhöht auf drei Beinen. Bergmann hält einen gewissen Abstand, um der dann und wann ausschwenkenden Windfahne nicht zu nahe zu kommen.
"Darunter ist eine größere Trommel, so wie ein Kochtopf die Größe etwa. Darin befindet sich der Motor. Und über diesem Kochtopf ist also eine kleine Säule mit dem besagten Schlitz. Es ist also ungefähr so groß wie ein Stuhl."
Bergmann hat sich auf Allergien der Atemwege spezialisiert. Der Mediziner ist auch Professor an der Universität Hannover und leitet die Stiftung Deutscher Polleninformationsdienst.
"Am wichtigsten sind in Deutschland sechs Pollen. Das sind nämlich die Pollen von Haselnuss, Erle und Birke. Dann kommen die Gräser, die eine Einheit bilden, und der Roggen. Und schließlich, von den Kräutern, der Beifuß. Die decken über 90 Prozent der Pollen ab, die zu Allergien führen."
"So, dann steig’ ich mal hier oben rauf auf den Tritt und öffne das jetzt hier oben."
Fast 50 solcher Instrumente sind über ganz Deutschland verteilt und liefern dem Polleninformationsdienst ständig aktuelle Messdaten. Bergmann:
"Alle europäischen Länder haben heute eigene Pollenmesssysteme. Und alle diese Daten kommen in Wien zusammen. So dass wir in Wien also einen ungeheuren Datenpool haben, über die letzten 20, 25 Jahre. Und daraus auch ersehen können, ob die Pollen sich in ihrer Art und Zahl in der Luft verändern. Und die tun das eben."
Es ist nicht nur ein dumpfes Gefühl, das viele heute beschleicht, weil es plötzlich Verwandte, Bekannte oder sie selbst trifft. Die Krankenakten und Studienergebnisse von Fachärzten und Forschern wie Bergmann bestätigen eindrücklich: Die Zahl von Pollenallergikern in der Bevölkerung nimmt ständig zu, ein Ende des alarmierenden Trends ist nicht abzusehen. Bergmann:
"Wir haben über ganz Europa die Daten erhoben. Wir haben den Eindruck, dass eben in der Bevölkerung die Erkrankung sehr erfolgreich ist, das heißt immer mehr Leute sind krank dadurch. Und das geben die epidemiologischen Zahlen wieder. Das ist mal klar."
Schon heute leidet schätzungsweise jeder zehnte Deutsche an einer Pollenallergie und plagt sich während der Blütezeit mit Heuschnupfen herum oder – schlimmer noch – mit Asthma. In Zukunft dürfte es noch mehr Betroffene geben, fürchtet Carsten Schmidt-Weber. Der Biologe leitet seit kurzem das ZAUM, das Zentrum für Allergie und Umwelt an der Technischen Universität München:
"Ich denke, bei den Kindern ist es besonders beeindruckend. Da ist es tatsächlich so, dass es Vorhersagen gibt, dass in den nächsten zwei, drei Jahren jedes vierte Kind Allergiesymptome haben wird. Das muss man sich mal vorstellen! Wir sprechen eigentlich von einer Epidemie, das heißt also es werden immer mehr."
Nichts geändert hat sich an der grundlegenden Einschätzung: Dass Allergien in den westlichen Industrieländern zunehmen, im Prinzip seit gut fünf Jahrzehnten, hat mit unserem Lebensstil zu tun. Der Niederländer Jeroen Buters, Professor für Toxikologie an der TU München:
"Es muss [so] sein. Die Leute können [sich] genetisch nicht so schnell ändern. Also muss etwas in der Umwelt sein, das das macht, dass die Allergien so schnell steigen in so kurzer Zeit. Nur die Frage [ist]: Was ist das?"
Eine bedeutende Rolle spielen mit einiger Sicherheit verbesserte Hygienebedingungen, wie die Forscher schon länger vermuten. Schmidt-Weber:
"Bei Untersuchungen, die in Bauernhöfen durchgeführt wurden, da ist es zum Beispiel so, dass man beobachtet hat, dass Kinder, die innerhalb des ersten Lebensjahres sich im Kuhstall aufgehalten haben, das heißt, da hat die Mutter das Kind mit zum Ausmisten genommen – dass diese Kinder fast komplett gegen Allergien geschützt sind, ja. Da ist eben die Anzahl von Mikroorganismen sehr hoch."
Bergmann:
"In den ersten Lebensmonaten, in den ersten Lebensjahren Kontakt haben zu Teilen von Bakterien, ist offenbar entscheidend. Das ist offenbar ein Stimulus für unser Immunsystem, dann so gereift zu sein, dass ich auf Allergene nicht hereinfalle, möchte ich fast sagen. Insofern glaube ich, dass diese Hygiene-Theorie wirklich von Bedeutung ist. Vieles spricht dafür."
Auch im späteren Kindesalter gibt es Faktoren, die das Allergierisiko bekanntermaßen beeinflussen. Jeroen Buters:
"Man schaut einfach mehr Fernsehen. Und die Kinder, die mehr Fernsehen schauen, kriegen mehr Allergien. Aber es ist nicht, weil sie Fernsehen schauen, sondern weil sie nicht mehr nach draußen kommen. Die müssen Sport machen. Und die müssen einfach kalte Luft einatmen. Solche Sachen."
Doch auch Erwachsene leiden immer stärker unter Pollenallergien. Obwohl viele von ihnen in der Kindheit nicht so viel Zeit vor dem PC- oder Fernsehbildschirm verbrachten, auf Bauernhöfen aufwuchsen oder sich mehr in der Natur bewegten. Carsten Schmidt-Weber:
"Also auch da gibt es eine zunehmende Anzahl von Patienten. Die Situation ist genauso dramatisch wie bei den Kindern."
Selbst ein gesegnetes Alter scheint vor Krankheit nicht mehr zu schützen. Ärzte berichten neuerdings sogar von Patienten, die noch mit 70 Jahren erstmals einen Heuschnupfen oder allergisches Asthma bekommen. Und bei denen das Immunsystem plötzlich auf Allergene reagiert, also auf bestimmte Bestandteile von Blütenpollen, die es ein Leben lang ignoriert hat. Wie kommt es zu einer solchen Entwicklung? Warum werden immer mehr Menschen - gleich welchen Alters – zu Pollenallergikern?
Die hyper-hygienische Kinderstube reicht den Experten als alleinige Erklärung nicht mehr aus. Sie wissen: Auch auf Seiten der Krankheitsauslöser hat sich Entscheidendes verändert. Das läßt sich von den Tesafilm-Streifen der landesweiten Pollenfallen ablesen. Seit wenigen Jahren hinterlässt dort eine neue, hochallergene Pflanze ihren Blütenabdruck.
"Was haben wir, was haben wir jetzt da für eine Nummer?"
"21."
"21."
"Das ist auf der anderen Seite."
"Ja, genau, auf der anderen Seite. Denn hier waren wir doch schon."
Der Stadtbezirk Köpenick im Südosten von Berlin. Es ist immer noch derselbe, heiße Juni-Tag.
"Wir sind mit dem Team 1 unterwegs. Wir sind jetzt auf dem Weg zu einem Fundort."
Malte Brauns ist Landschaftsarchitekt und bei der Trias GmbH beschäftigt, einem Träger gemeinnütziger Projekte. Brauns:
"Wir machen jetzt relativ viele Funde. Also fast jedes Team hat jeden Tag Funde. Und hier haben wir eine!"
