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POP-Schadstoffe
Produktion umstrittener Chlorparaffine steigt

Yoga-Matten, Computer und Autoreifen: Chlorparaffine sind in sehr vielen Produkten enthalten - wir alle kommen fast täglich mit ihnen in Kontakt. Obwohl sie gesundheitlich zumindest als bedenklich gelten, steigt ihre Produktion. Manche Chemiker fordern nun, ihre Verwendung einzustellen.

Von Volker Mrasek |
Zusammengerollte Gymnastik und Yogamatten in allen Farben auf der FIBO 2019 in Köln.
Chlorparaffine sind überall - sie fanden sich auch als Rückstände in Muttermilch-Proben, die die WHO untersucht hat (picture alliance / Jens Krick)
Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat jetzt turnusmäßig wieder Muttermilch-Proben aus über 20 Ländern untersuchen lassen. Vorläufige Ergebnisse präsentierte Kerstin Krätschmer kürzlich auf einer Fachtagung in Hohenheim. Die Lebensmittelchemikerin arbeitet im EURL in Freiburg. Das ist das Europäische Referenzlabor für POPs, für persistente organische Schadstoffe in Lebens- und Futtermitteln. Dort wurden die Proben analysiert. Die jüngsten stammten aus dem vergangenen Jahr.
Chlorparaffine: Vom Gummitier zur Yoga-Matte
Am weitaus stärksten ist Muttermilch demnach mit Chlorparaffinen belastet. Deren Spitzenkonzentration übertreffe die der anderen POPs um mehr als das zwanzigfache, so die Analytikerin. Auch die Mittelwerte lägen deutlich höher.
"Es ist immer noch knapp das Zehnfache, was wir sehen."
Das hat vor allem damit zu tun, dass es alte und neue POPs gibt. Frühere Trafo-Öle wie PCB oder Pestizide wie Lindan wurden längst aus dem Verkehr gezogen. Chlorparaffine dagegen sind noch immer in Gebrauch.
"Ursprünglich waren das einmal Flammschutzmittel. Die aktuellen Anwendungen umfassen aber noch viel mehr. Es sind Hochtemperatur-Schmiermittel oder auch Leder-Fettungsmittel. Und vor allem als Weichmacher werden die in so ziemlich allen Plastikgerätschaften, die man sich vorstellen kann, verwendet. Vom Plastikteller über irgendwelche Dichtungen, Yogamatten, Gummitierchen kann man überall und hat man überall schon Chlorparaffine gefunden."
Leberveränderungen bei mittelkettigen CPs
Es geht hier um Gemische hunderter verschiedener Kohlenwasserstoffe. Man unterteilt sie in kurz-, mittel- und langkettige. Die kurzkettigen Paraffine sind inzwischen verboten, denn sie gelten als mögliche Krebsgifte. Die mittelkettigen könnten es auch sein, sollen aber erst noch reguliert werden, wie Kerstin Krätschmer sagt. Bei den langkettigen ist die Datenlage noch ziemlich dünn.
In der Muttermilch findet man heute vor allem Chlorparaffine mittlerer Länge:
"Die paar Studien, die es gibt, zeigen halt auf jeden Fall Leberveränderungen und einen Hang zum Auslösen von Krebs. [Das] zeigt auf jeden Fall: Wir müssen uns Sorgen machen, dass sie immer noch in so großen Mengen vorhanden sind und dass es auch nicht weniger wird, was produziert wird und was in die Umwelt entlassen wird."
Vom Stillen rät die Lebensmittelchemikerin Frauen aber nicht ab. Muttermilch-Proben aus Belgien und den Niederlanden enthielten nur 40 bis 80 Nanogramm Chlorparaffin pro Gramm Fett. Das sei vergleichsweise wenig. Proben aus Deutschland wurden diesmal nicht untersucht.
"In dem Fall kann ich tatsächlich Entwarnung geben. Denn es gibt Studien auch zu Plazenta-Gewebe und der Nabelschnur. Und man hat auch das Blut von den Müttern und den Kindern untersucht. Und es ist tatsächlich die Exposition im Mutterleib wesentlich größer als durch das Säugen mit der Muttermilch."
Muttermilch in Afrika stark belastet
Ob das allerdings wirklich eine Beruhigung für Mütter ist, die stillen wollen, sei einmal dahingestellt. Viel höhere Chlorparaffin-Belastungen zeigten jedenfalls Proben aus Afrika.
"In Afrika haben wir ja generell das Problem, dass da viel von unserem Elektroschrott hingeht. Und da Chlorparaffine auch zum Beispiel in Computern mitverarbeitet sein können, aber auch in Autoreifen enthalten sind, ist da einfach die Belastung durch dieses Verarbeiten von Müll höher."
Obwohl Chlorparaffine seit der Aufnahme in die POP-Liste als unerwünschte Schadstoffe gelten, steigt die weltweite Produktion laut Kerstin Krätschmer noch immer:
"Es ist schwer, die Daten zu kommen, denn die Chlorindustrie hält sich da relativ bedeckt. Es gab mal eine Studie, die haben es hochgerechnet, vorsichtig. Stand 2012 war die jährliche Produktion 1,1 bis 1,2 Millionen Tonnen, Tendenz steigend."
Überproduktion an Paraffinen
Auch der Chemiker Walter Vetter von der Universität Hohenheim beschäftigt sich intensiv mit Chlorparaffinen und hält ihren Einsatz für fragwürdig. In fast allen Fällen gebe es unbedenkliche Alternativen, beschwert sich der Professor für Lebensmittelchemie.
"Wenn Sie heute ein Produkt haben, da steht drauf: Paraffin', können Sie nicht sicher sein, dass das Paraffin ist. Das kann auch Chlorparaffin sein. Das heißt, die werden heute einfach, um das loszukriegen - es gibt eine Überproduktion - überall eingesetzt. Ob es Sinn macht oder nicht - Hauptsache, weg damit!"
Auch wenn ihre toxikologische Bewertung noch immer schwierig ist - Vetter plädiert dafür, die Produktion von Chlorparaffinen einzustellen - schon aus Gründen der gesundheitlichen Vorsorge. Wir alle seien den Stoffen praktisch überall ausgesetzt