Ed Sheeran bricht einen Chartrekord. In manchen Klatschmagazinen hat er sogar alle Rekorde gebrochen, manchmal einen historischen Rekord und dann er stößt Michael Jackson vom Thron. Höher, schneller, weiter. Genau wie Taylor Swift. Die hat auch irgendwelche Rekorde gebrochen mit ihrem aktuellen Album "Reputation". Teenie Idol Shawn Mendes auch - mit 19 Jahren hatte er schon drei Nummer-eins-Songs in den US-Charts. Die Popmusik liebt ihre Rekorde. Aber wie war das noch mit der Krise und der Musikindustrie?
"Die Rekorde muss man immer ins Verhältnis setzen zu dem, was man dort misst."
Florian Drücke ist der Geschäftsführer des Bundesverbandes der Musikindustrie. Das große Label Universal wollte nicht mit uns über die Rekorde der eigenen Künstler sprechen und verwies an den Verband.
"Umsätze sind das eine, und da haben wir als Branche eine große Krise durchlebt. Wir haben Umsatzeinbußen von um die 40 Prozent erlebt."
Pop ist Kommerz
Und falls jemand das vergessen haben sollte: Pop ist Kommerz, der endlich wieder Sinn macht, seit die Musikindustrie mit über zehnjähriger Verspätung es geschafft hat, Geld mit der Digitalisierung zu verdienen.
"In dieser Realität sind wir jetzt und da stellen wir natürlich Rekorde fest, die in Bereichen stattfinden, die vielleicht noch gar nicht so erschlossen sind, wie sie mal sein können. Stichwort: Streaming."
Immer mehr Leute nutzen die Dienste - klar, dass sich die Klickzahlen steigern. Um das an die Hörer zu kommunizieren, reichen die Charts nicht mehr aus.
Kollegah: "Von Platin und dem Fame, den Rekorden und Erfolgen
Brauch' ich gar nix mehr erzähl'n, das habt ihr alle hier geseh'n"
Brauch' ich gar nix mehr erzähl'n, das habt ihr alle hier geseh'n"
Battle, Vergleiche, der eigene Aufstieg gehören zum Rap. Kollegah, Cro, Bausa brechen Rekorde und rappen darüber.
An vielen Rekorden ist vor allem die kreative Leistung der Marketingabteilungen bemerkenswert: erste Frau, die mit 12 Singles in den Top 100 der Billboard-Charts landet. Erster Song, der 31 Millionen Mal an einem Tag auf YouTube angeklickt wurde. Drei Songs in den Top 10, zwei Songs unter den ersten Dreien, und spätestens jetzt dürfte jedem der Kopf rauchen. Trotzdem all das ist jedem Klatschblatt und Jugendradiosender immer einen Artikel wert. Was soll das bloß?
"Ich glaube, zum einen war es schon immer so, dass man Argumente gesucht hat, die neben der Musik für Aufmerksamkeit sorgen."
Jan Clausen ist Promoter. Er vermarktet Indiemusik wie die von der Retroband Whitney. Weil er sich eher um kleinere Künstler kümmert im Vergleich zu Ed Sheeran, hat er sich noch keine Rekord-Kategorie ausgedacht.
"Man muss natürlich auch schauen, dass es immer mehr Musik gibt und dass man immer mehr Möglichkeiten suchen muss, um Aufmerksamkeit zu kriegen, weil die Radiojournalisten immer mehr Musik hören müssen, aber immer weniger Zeit dafür haben."
Mal wieder die Aufmerksamkeitsökonomie. Aber diese Zahlen seien auch vor allem für die Formatradios, sagt Jan Clausen.
"Diese Top-40-Radios. Das ist ja das Formatradio. Da geht es gar nicht primär um die Musik, sondern wie hoch letztendlich der Künstler schon in den Airplay-Charts ist."
Quantität ist das neue Qualitätsmedium
Formatradios machen keine Hits, sie spielen sie. Heißt, sie wollen mit Zahlen als Argumenten überzeugt werden und spielen die Songs erst, wenn sie sich sicher sind, dass ein Ed Sheeran auch wirklich erfolgreich ist. Das schreibt eine andere Promoterin, die nicht genannt werden will. Und der Promoter Markus Göres: Passt doch, ist doch eh alles immer nur MEGA und KRASS heute. Quantität ist das neue Qualitätsmedium, meint er.
Pop ist wie ein Schaulaufen der Unternehmer an der Börse: Wer viel verkauft, "krasse" Zahlen liefert, ist viel Wert. Das ist nicht neu. Aber was zeigt es schon - viele Fans, gutes Marketing, aber doch nicht unbedingt: gute Songs.
Die Liebe zu Listicals
Aber ein Online-Magazin bietet Grund zur Hoffnung: "Resident Advisor" hat sich seit 2001 der elektronischen Underground-Musik verschrieben. In jährlichen Leserumfragen haben sie ein DJ-Ranking aufgestellt. Die etwas harmlosere Variante: Musiker in einer Liste bewerten. Musikmagzine lieben diese "Listicals". 2016 war der DJ Dixon auf Platz 1 bei "Resident Advisor".
"Und in dem Jahr war er alleine durch die Platzierung viel sichtbarer: Er hat mehr verdient, besser Auftritte bekommen usw", sagt Will Lynch.
Auch deshalb haben Will Lynch von "Resident Advisor" und seine Kollegen die Leserumfrage und damit das Jahresranking nun abgeschafft. Zu viel Vereinfachung und zu viele weiße und männliche Typen ganz oben. In einer Popwelt, in der ökonomische Bewertungslogiken zunehmen und nur noch Zeit für die Top Ten ist: ein Lichtblick.