Brauns streift mit einem fünfköpfigen Trupp von Pflanzen-Scouts durch das Wohngebiet. Alle tragen einen kreditkartengroßen Dienstausweis an der Kleidung. Das Team durchkämmt die Gegend nach einer krautigen Pflanze. Ihre typischen Kennzeichen: gefiederte Blätter, behaarte, oft rötliche Stengel und gelbe Blütenstände, die in ihrer Gestalt Getreideähren ähneln. Wo die Scouts den Störenfried antreffen, rupfen sie ihn aus. Ganz offiziell. So wie hier, im Vorgarten eines modernisierten Plattenbaus.
"Und warum werden die jetzt rausgemacht?"
"Weil die gefährlich sind. Ab Juli, August fangen die an, Pollen zu bilden. Und diese Pollen sind für Allergiker überhaupt nicht gesund. Das kann bis zum Krankenhaus führen."
"Ach so! Na, dann macht sie schnell raus! Also, ich bin Allergiker. Deswegen."
"Ja, deswegen. Da sind wir ja goldrichtig hier bei Ihnen."
Die Pflanze, auf die es die Köpenicker Scouts abgesehen haben, ist die Beifuß-Ambrosie. Ein Gewächs aus der Familie der Korbblütler, manchmal auch Aufrechtes Traubenkraut genannt ...
"So, das ist dann hier Vorgarten am Balkon."
"Mhm."
Die Pflanze ist keine heimische Art. Sie wurde eingeschleppt. Ursprünglich stammt sie aus Nordamerika. Ihre Samen stecken häufig in Vogelfutter, bei dem man es mit der Sortenreinheit nicht so genau nimmt.
"So, Größe: Was war sie gewesen?"
"Was schätzen wir?"
"Fünf bis zehn Zentimeter war sie nicht. Die war schon größer. Zehn bis 50."
"Zehn bis 50."
"Mhm."
Berlin zählt zu den Regionen in Deutschland, in denen sich die Ambrosie verstärkt ausbreitet ...
"Quadratmeterzahl, nehmen wir mal an. Bei der einen ist das jetzt unwichtig. Da brauchst Du bloß einzutragen: unter zehn Quadratmeter."
Nicht immer stoßen die Ausrupf-Kommandos nur auf einzelne Exemplare. Es können auch schon mal dichte Bestände sein, bevorzugt auf Brachflächen und an Straßenrändern.
"Tatsache, da ist auch noch eine!"
Charité-Forscher Bergmann beobachtet die Entwicklung mit Sorge:
"Ambrosia hat die Eigenschaft, dass man noch weniger Pollenmengen einatmen muss oder in die Nase bekommen muss, um Symptome zu haben."
In der Schweiz und in Frankreich hat sich die Pflanze schon massiv ausgebreitet und wird bekämpft. Jetzt könnte Deutschland folgen. In den Pollenfallen hinterließ die Pflanze vor vier Jahren erstmals einen Abdruck. In Bayern, Baden-Württemberg, Hessen und Brandenburg finden sich inzwischen größere Bestände. Karl-Christian Bergmann:
"Ich denke, wir sind hier in der Charité die einzigen, die bis jetzt wirklich gemessen haben: Zehn bis 15 Pollen reichen aus, um akute Symptome zu machen. Die Birke ist ja auch relativ aggressiv. Aber wir brauchen bei der Birke mindestens 30 bis 40."
Dabei ist die Ambrosie nicht nur hochallergen, sondern auch noch eine wahre Pollen-Schleuder: Pro Saison kann sie bis zu einer Milliarde Blütenstaub-Körner freisetzen. Mediziner bezweifeln nicht mehr, dass der Neueinwanderer die Zahl von Allergien in Deutschland schon jetzt hochtreibt. Das Traubenkraut blüht erst spät im August und September, ja sogar bis in den Oktober hinein. Auch an der Berliner Charité-Klinik behandelt Karl-Christian Bergmann bereits Patienten mit typischem Spätsommer-Heuschnupfen. In ihrer Heimat Nordamerika, wo die Ambrosie mit am häufigsten unter allen Pflanzen Allergien auslöst, ist die Situation noch brenzliger. Bergmann:
"Bei den übrigen Pollenarten, die wir im Fokus haben, also Hasel, Erle, Birke, Gräser, Roggen, Beifuß, ist es so, dass fast immer der Patient zunächst einen allergischen Schnupfen entwickelt, den Heuschnupfen. Und dann bekommt etwa jeder dritte Heuschnupfen-Patient ein allergisches Asthma. Bei der Ambrosia scheint es – zumindest in den USA – anders zu sein. Dort ist es so, dass mehr Allergiker sofort ein Asthma entwickeln."
Damit hat die Allergie von Beginn an eine andere Tragweite. Bergmann:
"Mit dem Asthma ist ja doch verbunden in vielen Fällen eine schwere Einschränkung der Lebensqualität. Mit nächtlichem Aufwachen. Mit dem Gefühl, nicht genug Luft zu bekommen. Mit der Aufnahme in der Notsituation. Ich kann mich nicht mehr so körperlich belasten. Das ist alles sehr schwerwiegend. Und wenn man nun einen Pollen hat, von dem man sagt, es führt gleich zum Asthma, dann ist das schon bedeutungsvoll."
Für Deutschland kann der Berliner Lungenfacharzt die direkte Auslösung von Asthma durch Ambrosia-Pollen bis jetzt allerdings noch nicht bestätigen. Überhaupt seien entscheidende Fragen noch offen. Bergmann:
"Wieviel Allergen ist in einem Ambrosia-Pollen drin? Das sind Daten, die wir gar nicht aus den USA wirklich kennen. Sind die Allergene bei uns in Europa wirklich genauso aggressiv? Das wissen wir bis jetzt noch nicht."
Die Situation wird noch dadurch kompliziert, dass Pflanzenpollen in der Atmosphäre weite Strecken zurücklegen können und dabei Landesgrenzen überschreiten. Ein Ziel dieser Luftpost-Sendungen ist zum Beispiel Dresden. Karl-Christian Bergmann:
"Dresden ist sozusagen die Ambrosia-Hauptstadt von Deutschland, gemessen an der Zahl von Ambrosia-Pollen, die man dort in der Falle findet. Aber die sind eben zum größten Teil am Nachmittag erst in der Pollenfalle. Da wir wissen, dass Ambrosia ihre Pollen nur in den Morgenstunden abgibt, und dann ihre Pforten wieder schließt, kann man jetzt sagen: Wenn die Pollen erst am Nachmittag in der Falle sind, dann kommen die von weither."
Und zwar aus der ungarischen Tiefebene, wie man heute weiß. Dort bedeckt die Ambrosie heute riesige Ackerflächen, die nach dem Ende des Kommunismus brachfielen. Weht der Wind aus Osten, trägt er die Pollen bis nach Ostdeutschland. Bergmann:
"Und dagegen kann man gar nichts tun."
Auch der Fernimport hat seinen Anteil daran, dass in Deutschland inzwischen jeder Siebte beim sogenannten Prick-Test auf Ambrosia-Pollen anspricht. Das kam bei einer europäischen Vergleichsstudie mit rund 3000 Patienten heraus. Sie alle hatten sich zur Abklärung von Symptomen in ein Allergiezentrum begeben. Guido Burbach zählt zu den Hauptautoren der Studie. Auch er ist Arzt an der Haut- und Allergieklinik der Berliner Charité:
"Ein Prick-Test ist ein Hauttest, der uns zeigt, ob eine gewisse Bereitschaft des Körpers da ist, auf ein Allergen zu reagieren. Der Prick-Test wird im Prinzip so durchgeführt, dass man ein Allergen auf die Haut auftropft, dann mit einer kleinen Lanzette in die Haut piekst. Und die Reaktion normalerweise ist - wenn der Patient positiv auf das Allergen reagiert – die Entwicklung einer Quaddel."
