Katja Lucker: "Meine Kuratoren waren viel unterwegs und haben glaube ich vieles auch gesehen, was sie auch selber so spannend und neu fanden, dass sie gesagt haben: ‚Wir möchten das unbedingt gerne zeigen.‘"
Sagt Katja Lucker, Leiterin des Pop-Kultur Festivals. Und so hat ihr Team zur fünften Ausgabe des Events so viele Musikerinnen und Musiker aus Ost- und Südosteuropa eingeladen, wie noch nie.
Volksgesänge treffen auf Techno
"Zum Beispiel die Künstlerin Alyona Alyona aus der Ukraine, die wirklich so gar nicht dem Klischee einer Hip-Hopperin entspricht, sondern in Wirklichkeit Kindergärtnerin in ihrem Land ist."
Aus Belarus, das Trio Molchat Doma - zu Deutsch: "Die Häuser schweigen". Die endlosen Plattenbausiedlungen von Minsk spiegeln sich in den düsteren, kühlen New-Wave-Sounds der 80er.
Oder rumpliger Post-Punk aus Serbien: So klingt die Band Repetitor - roh im Sound, kraftvoll im Ausdruck.
Diese Beispiele zeigen schon: Das Pop-Kultur Festival hatte tatsächlich viel Neues aus dem Osten Europas zu bieten. Die Palette der Genres ist breit. Die Bands stehen den westlichen in nichts nach. Vielleicht müssen wir einfach öfter mal unsere Ohren bewusst in die andere Richtung drehen. Von West nach Ost.
Und uns einlassen auf ein ungewöhnliches und spannendes Amalgam aus heidnischen, volkstümlichen Gesängen von Dorfbewohnerinnen in Belarus. Das Duo Shuma spürt sie in einer Art ethnologischem Ansatz auf dem Land auf und mischt zeitgemäßen Techno und Deep-House dazu.
Melancholische, feministische Lieder
Rusia: "Diese Menschen in den Dörfern sind wirklich arm. Es gibt kein kulturelles Leben, keine Unterhaltung. Sie bauen ihr Gemüse selber an und kümmern sich um ihre alten Häuser. Und wenn wir zu ihnen kommen, fühlen sie sich respektiert; weil jemand mit ihnen spricht, ihre Hände berührt und etwas Freundliches sagt. Die Musik ist ihnen egal. Aber es ist eine lebendige, kulturelle Beziehung zwischen uns und den alten Frauen."
Die Texte der melancholischen Lieder sind feministisch, erzählt Sängerin Rusia, voller Drang nach Unabhängigkeit und Freiheit. Der Wunsch, nicht heiraten zu müssen, eigenständig bleiben zu wollen. Shuma wollen dieses kulturelle Erbe vor dem Vergessen bewahren.
Ins Gewissen reden, das wollen sie auch - ohne Furcht vor Konsequenzen in dem konservativen, autoritär geführten Land. Im Song "Hmarki" - zu Deutsch: Wolken - erzählen Shuma die Geschichte der Transgenderfrau Valeria Shendera, die sich als Junge der Mutter offenbarte und den Weg der Umwandlung zur Frau meisterte. Mit "Hmarki" und dem bewegenden Musikvideo dazu haben Rusia und ihr Partner Alexey Budzko die belarussische LGBTIQ-Kampagne "Superparents" unterstützt.
Rusia: "Wir wollten vor allem die Herzen der Mütter erreichen, ihnen mit diesem Video zeigen: ‚Es ist okay, wenn Dein Kind queer ist - unterstütze es, gib‘ ihm Liebe, es ist Dein Kind!‘. Und das hat viele Mütter berührt. Sie haben uns daraufhin E-Mails geschrieben; aber auch die jungen Leute: ‚Ich hab‘ das Video gehen, jetzt fühle ich mich stark genug fürs Coming-out.‘"
"Zensur in Russland ist da nicht ganz ehrlich"
Gänzlich unpolitisch, einfach nur melancholisch und kühl ist die Synth-Post-Punk-Noise-Wave-Musik von Alex Kelman aus Russland. "Siberian Pop" nennt der Gitarrist und Synthesizer-Spieler aus Novosibirsk seinen Sound, der von einer Sängerin und einem Schlagzeuger unterstützt wird. Alex Kelman hatte zuvor in Indie-Bands wie Punk TV gespielt, bevor er 2015 beschloss, solo Musik zu machen. Vorbilder: "My Bloody Valentine" und "The Cure", letztere nennt er "seine Bibel". Gesungen wird auf Englisch. Und so gibt es in Text und Ton wenig Eigenmarke. Die Themen sind universell.
