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Polnischer Meisterkomponist

Am 25. Januar 1913 wurde er in Warschau geboren: der Komponist Witold Lutoslawski, der als Nestor der polnischen Musik-Avantgarde gilt. Vor allem in der Gattung der groß besetzten Symphonie betrat er Neuland. Seine Heimatstadt erinnert mit zahlreichen Veranstaltungen an den berühmten Sohn.

Von Jörn Florian Fuchs | 28.01.2013
    Als Musik begeisterter Zahlenfreak kommt man 2013 voll seine Kosten. Richard Wagner und Giuseppe Verdi werden 200, Benjamin Britten wird 100, Carlo Gesualdo ist 400 Jahre tot. Doch ein mittlerweile auch bei uns recht beliebter Pole würde ebenso seinen Hundertsten begehen: Witold Lutoslawski. Im Gegensatz zu manch anderem Kollegen seiner Zeit wurde Lutos³aswki vom Schicksal eher gnädig behandelt: Er stammt aus gutem Elternhaus, bekam eine solide Ausbildung und knüpfte rasch ein großes Netzwerk. Die Wirren der deutschen Terrorherrschaft und die russischen Zensurbestrebungen in Polen beeinträchtigten ihn zwar, bedrohten ihn jedoch nie existenziell. Weltanschaulich äußerte er sich kaum, die nationalistische Ideologie seiner Eltern hat er vermutlich eher abgelehnt.

    Auch in seiner Musik findet sich kein – außermusikalisches – Programm, keine Botschaft, keinerlei Didaktik. Claude Debussy und Bela Bartók, Arnold Schönberg und John Cage spielen eine Rolle in seinen Werken. Von Schönberg übernahm er die Idee, Klangsinnlichkeit durch Struktur und Abstraktion zu erzeugen, Cage stand Pate für aleatorische Elemente, die sich in vielen Stücken finden. Etwa in der "Partita" von 1988, hier kommunizieren Geige und Orchester, wobei das Soloinstrument einige Passagen improvisieren darf. Erlaubt ist freilich kein Abweichen von den Noten, es geht vielmehr um Freiheiten bei den Tempi und Variabilität bei der Intonation. In Warschau spielte Anne-Sophie Mutter das Stück hinreißend, begleitet von den exzellenten nationalen Philharmonikern unter Antoni Wit.

    Wir hören hier allerdings eine ältere Aufnahme mit dem Dirigenten Wojciech Michniewski und dem Solisten Krzysztof Jakowicz.

    Lutoslawski schrieb keine Opern und nur wenig Vokalwerke. Wichtig war ihm vor allem die groß besetzte Symphonie. Bemerkenswert ist sein erfolgreiches Bestreben, innerhalb der Gattung Neues auszuprobieren, ohne sich jedoch um ein Dogma wie den Materialfortschritt zu scheren. Innerhalb von 50 Jahren schuf er lediglich vier Symphonien, jede einzelne betritt indes Neuland. Seine Dritte wurde beim Festkonzert in der Warschauer Philharmonie gespielt und man merkt dem Komponisten die Freude am Erfinden bzw. Finden an. Jenseits von Volksliedton oder Kulinarik entsteht eher subkutan ein Melodiengeflecht, dass sich seinen Weg erst bahnen muss, Schönheit ergibt sich durch kontrollierte Klangsinnlichkeit, das Polnisch-Slawische ist vor allem durch die Rhythmik präsent.

    Lutoslawskis Einfluss als Lehrer wurde in der Uraufführung "Sostenuto für Orchester" von Pawel Szymañski deutlich. Der 1954 geborene Komponist schrieb eine würdige Hommage, die sich nie aufplustert, sondern bewusst im Schatten des Meisters bleibt. Harsches, tiefes Blech stöhnt auf, karge Streicherfiguren flackern, ein dissonantes Umhertasten führt erst am Schluss zu einer knappen, sehr lauten Apotheose.

    Witold Lutos³awski wird das Ganze Jahr über mit unzähligen Veranstaltungen gefeiert, es wurde eine App fürs Smartphone entwickelt, mit deren Hilfe man auf seinen Spuren durch Warschau wandern kann.

    Wer nicht ganz so weit reisen will, dem begegnet der polnische Neutöner auch in unseren Breiten noch häufiger. Neben Anne-Sophie Mutter ist etwa Simon Rattle ein großer Fan des Polen und überträgt seine Leidenschaft immer wieder auf seine Berliner Philharmoniker.