Der Gepiekste ist in dem Fall sensibilisiert, wie man sagt. Er muss nicht zwingend an einer Allergie erkranken, aber eine erste Vorbedingung dafür ist erfüllt. Insofern sind steigende Sensibilisierungsraten in der Bevölkerung ein Warnsignal. Sie sprechen für eine verstärkte Neigung zu Allergien. Burbach fand sie nicht nur im Fall der Beifuß-Ambrosie, sondern auch bei einer anderen Pflanze. Immer häufiger schmückt sie Gärten, Terrassen und Balkone: die im Mittelraum heimische Olive ...
"Und zwar haben wir im südlichen, mediterranen Raum verstärkt Sensibilisierungen gegenüber Olivenpollen gefunden. Aber eben auch in anderen europäischen Ländern, wo wir das eigentlich nicht erwartet haben. In den Niederlanden, oder in Belgien. Aber auch in Deutschland. In Deutschland zum Beispiel bis zu neun Prozent."
Mit den Pollen der Olivenbäume treten weitere Allergene auf den Plan, denen die Bevölkerung früher nicht ausgesetzt war. In Deutschland und den Beneluxstaaten sind bereits Krankheitssymptome aufgetreten nach dem Kontakt mit Oliven-Pollen. Burbach:
"Ambrosia und Olive, das sind eigentlich so die zwei, die wir rausgreifen können, wo wir sagen: Da hat sich deutlich etwas getan. Da ist die Sensibilierungsrate doch ganz arg gestiegen."
Die europäische Vergleichsstudie hat noch ein anderes interessantes Ergebnis gebracht. Das Risiko, tatsächlich an einer Allergie zu erkranken, wächst beträchtlich mit der Gesamtzahl der Sensibilisierungen. Das heißt: Wer schon Antikörper gegen alle möglichen Pollen-Allergene im Blut hat, womöglich ohne es zu wissen – der bekommt am Ende eher Heuschnupfen oder Asthma als jemand, der vielleicht nur auf Birke und Gräser sensibel reagiert. Auch das könnte ein Weg sein, auf dem Ambrosie und Olive das Auftreten von Allergien ankurbeln: Indem sie das Immunsystem über die kritische Zahl von Sensibilisierungen treiben. Guido Burbach:
"Ja, also wenn noch mehr Sensibilisierungen hinzukommen, steigt die Wahrscheinlichkeit, eine allergische Erkrankung zu entwickeln."
"Wir kommen jetzt gerade hier ins Gewächshaus rein und stehen vor einer Pflanzenkammer."
"Ja."
"Und wenn wir nach oben schauen, sehen wir ein Schild, da steht drauf: 'Gasbetrieb''."
"Um anzuzeigen, daß momentan in dieser Kammer mit erhöhten CO2-Konzentrationen gearbeitet wird."
Ein weiterer heißer Juni-Tag, diesmal in Neuherberg bei München. Dort unterhält die Helmholtz-Gemeinschaft das Deutsche Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt.
"Wir hören momentan die automatische Luftbefeuchtungsanlage. Das kommt aus feinen Düsen heraus. Und es sind mehrere solche Düsen hier angebracht im gesamten Raum, so daß eine gleichmäßige Wasserverteilung stattfinden kann."
Ulrike Kanter und Dieter Ernst, beide Botaniker, zieht es in die Gewächshaus-Kammern 3 und 4. Wären die Berliner Ambrosia-Scouts mit dabei, sie könnten hier eine wahre Ausrupf-Orgie starten. Denn auch in den Versuchskammern wächst das Traubenkraut. Es sind 400 Exemplare. Dabei soll es allerdings auch bleiben. Kanter:
"Wir stecken den Blütenstand in eine Plastikröhre, damit sich der Pollen nicht im ganzen Raum verteilt. Wir wollen ihn in unseren Trichtern haben, weil wir den später beproben und analysieren wollen. Und damit der Pollen in diesen Trichter gut reinfallen kann, oder man das Ganze beschleunigt, kann man sanft dagegen klopfen.Und dann fällt der Pollen nach unten."
In den beiden Kammern wachsen die Traubenkräuter unter kontrollierten Bedingungen – einmal mit der ganz normalen Konzentration von CO2 in der Umgebungsluft. Das andere Mal mit dem doppelten Gehalt des Treibhausgases.
"Die Pflanzen wachsen ein bisschen größer auch schon als die in der anderen Kammer. Und auch bei den Pollen wird halt gesagt, daß dort durchaus Unterschiede zu sehen sind. Der Pollen hier wird dann auch von unseren Kooperationspartnern in der Medizin untersucht werden: ob der unter erhöhtem CO2 produzierte Pollen wirklich ein erhöhtes allergenes Potential besitzt im Vergleich zu normalen CO2-Verhältnissen."
Das ist die Annahme von Allergologen und Immunologen: Auch der ständige Anstieg von Kohlendioxid in der Atmosphäre ist ein Faktor, der das Allergie-Risiko für den Menschen erhöht. Grüne Pflanzen wachsen durch CO2 nicht nur kräftiger; sie produzieren auch mehr Blütenstaub. Charité-Experte Karl-Christian Bergmann verweist auf jüngste Untersuchungsergebnisse:
"Wir haben beobachtet, daß die Pollen von den Bäumen - also das ist Haselnuss, Erle und Birke - über die Jahre deutlich zugenommen haben. Wenn wir die letzten zehn Jahre nehmen, dann haben wir eine Erhöhung um rund 20 Prozent. Wenn wir noch frühere Daten nehmen, das haben wir stichprobenartig gemacht, dann ist dieser Trend noch einmal verstärkt da."
Das Kohlendioxid stammt überwiegend aus der Verbrennung von Kohle, Öl und Erdgas. Sein Zuwachs ist der Hauptgrund dafür, daß sich das Klima der Erde erwärmt und die Lufttemperaturen fast überall steigen. Darauf reagiert die Pflanzenwelt ebenfalls: Sie dehnt ihre Vegetationsperiode aus. So verlängert sich auch die Pollensaison. Jeroen Buters von der TU München:
"Früher blühte die Birke im April und das Gras im Juni, und dann war es fertig. Wir fangen jetzt an, daß durch die Klimaerwärmung die Hasel schon im Dezember kommt. Das sollen Sie mal sehen, wenn die Haselbäume mit ihren Füßen im Schnee stehen, fliegen die Pollen schon! Und Ambrosia kommt jetzt und geht Mitte November. Das bedeutet: Von einer ganz kurzen Allergen-Belastung gehen wir über [zu] einer Belastung über das ganze Jahr."
Auch der Vormarsch der Beifuß-Ambrosie wird durch den Klimawandel forciert. Lokal kommt das spätblühende Kraut zwar schon länger in Deutschland vor. Und neue Trittsteine findet es überall dort, wo seine Samen versehentlich aus Vogel-Häuschen plumpsen. Die neue Expansionslust der Art hat aber vor allem mit den gestiegenen Außentemperaturen zu tun. Dadurch fasst die wärmeliebende Pflanze jetzt auch nördlich der Alpen viel besser Fuß. Buters:
"Und wenn jetzt durch die Klimawendung das Allergen ständig steigt, ist die Chance, daß mehr Menschen allergisch werden, immer größer."
Der Klimawandel übt schließlich auch eine Wirkung auf Gräser aus. Ihre Pollen-Produktion war zuletzt zwar leicht rückläufig. Dafür blüht die Gras-Flora in manchen Regionen aber inzwischen bis in den November hinein. Dann klingt bereits der Herbst aus. Für das Immunsystem ist das eine stressige Zeit, wie der Münchener Institutschef Schmidt-Weber sagt. Es ringt mit den ersten Infekten der kalten Jahreszeit.
