Es ist noch nicht lange her, da wollte Karolina Molska auswandern, wie viele junge Polen:
"Ich hatte mir schon bestimmte Städte und Schulen ausgesucht, auf die ich gerne gehen wollte. Nach dem Lyzeum dachte ich eigentlich nur an dieses Flugzeug, das mich von hier wegbringt. Aber dann habe ich angefangen, mich zu engagieren, im Jugend-Ausschuss unseres Stadtviertels. Und da habe ich so viele ehrgeizige und talentierte Menschen kennengelernt. Die würden im Ausland sofort ein Stipendium bekommen. Das hat mich stutzig gemacht."
Karolina Molska sitzt auf der Terrasse eines Cafés im Zentrum von Warschau. Rundherum moderne Bürobauten. An diesem Ort deutet nichts darauf hin, dass Polen immer noch deutlich ärmer ist als der EU-Durchschnitt.
EU-Wahlen gewinnen an Bedeutung
Die Schülerin hat entdeckt, dass es lohnend sein kann, sich für sein Land einzusetzen. Heute ist die 18-Jährige Mitbegründerin der Jugend-Organisation "Vorfrühling". Sie gehört zur linksliberalen Partei "Frühling", die bei der anstehenden EU-Wahl zum ersten Mal in ein Parlament einziehen will. Und die, wenn das klappt, das polnische Parteiengefüge wieder nach links verschieben könnte. Spätestens bei der polnischen Parlamentswahl im Herbst. Vorsitzender von "Frühling" ist Robert Biedron. Er machte sich landesweit einen Namen, indem er für die Rechte Homosexueller eintrat.
Aber es gehe nicht nur um Polen, sondern auch um Europa, sagt Karolina:
"Auch in Polen gibt es EU-kritische Haltungen, sogar offene Ablehnung der EU - vor allem unter den Jungen. Sie erinnern sich nicht daran, wie das war, als Polen allein dastand. Sie verstehen nicht, dass die ganzen Investitionen ohne unsere Mitgliedschaft in der EU nicht gekommen wären. Sie können einfach nicht weit genug zurückschauen."
Außerdem hätten die Rechten auf echte Probleme konkretere Lösungen angeboten, meint sie - wenn auch völlig falsche Lösungen.
"Frühling" ist die polnische Partei mit Chancen bei der EU-Wahl, die stärker als andere auf Europa setzt. Sie schlägt einen EU-Reisepass vor. Die Reisepässe sollen in allen Mitgliedsstaaten gleich aussehen. Doch auch diese Partei fordert zum Beispiel nicht die Einführung des Euro, zu der sich Polen beim EU-Beitritt vor 15 Jahren eigentlich verpflichtet hat.
PiS zeigt sich pro-europäisch
Die ganz große Mehrheit der Polen ist froh darüber, dass ihr Land Mitglied der EU ist. Aber eine tiefere Integration als bisher findet nur wenige Anhänger. Dennoch würden diese EU-Wahlen ernster genommen als frühere, meint Patryk Stachowski, 20 Jahre alt, ebenfalls bei "Vorfrühling":
"Bisher ging es bei EU-Wahlen darum, verdienten Parteifreunden eine luxuriöse Zeit im Westen zu gönnen. Deshalb war auch die Wahlbeteiligung immer so gering. Ich bin stolz, dass unsere Partei echte Experten ins Rennen schickt."
Aber auch die Regierungspartei "Recht und Gerechtigkeit", kurz PiS, gibt sich im Wahlkampf europäisch. "Polen - das Herz Europas", lautet ihr Slogan. Sie will mit aller Macht den Vorwurf der Opposition abwehren, dass sie Polen nach und nach aus der EU führe.
Karolina und Patryk sind inzwischen in einen kleinen Park in der Nähe gegangen. Hier kommt ein Radfahrer nach dem anderen vorbei, auch junge Leute auf elektrisch betriebenen Rollern. Aber nicht nur die Hauptstadt verändere sich, meint Patryk.
"Wir wollen eine Diskussion über die Rolle der katholischen Kirche, und dieses Thema trifft einen Nerv. Unser Parteivorsitzender ist durchs Land gereist, und überall war das mit das wichtigste Thema. Auch in der kleinen Stadt Krosno oder im Karpatenvorland haben die Leute gesagt: Es ist Zeit, Staat und Kirche wirklich zu trennen."
Bei der anstehenden Wahl geht es in Polen also um besonders viel: Es geht um die Zukunft Polens in Europa - und um Polen selbst.