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Pompejis Rettung

Seit Jahren schreitet der Verfall Pompejis voran. Jetzt zieht die UNESCO die Notbremse. Sie fordert von Italien, bis Ende 2013 die Restaurierung ernsthaft in Angriff zu nehmen. Andernfalls soll die antike Grabungsstätte von der Liste der Weltkulturgüter gestrichen werden.

Von Thomas Migge | 02.07.2013
    "Versuchen wir eine Schätzung: Hier sind rund 150 Quadratmeter antike Fresken bedroht. Sie bröckeln ab, zerstört von Wind und Wetter, oder werden gestohlen. Sehen Sie hier, da sind Fresken schon von der Wand abgebröckelt und liegen im Gras!"

    Antonio Irlando ist Präsident der privaten Organisation Osservatorio Patrimonio Culturale, die sich um den Erhalt italienischer Kulturgüter kümmert. Der Kunsthistoriker führt uns durch die Straßen der 66 Hektar großen antiken Stadt mit ihren rund 1500 Häusern:

    "Hier zum Beispiel befand sich Putz mit einem Wandbild. Jetzt sieht man nur noch einen Rest davon. Wer weiß, in welchem Wohnzimmer eines Sammlers dieses Fresko jetzt als Prachtstück präsentiert wird. Um es auf den Punkt zu bringen: Pompeji verliert seine Haut!"

    Dass Pompeji seine Haut verliert, also seine kostbaren Wandmalereien, sieht auch die UNESCO so. Ganz zu schweigen von der bedrohten Statik vieler antiker Villen. Seit Jahren schon fordert die in Paris ansässige Weltkulturorganisation der Vereinten Nationen deshalb von der Regierung in Rom, endlich tätig zu werden. Weil das nicht geschehen ist, hat die UNESCO nun die Notbremse gezogen. Entweder nimmt sich Italien bis zum 31. Dezember dieser weltweit einzigartigen Grabungsstätte an, oder, so die Drohung, Pompeji wird von der Liste der Weltkulturgüter gestrichen. Giovanni Puglisi ist Präsident der italienischen UNESCO-Kommission:

    "Das Problem des Erhalts unserer Monumente ist immens groß, und ich wundere mich schon, dass man angesichts der Bedeutung Pompejis bis jetzt so wenig unternommen hat. Pompeji ist doch von nationaler Bedeutung."

    Im November 2010 sorgte der Zusammenbruch einer Mauer und des Daches einer Gladiatorenschule infolge schwerer Regenfälle international für Kritik an den Verantwortlichen Pompejis. Zum Einsturz war es wegen unsachgemäßer Restaurierungsarbeiten gekommen. Archäologen klagten seit Jahren gegen diese Restaurierungsarbeiten - die von Unternehmen ausgeführt wurden, die sicherlich gute Beziehungen zu Lokalpolitikern, aber von sachgerechtem Erhalt antiker Bauten nur wenig Ahnung hatten.

    Von einem systematischen Erhalt der antiken Bauwerke kann in Pompeji immer noch keine Rede sein: Streit um Zuständigkeiten, Gelder aus Rom versickern nirgendwo, mafiöse Bauunternehmen und andere Faktoren verhindern nach wie vor Restaurierung und Konservierung. Dabei sah Anfang dieses Jahres alles so gut aus, frohlockte im Februar Stefano Caldoro, Präsident der Region Kampanien:
    "Ein großes Projekt, 105 Millionen Euro, 42 kommen von der EU und 63 Millionen von der italienischen Regierung. Jetzt endlich wird es nicht mehr nur Notrestaurierungen geben."

    Doch wer geglaubt hatte, dass sich die Verantwortlichen - Archäologen und Politiker - endlich an einen Tisch setzen und ein Gesamtrettungsprogramm für Pompeji erarbeiten würden, wurde enttäuscht. Bis auf einige dringende Arbeiten, die in den letzten Monaten beschlossen wurden, ist von einer systematischen Restaurierung zum Beispiel der seit Jahren geschlossenen antiken Villen nichts zu sehen.

    Italiens amtierender Kulturminister Massimo Bray zeigt sich angesichts der UNESCO-Drohung peinlich berührt. Doch ihm sind die Hände gebunden: Zum einen hat Pompeji eine Superintendentin, in deren Verantwortung die antike Stadt liegt. Zum anderen schließen seit einigen Tagen stundenweise das Kolosseum, die Villa Borghese in Rom und andere Museen. Die Verantwortlichen demonstrieren auf diese Weise gegen zu wenig Finanzmittel und Aufsichtspersonal. Auch Pompeji machte in diesen Tagen aus dem gleichen Grund dicht: 138 Aufseher sind einfach zu wenig für ein so großes archäologisches Gebiet. Wütende Touristen standen in der heißen Sonne vor dem Eingang des Grabungsgebietes und protestierten gegen die Schließung.

    "Wir kriegen das alles schon hin", versichert jetzt der Minister - wirkt aber nicht so, als ob er selbst daran glauben würde.

    Klar ist: An Geld scheint es im Fall Pompeji nicht zu fehlen. Neben dem 105-Millionen-Euro-Geldregen aus Rom und Brüssel will auch der Unternehmer Pietro Salini 20 Millionen Euro für die antike Stadt spenden – doch eine kafkaeske Kulturbürokratie verhindert eine problemlose Umsetzung dieser großzügigen Spendenaktion. "Wenn die mein Geld nicht wollen", so Salini am Montag verbittert, "dann kaufe ich mir eben eine neue Yacht dafür!"