"Im Herbst, wenn diese ganzen Grippewellen über uns hinwegziehen. Wenn das Immunsystem sagt: Hallo, hier kommt eine Gefahr! Hier ist ein Entzündungspotential. Dann kann es eben sein, wenn das Allergen dummerweise zu diesem Moment da ist, daß die Immuntoleranz gegen das Allergen gebrochen wird. Und dann ist es eigentlich, so weit wir das wissen, gar nicht so relevant, ob jetzt viel oder wenig Allergen vorhanden ist."
Keine angenehme Vorstellung, daß das Immunsystem genau dann auch noch mit einem ganz neuen Allergen konfrontiert wird – dem Pollen der Beifuß-Ambrosie. Schmidt-Weber:
"Das heißt hier haben wir jetzt wirklich eine Alarm-Situation."
Zurück in Ost-Berlin. Nicht auf dem Dach der Charité, sondern in der Straßenschlucht der Frankfurter Allee, einer der großen Verkehrsadern der Hauptstadt. 60.000 Autos benutzen sie täglich. Aus den Auspufftöpfen der Autos quillt Feinstaub. Es sind vor allem Diesel-PKW und Lastkraftwagen ohne Partikelfilter, die den Feinstaub produzieren. Der Ruß läßt die Messinstrumente ausschlagen. Nicht nur in Berlin übrigens. Auch in anderen Städten
"Da gibt es eine aktuelle Studie, in der unser Haus auch mitgewirkt hat. Es ist eine Studie an sechsjährigen Kindern in München, die ganz klar gezeigt hat: All jene Kinder, die in einem Haus gewohnt haben weniger als 50 Meter entfernt von einer verkehrsreichen Straße, haben ein höheres Risiko, sich gegenüber einem Allergen der Außenraumluft zu sensibilisieren als jene, die weiter weg wohnen."
Wolfgang Schober, Toxikologe und Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Münchener Allergiezentrum ZAUM.
"Und diese Kinder haben auch ein erhöhtes Risiko, später mal an Asthma oder eben Heuschnupfen zu erkranken."
Bisher hat man den Feinstaub aus Verkehr und Holzheizungen vorwiegend mit Herz- und Kreislauferkrankungen in Verbindung gebracht. Doch inzwischen ist klar: Dieselruß fördert auch die Verbreitung von Allergien. Die mikroskopisch kleinen Luftschadstoffe sind demnach wichtige Ko-Faktoren im Allergie-Geschehen. Auf der Oberfläche der Dieselruß-Partikel sitzt eine Vielzahl sogenannter Polyzyklischer Aromatischer Kohlenwasserstoffe oder kurz PAK. In einer weiteren Studie brachten die Münchener Forscher die Substanzen mit Blutproben von Birkenpollen-Allergikern zusammen. Und stellten dabei fest, so Schober:
"daß diese PAK den Effekt, den das Allergen alleine macht, verstärkt."
Es kam zu ganz ähnlichen Entzündungsreaktionen. Schober:
"Und das könnte eben weitreichende Folgen haben für Individuen, die eine Sensibilisierung haben, aber die noch keine allergischen Symptome entwickelt haben. Dergestalt, daß die PAK; die wir in der Umwelt finden, diesen noch nicht erkrankten Patienten in einen Krankheitszustand überführen könnten."
Erstaunlich auch ein anderer Befund. Demnach können die Allergene in der Luft von einem Pflanzenpollen auf die Feinstaubkörnchen umsteigen. Das öffnet ihnen ganz neue Eintrittspforten in den Körper. Schober:
"Die Allergenträger, die Pollen, haben eine Größe von etwa sieben bis 150 Mikrometern, je nach Pflanzenart. Und können gar nicht so tief in die Lunge eindringen wie das beispielsweise der Feinstaub kann."
Viele der Ruß-Partikel sind nur wenige Mikrometer groß und gelangen bis in die feinsten Verästelungen der Lunge.
"Es sind klassische Irritantien, die eben irritierend auf Haut und Schleimhaut wirken und die Durchlässigkeit dieser natürlichen Barrieren erhöhen. Und dadurch ist natürlich Tür und Tor geöffnet für die Allergene."
Schätzungsweise jeder zehnte Bundesbürger ist inzwischen Pollen-Allergiker. Und, so Karl-Christian Bergmann:
"Etwa jeder dritte Deutsche hat heute schon einen Antikörper gegen eines dieser Allergene, die in der Luft rumfliegen."
Man muss davon ausgehen, daß das Problem der Allergien also noch größere Dimensionen annimmt. Ein beunruhigender Ausblick! Doch die Gesellschaft muss dem nicht tatenlos zusehen. Sie hat Möglichkeiten, etwas zu tun, um das Erkrankungsrisiko zu verringern – gestützt auf die Forschungsergebnisse der jüngsten Zeit. So fordern die Allergologen weitere Anstrengungen in der Luftreinhaltepolitik. Städtische Umweltzonen und Partikelfilter für Dieselfahrzeuge halten sie auch aus ihrer Sicht für sinnvoll. Es sei wichtig, so Schober,
"daß wir darauf achten, den Emissionsausstoß generell zu verringern. Das gilt ja nicht nur für CO2, sondern für andere Gase wie Stickoxide und auch Schwefeldioxid. Und eben die partikulären Emissionen."
Die Gefahr, die von eingeschleppten Arten wie der Beifuß-Ambrosie ausgeht, werde noch immer unterschätzt, monieren die Fachärzte. Ungern denken sie an Diskussionen, die es in Bayern dazu gab. Jeroen Buters:
"Und die Politiker haben aber gesagt: 'Lasst das Zeug doch wachsen! Wir haben überhaupt keine Symptome.' Die Symptome kommen erst drei bis zehn Jahre später. Das bedeutet: Wenn Sie in zehn Jahren Symptome haben, sind Sie zu spät. Erstens, die Bevölkerung ist schon sensibilisiert und das werden die nie wieder verlieren. Und die Ambrosia ist in der Zwischenzeit weitergewachsen. Deswegen ist es ganz wichtig: Man muss die Ambrosia vorher bekämpfen! Und nicht erst, wenn man die Symptome in der Bevölkerung hat."
Ganz generell würden sich die Allergie-Spezialisten wünschen, daß die schleichende Epidemie stärker in den Blickpunkt unserer Gesundheitspolitiker gerät. Die nähmen die Erkrankung mehrheitlich nicht ernst. Buters:
"Die sagen einfach: Ach, man fühlt sich ein paar Wochen schlecht. Und das war es einfach. Dass aber ungefähr ein Drittel der Bevölkerung leidet, das wird einfach vernachlässigt."
Und nicht nur das, so Carsten Schmidt-Weber:
"Der volkswirtschaftliche Schaden, der dadurch entsteht, der ist riesig. Der ist wirklich riesig. Und deswegen müssen wir da aktiv werden."
Karl-Christian Bergmann:
"Ja. Dann werde ich das wieder hineintun. [Und dann schalten wir wieder die Saugung ein, und jetzt saugt er eben wieder die Luft an."
"Wir haben jetzt hier die Pollenfalle vor uns auf dem Dach der Hautklinik in der Charité. Und im Hintergrund hören wir dieses saugende Geräusch. Eine Pumpe saugt jetzt zehn Liter Luft pro Minute durch einen kleinen Schlitz. Durch diesen Schlitz kommt alles, was in der Luft ist, prallt dann auf einen Tesafilm-Streifen. Und dieser Tesafilm wird dann herausgenommen nach einem Tag. Und wird unters Mikroskop gelegt. Und es wird gezählt: Welche Pollen sind drauf? Und wie viele?"