Alex Kelman: "Es geht um Beziehungen und Probleme der Kommunikation. Die Menschen sind heutzutage so egoistisch, gucken nur auf ihr eigenes Leben. Sie helfen sich nicht gegenseitig, so wie früher. Auf der anderen Seite müssten sie mehr denn je zusammenrücken - sonst werden wir innerlich erkalten."
Nach einer Station in Prag lebt Alex Kelman seit Jahren in Bratislava. Mit einigem Abstand zu seiner Heimat Russland, wo progressive Bands mit politischem Anspruch von der Staatsmacht gegängelt werden. Musikmachen in einigen Ländern Osteuropas erfordert manchmal Mut.
"Leider gab es in letzter Zeit einige Konzertabsagen, ohne dass Gründe dafür genannt wurden. Die Zensur in Russland ist da nicht ganz ehrlich. Natürlich hasse ich jede Absage, egal ob sie auf Betreiben der Politik oder die Konzertlocations selbst geschieht. Musiker müssen spielen können. Aber: Solange niemand wirklich wegen seiner Musik verhaftet wird, ist es nicht ganz so schlimm."
"Ich bin das kleine, albanische Mädchen"
Rap von Dacid Go8lin - zu Deutsch etwa: "der trippende Zwerg"
Dacid Go8lin. "Ich versuche mit meiner Musik die Leute zum Trippen zu bringen. Egal ob es textlich ist oder Gesang oder nur die Melodie, nur der Beat. Ich bringe Leute zum Nachdenken, zum Trippen - ohne, dass sie was nehmen müssen."
"Also beim ‘High"-Song geht’s eigentlich darum, das ist irgendwie so eine Ansage: ‚Hey, ich bin das kleine, albanische Mädchen, das eigentlich wie ein Junge ausschaut, wo die Leute sich eigentlich gar nicht entscheiden können, ob ihr [sic] mich liebt oder nicht; dass mir das egal ist."
Dafina Sylejmani alias Dacid Go8lin ist 2013 nach Österreich gekommen. Sie rappt meistens auf Albanisch. "Die Österreicher müssen mich nicht verstehen, sie müssen mich fühlen", sagt sie. Dacid Go8lin studiert Bildende Kunst an der Universität in Wien. Femme DMC heißt ihr Projekt, das Kunst und Musik verbindet: ein Konglomerat aus Hip-Hop-Label, feministischem Kollektiv und Konzertreihe in Wien. Das Ziel von Femme DMC: die alten, heteronormativen, männlichen Rollenbilder in dem Genre zu zertrümmern. Ein Mittel der Selbstermächtigung. Wortgewand ist sie vor dem Mikrofon - auf der Festival-Bühne in Berlin hat sie leider wenig von ihren Rapfertigkeiten gezeigt, als vielmehr Instrumentaltracks gemixt.
"Ein Troublemaker in Österreich"
Dabei hat Dacid Go8lin etwas zu sagen. Den Spruch des FPÖ-Politikers und im Zuge der Ibiza-Affäre entlassenen Bundesinnenministers Herbert Kickl, "Ist das EU?", hat sie zu einem Protestsong verarbeitet. Bis zuletzt hat sie Musik gemacht bei den Donnerstagsdemos gegen die alte rechtskonservative Regierung in Wien.
"Ich sehe mich schon als eine kleine Rebellin, einen kleinen Troublemaker in Österreich. Es gefällt mir sehr, wenn ich manchmal an Grenzen komme, die keine Grenzen sein sollten, und manchmal vielleicht auch aufbreche. Und hey, unsere Regierung ist zerfallen - eineinhalb Jahre auf der Straße, aber nach eineinhalb Jahren ist es zerfallen. Und wie jetzt Österreich wählen wird - keine Ahnung. Ob sie jetzt daraus gelernt haben, - keine Ahnung. Aber: Wir haben etwas getan. Und das zählt."