Karl-Christian Bergmann ist Lungenarzt im Allergie-Zentrum der Charité. Das Instrument vor ihm steht etwas erhöht auf drei Beinen. Bergmann hält einen gewissen Abstand, um der dann und wann ausschwenkenden Windfahne nicht zu nahe zu kommen.
"Darunter ist eine größere Trommel, so wie ein Kochtopf die Größe etwa. Darin befindet sich der Motor. Und über diesem Kochtopf ist also eine kleine Säule mit dem besagten Schlitz. Es ist also ungefähr so groß wie ein Stuhl."
Bergmann hat sich auf Allergien der Atemwege spezialisiert. Der Mediziner ist auch Professor an der Universität Hannover und leitet die Stiftung Deutscher Polleninformationsdienst.
"Am wichtigsten sind in Deutschland sechs Pollen. Das sind nämlich die Pollen von Haselnuss, Erle und Birke. Dann kommen die Gräser, die eine Einheit bilden, und der Roggen. Und schließlich, von den Kräutern, der Beifuß. Die decken über 90 Prozent der Pollen ab, die zu Allergien führen."
"So, dann steig’ ich mal hier oben rauf auf den Tritt und öffne das jetzt hier oben."
Fast 50 solcher Instrumente sind über ganz Deutschland verteilt und liefern dem Polleninformationsdienst ständig aktuelle Messdaten. Bergmann:
"Alle europäischen Länder haben heute eigene Pollenmesssysteme. Und alle diese Daten kommen in Wien zusammen. So dass wir in Wien also einen ungeheuren Datenpool haben, über die letzten 20, 25 Jahre. Und daraus auch ersehen können, ob die Pollen sich in ihrer Art und Zahl in der Luft verändern. Und die tun das eben."
Es ist nicht nur ein dumpfes Gefühl, das viele heute beschleicht, weil es plötzlich Verwandte, Bekannte oder sie selbst trifft. Die Krankenakten und Studienergebnisse von Fachärzten und Forschern wie Bergmann bestätigen eindrücklich: Die Zahl von Pollenallergikern in der Bevölkerung nimmt ständig zu, ein Ende des alarmierenden Trends ist nicht abzusehen. Bergmann:
"Wir haben über ganz Europa die Daten erhoben. Wir haben den Eindruck, dass eben in der Bevölkerung die Erkrankung sehr erfolgreich ist, das heißt immer mehr Leute sind krank dadurch. Und das geben die epidemiologischen Zahlen wieder. Das ist mal klar."
Schon heute leidet schätzungsweise jeder zehnte Deutsche an einer Pollenallergie und plagt sich während der Blütezeit mit Heuschnupfen herum oder – schlimmer noch – mit Asthma. In Zukunft dürfte es noch mehr Betroffene geben, fürchtet Carsten Schmidt-Weber. Der Biologe leitet seit kurzem das ZAUM, das Zentrum für Allergie und Umwelt an der Technischen Universität München:
"Ich denke, bei den Kindern ist es besonders beeindruckend. Da ist es tatsächlich so, dass es Vorhersagen gibt, dass in den nächsten zwei, drei Jahren jedes vierte Kind Allergiesymptome haben wird. Das muss man sich mal vorstellen! Wir sprechen eigentlich von einer Epidemie, das heißt also es werden immer mehr."
Nichts geändert hat sich an der grundlegenden Einschätzung: Dass Allergien in den westlichen Industrieländern zunehmen, im Prinzip seit gut fünf Jahrzehnten, hat mit unserem Lebensstil zu tun. Der Niederländer Jeroen Buters, Professor für Toxikologie an der TU München:
"Es muss [so] sein. Die Leute können [sich] genetisch nicht so schnell ändern. Also muss etwas in der Umwelt sein, das das macht, dass die Allergien so schnell steigen in so kurzer Zeit. Nur die Frage [ist]: Was ist das?"
Eine bedeutende Rolle spielen mit einiger Sicherheit verbesserte Hygienebedingungen, wie die Forscher schon länger vermuten. Schmidt-Weber:
"Bei Untersuchungen, die in Bauernhöfen durchgeführt wurden, da ist es zum Beispiel so, dass man beobachtet hat, dass Kinder, die innerhalb des ersten Lebensjahres sich im Kuhstall aufgehalten haben, das heißt, da hat die Mutter das Kind mit zum Ausmisten genommen – dass diese Kinder fast komplett gegen Allergien geschützt sind, ja. Da ist eben die Anzahl von Mikroorganismen sehr hoch."
Bergmann:
"In den ersten Lebensmonaten, in den ersten Lebensjahren Kontakt haben zu Teilen von Bakterien, ist offenbar entscheidend. Das ist offenbar ein Stimulus für unser Immunsystem, dann so gereift zu sein, dass ich auf Allergene nicht hereinfalle, möchte ich fast sagen. Insofern glaube ich, dass diese Hygiene-Theorie wirklich von Bedeutung ist. Vieles spricht dafür."
Auch im späteren Kindesalter gibt es Faktoren, die das Allergierisiko bekanntermaßen beeinflussen. Jeroen Buters:
"Man schaut einfach mehr Fernsehen. Und die Kinder, die mehr Fernsehen schauen, kriegen mehr Allergien. Aber es ist nicht, weil sie Fernsehen schauen, sondern weil sie nicht mehr nach draußen kommen. Die müssen Sport machen. Und die müssen einfach kalte Luft einatmen. Solche Sachen."
Doch auch Erwachsene leiden immer stärker unter Pollenallergien. Obwohl viele von ihnen in der Kindheit nicht so viel Zeit vor dem PC- oder Fernsehbildschirm verbrachten, auf Bauernhöfen aufwuchsen oder sich mehr in der Natur bewegten. Carsten Schmidt-Weber:
"Also auch da gibt es eine zunehmende Anzahl von Patienten. Die Situation ist genauso dramatisch wie bei den Kindern."
Selbst ein gesegnetes Alter scheint vor Krankheit nicht mehr zu schützen. Ärzte berichten neuerdings sogar von Patienten, die noch mit 70 Jahren erstmals einen Heuschnupfen oder allergisches Asthma bekommen. Und bei denen das Immunsystem plötzlich auf Allergene reagiert, also auf bestimmte Bestandteile von Blütenpollen, die es ein Leben lang ignoriert hat. Wie kommt es zu einer solchen Entwicklung? Warum werden immer mehr Menschen - gleich welchen Alters – zu Pollenallergikern?
Die hyper-hygienische Kinderstube reicht den Experten als alleinige Erklärung nicht mehr aus. Sie wissen: Auch auf Seiten der Krankheitsauslöser hat sich Entscheidendes verändert. Das läßt sich von den Tesafilm-Streifen der landesweiten Pollenfallen ablesen. Seit wenigen Jahren hinterlässt dort eine neue, hochallergene Pflanze ihren Blütenabdruck.
"Was haben wir, was haben wir jetzt da für eine Nummer?"
"21."
"21."
"Das ist auf der anderen Seite."
"Ja, genau, auf der anderen Seite. Denn hier waren wir doch schon."
Der Stadtbezirk Köpenick im Südosten von Berlin. Es ist immer noch derselbe, heiße Juni-Tag.
"Wir sind mit dem Team 1 unterwegs. Wir sind jetzt auf dem Weg zu einem Fundort."
Malte Brauns ist Landschaftsarchitekt und bei der Trias GmbH beschäftigt, einem Träger gemeinnütziger Projekte. Brauns:
"Wir machen jetzt relativ viele Funde. Also fast jedes Team hat jeden Tag Funde. Und hier haben wir eine!"
Brauns streift mit einem fünfköpfigen Trupp von Pflanzen-Scouts durch das Wohngebiet. Alle tragen einen kreditkartengroßen Dienstausweis an der Kleidung. Das Team durchkämmt die Gegend nach einer krautigen Pflanze. Ihre typischen Kennzeichen: gefiederte Blätter, behaarte, oft rötliche Stengel und gelbe Blütenstände, die in ihrer Gestalt Getreideähren ähneln. Wo die Scouts den Störenfried antreffen, rupfen sie ihn aus. Ganz offiziell. So wie hier, im Vorgarten eines modernisierten Plattenbaus.
"Und warum werden die jetzt rausgemacht?"
"Weil die gefährlich sind. Ab Juli, August fangen die an, Pollen zu bilden. Und diese Pollen sind für Allergiker überhaupt nicht gesund. Das kann bis zum Krankenhaus führen."
"Ach so! Na, dann macht sie schnell raus! Also, ich bin Allergiker. Deswegen."
"Ja, deswegen. Da sind wir ja goldrichtig hier bei Ihnen."
Die Pflanze, auf die es die Köpenicker Scouts abgesehen haben, ist die Beifuß-Ambrosie. Ein Gewächs aus der Familie der Korbblütler, manchmal auch Aufrechtes Traubenkraut genannt ...
"So, das ist dann hier Vorgarten am Balkon."
"Mhm."
Die Pflanze ist keine heimische Art. Sie wurde eingeschleppt. Ursprünglich stammt sie aus Nordamerika. Ihre Samen stecken häufig in Vogelfutter, bei dem man es mit der Sortenreinheit nicht so genau nimmt.
"So, Größe: Was war sie gewesen?"
"Was schätzen wir?"
"Fünf bis zehn Zentimeter war sie nicht. Die war schon größer. Zehn bis 50."
"Zehn bis 50."
"Mhm."
Berlin zählt zu den Regionen in Deutschland, in denen sich die Ambrosie verstärkt ausbreitet ...
"Quadratmeterzahl, nehmen wir mal an. Bei der einen ist das jetzt unwichtig. Da brauchst Du bloß einzutragen: unter zehn Quadratmeter."
Nicht immer stoßen die Ausrupf-Kommandos nur auf einzelne Exemplare. Es können auch schon mal dichte Bestände sein, bevorzugt auf Brachflächen und an Straßenrändern.
"Tatsache, da ist auch noch eine!"
Charité-Forscher Bergmann beobachtet die Entwicklung mit Sorge:
"Ambrosia hat die Eigenschaft, dass man noch weniger Pollenmengen einatmen muss oder in die Nase bekommen muss, um Symptome zu haben."
In der Schweiz und in Frankreich hat sich die Pflanze schon massiv ausgebreitet und wird bekämpft. Jetzt könnte Deutschland folgen. In den Pollenfallen hinterließ die Pflanze vor vier Jahren erstmals einen Abdruck. In Bayern, Baden-Württemberg, Hessen und Brandenburg finden sich inzwischen größere Bestände. Karl-Christian Bergmann:
"Ich denke, wir sind hier in der Charité die einzigen, die bis jetzt wirklich gemessen haben: Zehn bis 15 Pollen reichen aus, um akute Symptome zu machen. Die Birke ist ja auch relativ aggressiv. Aber wir brauchen bei der Birke mindestens 30 bis 40."
Dabei ist die Ambrosie nicht nur hochallergen, sondern auch noch eine wahre Pollen-Schleuder: Pro Saison kann sie bis zu einer Milliarde Blütenstaub-Körner freisetzen. Mediziner bezweifeln nicht mehr, dass der Neueinwanderer die Zahl von Allergien in Deutschland schon jetzt hochtreibt. Das Traubenkraut blüht erst spät im August und September, ja sogar bis in den Oktober hinein. Auch an der Berliner Charité-Klinik behandelt Karl-Christian Bergmann bereits Patienten mit typischem Spätsommer-Heuschnupfen. In ihrer Heimat Nordamerika, wo die Ambrosie mit am häufigsten unter allen Pflanzen Allergien auslöst, ist die Situation noch brenzliger. Bergmann:
"Bei den übrigen Pollenarten, die wir im Fokus haben, also Hasel, Erle, Birke, Gräser, Roggen, Beifuß, ist es so, dass fast immer der Patient zunächst einen allergischen Schnupfen entwickelt, den Heuschnupfen. Und dann bekommt etwa jeder dritte Heuschnupfen-Patient ein allergisches Asthma. Bei der Ambrosia scheint es – zumindest in den USA – anders zu sein. Dort ist es so, dass mehr Allergiker sofort ein Asthma entwickeln."
Damit hat die Allergie von Beginn an eine andere Tragweite. Bergmann:
"Mit dem Asthma ist ja doch verbunden in vielen Fällen eine schwere Einschränkung der Lebensqualität. Mit nächtlichem Aufwachen. Mit dem Gefühl, nicht genug Luft zu bekommen. Mit der Aufnahme in der Notsituation. Ich kann mich nicht mehr so körperlich belasten. Das ist alles sehr schwerwiegend. Und wenn man nun einen Pollen hat, von dem man sagt, es führt gleich zum Asthma, dann ist das schon bedeutungsvoll."
Für Deutschland kann der Berliner Lungenfacharzt die direkte Auslösung von Asthma durch Ambrosia-Pollen bis jetzt allerdings noch nicht bestätigen. Überhaupt seien entscheidende Fragen noch offen. Bergmann:
"Wieviel Allergen ist in einem Ambrosia-Pollen drin? Das sind Daten, die wir gar nicht aus den USA wirklich kennen. Sind die Allergene bei uns in Europa wirklich genauso aggressiv? Das wissen wir bis jetzt noch nicht."
Die Situation wird noch dadurch kompliziert, dass Pflanzenpollen in der Atmosphäre weite Strecken zurücklegen können und dabei Landesgrenzen überschreiten. Ein Ziel dieser Luftpost-Sendungen ist zum Beispiel Dresden. Karl-Christian Bergmann:
"Dresden ist sozusagen die Ambrosia-Hauptstadt von Deutschland, gemessen an der Zahl von Ambrosia-Pollen, die man dort in der Falle findet. Aber die sind eben zum größten Teil am Nachmittag erst in der Pollenfalle. Da wir wissen, dass Ambrosia ihre Pollen nur in den Morgenstunden abgibt, und dann ihre Pforten wieder schließt, kann man jetzt sagen: Wenn die Pollen erst am Nachmittag in der Falle sind, dann kommen die von weither."
Und zwar aus der ungarischen Tiefebene, wie man heute weiß. Dort bedeckt die Ambrosie heute riesige Ackerflächen, die nach dem Ende des Kommunismus brachfielen. Weht der Wind aus Osten, trägt er die Pollen bis nach Ostdeutschland. Bergmann:
"Und dagegen kann man gar nichts tun."
Auch der Fernimport hat seinen Anteil daran, dass in Deutschland inzwischen jeder Siebte beim sogenannten Prick-Test auf Ambrosia-Pollen anspricht. Das kam bei einer europäischen Vergleichsstudie mit rund 3000 Patienten heraus. Sie alle hatten sich zur Abklärung von Symptomen in ein Allergiezentrum begeben. Guido Burbach zählt zu den Hauptautoren der Studie. Auch er ist Arzt an der Haut- und Allergieklinik der Berliner Charité:
"Ein Prick-Test ist ein Hauttest, der uns zeigt, ob eine gewisse Bereitschaft des Körpers da ist, auf ein Allergen zu reagieren. Der Prick-Test wird im Prinzip so durchgeführt, dass man ein Allergen auf die Haut auftropft, dann mit einer kleinen Lanzette in die Haut piekst. Und die Reaktion normalerweise ist - wenn der Patient positiv auf das Allergen reagiert – die Entwicklung einer Quaddel."
Der Gepiekste ist in dem Fall sensibilisiert, wie man sagt. Er muss nicht zwingend an einer Allergie erkranken, aber eine erste Vorbedingung dafür ist erfüllt. Insofern sind steigende Sensibilisierungsraten in der Bevölkerung ein Warnsignal. Sie sprechen für eine verstärkte Neigung zu Allergien. Burbach fand sie nicht nur im Fall der Beifuß-Ambrosie, sondern auch bei einer anderen Pflanze. Immer häufiger schmückt sie Gärten, Terrassen und Balkone: die im Mittelraum heimische Olive ...
"Und zwar haben wir im südlichen, mediterranen Raum verstärkt Sensibilisierungen gegenüber Olivenpollen gefunden. Aber eben auch in anderen europäischen Ländern, wo wir das eigentlich nicht erwartet haben. In den Niederlanden, oder in Belgien. Aber auch in Deutschland. In Deutschland zum Beispiel bis zu neun Prozent."
Mit den Pollen der Olivenbäume treten weitere Allergene auf den Plan, denen die Bevölkerung früher nicht ausgesetzt war. In Deutschland und den Beneluxstaaten sind bereits Krankheitssymptome aufgetreten nach dem Kontakt mit Oliven-Pollen. Burbach:
"Ambrosia und Olive, das sind eigentlich so die zwei, die wir rausgreifen können, wo wir sagen: Da hat sich deutlich etwas getan. Da ist die Sensibilierungsrate doch ganz arg gestiegen."
Die europäische Vergleichsstudie hat noch ein anderes interessantes Ergebnis gebracht. Das Risiko, tatsächlich an einer Allergie zu erkranken, wächst beträchtlich mit der Gesamtzahl der Sensibilisierungen. Das heißt: Wer schon Antikörper gegen alle möglichen Pollen-Allergene im Blut hat, womöglich ohne es zu wissen – der bekommt am Ende eher Heuschnupfen oder Asthma als jemand, der vielleicht nur auf Birke und Gräser sensibel reagiert. Auch das könnte ein Weg sein, auf dem Ambrosie und Olive das Auftreten von Allergien ankurbeln: Indem sie das Immunsystem über die kritische Zahl von Sensibilisierungen treiben. Guido Burbach:
"Ja, also wenn noch mehr Sensibilisierungen hinzukommen, steigt die Wahrscheinlichkeit, eine allergische Erkrankung zu entwickeln."
"Wir kommen jetzt gerade hier ins Gewächshaus rein und stehen vor einer Pflanzenkammer."
"Ja."
"Und wenn wir nach oben schauen, sehen wir ein Schild, da steht drauf: 'Gasbetrieb''."
"Um anzuzeigen, daß momentan in dieser Kammer mit erhöhten CO2-Konzentrationen gearbeitet wird."
Ein weiterer heißer Juni-Tag, diesmal in Neuherberg bei München. Dort unterhält die Helmholtz-Gemeinschaft das Deutsche Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt.
"Wir hören momentan die automatische Luftbefeuchtungsanlage. Das kommt aus feinen Düsen heraus. Und es sind mehrere solche Düsen hier angebracht im gesamten Raum, so daß eine gleichmäßige Wasserverteilung stattfinden kann."
Ulrike Kanter und Dieter Ernst, beide Botaniker, zieht es in die Gewächshaus-Kammern 3 und 4. Wären die Berliner Ambrosia-Scouts mit dabei, sie könnten hier eine wahre Ausrupf-Orgie starten. Denn auch in den Versuchskammern wächst das Traubenkraut. Es sind 400 Exemplare. Dabei soll es allerdings auch bleiben. Kanter:
"Wir stecken den Blütenstand in eine Plastikröhre, damit sich der Pollen nicht im ganzen Raum verteilt. Wir wollen ihn in unseren Trichtern haben, weil wir den später beproben und analysieren wollen. Und damit der Pollen in diesen Trichter gut reinfallen kann, oder man das Ganze beschleunigt, kann man sanft dagegen klopfen.Und dann fällt der Pollen nach unten."
In den beiden Kammern wachsen die Traubenkräuter unter kontrollierten Bedingungen – einmal mit der ganz normalen Konzentration von CO2 in der Umgebungsluft. Das andere Mal mit dem doppelten Gehalt des Treibhausgases.
"Die Pflanzen wachsen ein bisschen größer auch schon als die in der anderen Kammer. Und auch bei den Pollen wird halt gesagt, daß dort durchaus Unterschiede zu sehen sind. Der Pollen hier wird dann auch von unseren Kooperationspartnern in der Medizin untersucht werden: ob der unter erhöhtem CO2 produzierte Pollen wirklich ein erhöhtes allergenes Potential besitzt im Vergleich zu normalen CO2-Verhältnissen."
Das ist die Annahme von Allergologen und Immunologen: Auch der ständige Anstieg von Kohlendioxid in der Atmosphäre ist ein Faktor, der das Allergie-Risiko für den Menschen erhöht. Grüne Pflanzen wachsen durch CO2 nicht nur kräftiger; sie produzieren auch mehr Blütenstaub. Charité-Experte Karl-Christian Bergmann verweist auf jüngste Untersuchungsergebnisse:
"Wir haben beobachtet, daß die Pollen von den Bäumen - also das ist Haselnuss, Erle und Birke - über die Jahre deutlich zugenommen haben. Wenn wir die letzten zehn Jahre nehmen, dann haben wir eine Erhöhung um rund 20 Prozent. Wenn wir noch frühere Daten nehmen, das haben wir stichprobenartig gemacht, dann ist dieser Trend noch einmal verstärkt da."
Das Kohlendioxid stammt überwiegend aus der Verbrennung von Kohle, Öl und Erdgas. Sein Zuwachs ist der Hauptgrund dafür, daß sich das Klima der Erde erwärmt und die Lufttemperaturen fast überall steigen. Darauf reagiert die Pflanzenwelt ebenfalls: Sie dehnt ihre Vegetationsperiode aus. So verlängert sich auch die Pollensaison. Jeroen Buters von der TU München:
"Früher blühte die Birke im April und das Gras im Juni, und dann war es fertig. Wir fangen jetzt an, daß durch die Klimaerwärmung die Hasel schon im Dezember kommt. Das sollen Sie mal sehen, wenn die Haselbäume mit ihren Füßen im Schnee stehen, fliegen die Pollen schon! Und Ambrosia kommt jetzt und geht Mitte November. Das bedeutet: Von einer ganz kurzen Allergen-Belastung gehen wir über [zu] einer Belastung über das ganze Jahr."
Auch der Vormarsch der Beifuß-Ambrosie wird durch den Klimawandel forciert. Lokal kommt das spätblühende Kraut zwar schon länger in Deutschland vor. Und neue Trittsteine findet es überall dort, wo seine Samen versehentlich aus Vogel-Häuschen plumpsen. Die neue Expansionslust der Art hat aber vor allem mit den gestiegenen Außentemperaturen zu tun. Dadurch fasst die wärmeliebende Pflanze jetzt auch nördlich der Alpen viel besser Fuß. Buters:
"Und wenn jetzt durch die Klimawendung das Allergen ständig steigt, ist die Chance, daß mehr Menschen allergisch werden, immer größer."
Der Klimawandel übt schließlich auch eine Wirkung auf Gräser aus. Ihre Pollen-Produktion war zuletzt zwar leicht rückläufig. Dafür blüht die Gras-Flora in manchen Regionen aber inzwischen bis in den November hinein. Dann klingt bereits der Herbst aus. Für das Immunsystem ist das eine stressige Zeit, wie der Münchener Institutschef Schmidt-Weber sagt. Es ringt mit den ersten Infekten der kalten Jahreszeit.
"Im Herbst, wenn diese ganzen Grippewellen über uns hinwegziehen. Wenn das Immunsystem sagt: Hallo, hier kommt eine Gefahr! Hier ist ein Entzündungspotential. Dann kann es eben sein, wenn das Allergen dummerweise zu diesem Moment da ist, daß die Immuntoleranz gegen das Allergen gebrochen wird. Und dann ist es eigentlich, so weit wir das wissen, gar nicht so relevant, ob jetzt viel oder wenig Allergen vorhanden ist."
Keine angenehme Vorstellung, daß das Immunsystem genau dann auch noch mit einem ganz neuen Allergen konfrontiert wird – dem Pollen der Beifuß-Ambrosie. Schmidt-Weber:
"Das heißt hier haben wir jetzt wirklich eine Alarm-Situation."
Zurück in Ost-Berlin. Nicht auf dem Dach der Charité, sondern in der Straßenschlucht der Frankfurter Allee, einer der großen Verkehrsadern der Hauptstadt. 60.000 Autos benutzen sie täglich. Aus den Auspufftöpfen der Autos quillt Feinstaub. Es sind vor allem Diesel-PKW und Lastkraftwagen ohne Partikelfilter, die den Feinstaub produzieren. Der Ruß läßt die Messinstrumente ausschlagen. Nicht nur in Berlin übrigens. Auch in anderen Städten
"Da gibt es eine aktuelle Studie, in der unser Haus auch mitgewirkt hat. Es ist eine Studie an sechsjährigen Kindern in München, die ganz klar gezeigt hat: All jene Kinder, die in einem Haus gewohnt haben weniger als 50 Meter entfernt von einer verkehrsreichen Straße, haben ein höheres Risiko, sich gegenüber einem Allergen der Außenraumluft zu sensibilisieren als jene, die weiter weg wohnen."
Wolfgang Schober, Toxikologe und Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Münchener Allergiezentrum ZAUM.
"Und diese Kinder haben auch ein erhöhtes Risiko, später mal an Asthma oder eben Heuschnupfen zu erkranken."
Bisher hat man den Feinstaub aus Verkehr und Holzheizungen vorwiegend mit Herz- und Kreislauferkrankungen in Verbindung gebracht. Doch inzwischen ist klar: Dieselruß fördert auch die Verbreitung von Allergien. Die mikroskopisch kleinen Luftschadstoffe sind demnach wichtige Ko-Faktoren im Allergie-Geschehen. Auf der Oberfläche der Dieselruß-Partikel sitzt eine Vielzahl sogenannter Polyzyklischer Aromatischer Kohlenwasserstoffe oder kurz PAK. In einer weiteren Studie brachten die Münchener Forscher die Substanzen mit Blutproben von Birkenpollen-Allergikern zusammen. Und stellten dabei fest, so Schober:
"daß diese PAK den Effekt, den das Allergen alleine macht, verstärkt."
Es kam zu ganz ähnlichen Entzündungsreaktionen. Schober:
"Und das könnte eben weitreichende Folgen haben für Individuen, die eine Sensibilisierung haben, aber die noch keine allergischen Symptome entwickelt haben. Dergestalt, daß die PAK; die wir in der Umwelt finden, diesen noch nicht erkrankten Patienten in einen Krankheitszustand überführen könnten."
Erstaunlich auch ein anderer Befund. Demnach können die Allergene in der Luft von einem Pflanzenpollen auf die Feinstaubkörnchen umsteigen. Das öffnet ihnen ganz neue Eintrittspforten in den Körper. Schober:
"Die Allergenträger, die Pollen, haben eine Größe von etwa sieben bis 150 Mikrometern, je nach Pflanzenart. Und können gar nicht so tief in die Lunge eindringen wie das beispielsweise der Feinstaub kann."
Viele der Ruß-Partikel sind nur wenige Mikrometer groß und gelangen bis in die feinsten Verästelungen der Lunge.
"Es sind klassische Irritantien, die eben irritierend auf Haut und Schleimhaut wirken und die Durchlässigkeit dieser natürlichen Barrieren erhöhen. Und dadurch ist natürlich Tür und Tor geöffnet für die Allergene."
Schätzungsweise jeder zehnte Bundesbürger ist inzwischen Pollen-Allergiker. Und, so Karl-Christian Bergmann:
"Etwa jeder dritte Deutsche hat heute schon einen Antikörper gegen eines dieser Allergene, die in der Luft rumfliegen."
Man muss davon ausgehen, daß das Problem der Allergien also noch größere Dimensionen annimmt. Ein beunruhigender Ausblick! Doch die Gesellschaft muss dem nicht tatenlos zusehen. Sie hat Möglichkeiten, etwas zu tun, um das Erkrankungsrisiko zu verringern – gestützt auf die Forschungsergebnisse der jüngsten Zeit. So fordern die Allergologen weitere Anstrengungen in der Luftreinhaltepolitik. Städtische Umweltzonen und Partikelfilter für Dieselfahrzeuge halten sie auch aus ihrer Sicht für sinnvoll. Es sei wichtig, so Schober,
"daß wir darauf achten, den Emissionsausstoß generell zu verringern. Das gilt ja nicht nur für CO2, sondern für andere Gase wie Stickoxide und auch Schwefeldioxid. Und eben die partikulären Emissionen."
Die Gefahr, die von eingeschleppten Arten wie der Beifuß-Ambrosie ausgeht, werde noch immer unterschätzt, monieren die Fachärzte. Ungern denken sie an Diskussionen, die es in Bayern dazu gab. Jeroen Buters:
"Und die Politiker haben aber gesagt: 'Lasst das Zeug doch wachsen! Wir haben überhaupt keine Symptome.' Die Symptome kommen erst drei bis zehn Jahre später. Das bedeutet: Wenn Sie in zehn Jahren Symptome haben, sind Sie zu spät. Erstens, die Bevölkerung ist schon sensibilisiert und das werden die nie wieder verlieren. Und die Ambrosia ist in der Zwischenzeit weitergewachsen. Deswegen ist es ganz wichtig: Man muss die Ambrosia vorher bekämpfen! Und nicht erst, wenn man die Symptome in der Bevölkerung hat."
Ganz generell würden sich die Allergie-Spezialisten wünschen, daß die schleichende Epidemie stärker in den Blickpunkt unserer Gesundheitspolitiker gerät. Die nähmen die Erkrankung mehrheitlich nicht ernst. Buters:
"Die sagen einfach: Ach, man fühlt sich ein paar Wochen schlecht. Und das war es einfach. Dass aber ungefähr ein Drittel der Bevölkerung leidet, das wird einfach vernachlässigt."
Und nicht nur das, so Carsten Schmidt-Weber:
"Der volkswirtschaftliche Schaden, der dadurch entsteht, der ist riesig. Der ist wirklich riesig. Und deswegen müssen wir da aktiv werden."
Karl-Christian Bergmann:
"Ja. Dann werde ich das wieder hineintun. [Und dann schalten wir wieder die Saugung ein, und jetzt saugt er eben wieder die Luft an."