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Pop und Politik
Das Musikjahr zurück- und vorgespult

Rap sorgt für Antisemitismus-Debatten, Rap bekommt dem Pulitzer. Die Szene diskutiert über #MeToo im Musikbusiness, und die wichtigsten Platten kommen von Frauen. Musikkritiker Jenni Zylka und Jens Balzer kommentieren das abgelaufene Pop-Jahr – und werfen einen Blick auf Newcomer und Comebacks 2019.

Jenni Zylka und Jens Balzer im Corsogespräch mit Fabian Elsäßer |
    Kendrick Lamar beim Panorama Music Festival 2016 in New York. Der Musiker steht vor dunklem Hintergrund und macht mit einer Hand das Peace-Zeichen
    Der Rapper Kendrick Lamar erhielt 2018 den Pulitzer-Preis (imago stock&people/ Zumba Press)
    Der Echo-Eklat um Kollegah und Farid Bang
    Die Rapper Kollegah (li.) und Farid Bang (re.) bei der Echo-Verleihung 2018
    Die Rapper Kollegah (li.) und Farid Bang (re.) waren bei der Echo-Verleihung 2018 wegen antisemitischer Textpassagen in die Kritik geraten (Jörg Carstensen/dpa)
    "Ich bin nicht die Bundesprüfstelle, und ich bin auch nicht die Ethikkommission, aber ich stehe hier, um für alle zu sprechen, die in diesem Punkt so denken, wie ich. Verbote und Zensur sind sicher nicht die Lösung, aber ich hoffe, dass wir durch solche Auseinandersetzungen wie heute wieder zu einem anderen Bewusstsein finden in Bezug darauf, was als Provokation noch erträglich ist und was nicht." (Campino bei der Echo-Verleihung 2018)
    Jens Balzer: Da stand dann der alte Punk-Onkel mehr so stellvertretend für alle, die nichts gesagt haben, dann da auf der Bühne und musste diesen undankbaren Job irgendwie machen. Man kann dabei eigentlich nur doof aussehen, weil man natürlich selber auch als Punkrocker aus einer Tradition kommt, wo immer provoziert wurde. Also das hat er ja eingangs, an einer anderen Stelle dieses Statements, auch gesagt. Aber es geht tatsächlich darum, wo man rote Linien zieht, also was man sich auch einfach nicht mehr gefallen lassen kann.
    Jenni Zylka: Und beim Echo geht es ja auch noch um andere Sachen. Also ich habe beim Echo auch noch ganz viele andere Dinge vorher schon auszusetzen gehabt, unter anderem eine Intransparenz in der ganzen Preisfindung, diese ganze Geschichte wie die Jury aufgestellt war, woraus die sich akquirierte, also da gab es ganz viele Gründe schon vorher, dieses ganze Ding mal anders flottzumachen. Und dass jetzt auch noch dieser eigentlich relevanteste Grund, Rassismus oder Antisemitismus, unverhohlener, für Nominierte oder Preisträger dazukam, das war eigentlich nur der Todesstoß.
    Kein Problem der Hip-Hop-Szene allein
    Balzer: Selbstverständlich gab es schon Fälle wie den von Bushido, das ging ja auch durch die Presse, wo er auf seinem Twitter-Account eine Karte des Nahen Ostens, in der Israel nicht mehr vorkam, gezeigt hat, und der auch im Zweifelsfall auch gerne mal einen antisemitisch interpretierbaren Spruch bringt, das gibt es. Ich würde nur davor warnen, das jetzt als Problem der Hip-Hop-Szene zu interpretieren. Denn da schwingt auch so eine Tendenz mit: Der Hip-Hop ist migrantisch geprägt, das heißt wir haben jetzt die Popkultur des importierten Antisemitismus, die Migrationskultur. Das ist nicht richtig. Es gibt Antisemitismus in der Popkultur so wie es Antisemitismus in der gesamten Gesellschaft gibt.
    Zylka: Beziehungsweise Rassismus oder Nationalismus. Das finde ich auch. Das ist eher ein Spiegelbild der Gesellschaft. Das kann man auf jeden Fall nicht nur auf den Rap beziehen, man muss überall danach suchen und überall aufmerksam sein.
    Die Relevanz des Rock
    Josh Kiszka von Greta Van Fleet bei einem Konzert in Wisconsin.
    Die vier Musiker von Greta Van Fleet lassen den Sound von Led Zeppelin wiederauferstehen (dpa / picture-alliance)
    Fabian Elsäßer: Das ist das erste Album der amerikanischen Band Greta Van Fleet. Und das ist noch nicht einmal die die Kinder-Generation der Musiker von Led Zeppelin so rein altersmäßig, sondern eher die Enkel-Generation. Und im Netz gibt es heftige Streitereien darüber, ob das jetzt sein soll oder nicht, ob das gut ist oder schlecht, dass da eine blutjunge Band so klingt wie eine der größten Rockbands aller Zeiten, die es ja schon seit 38 Jahren nicht mehr gibt. Was sagen die Kollegen dazu, Jenni Zylka und Jens Balzer?
    Zylka: Also, Herr Elsäßer und ich, wir sind beide, glaube ich, ganz glücklich damit. Ich weiß nicht, ob Herr Balzer, aber ich finde …
    Balzer: Ich finde das ganz, ganz schlimm. Ich halte das für eine der schlechtesten Platten des Jahres.
    Zylka: Ich finde das total großartig, und ich weiß nicht, ob sich einer von Ihnen beiden mal eins von den Videos angeguckt hat ...
    Balzer: Nein.
    Zylka: Da gibt es eine Szene, wo erst mal dieser Sänger ja sich Minipli machen lassen hat, also Minipli, diese ganz schrecklichen Locken machen lassen hat, damit er aussieht wie der Led Zeppelin-Sänger …
    Elsäßer: Nee, so was hat Robert Plant nie getragen.
    "Greta Van Fleet sind ganz sympathische Nerds"
    Zylka: Der hatte ja auch von selber Locken. Aber er hat sich, glaube ich, extra schlimme Locken... Aber das Beste ist, dass er in einem der Videos ein Gitarrenkabel in einen Stein reinsteckt, wo dann der Sound rauskommt (lacht). Und ich musste wirklich die ganze Zeit an "Spinal Tap" denken, an diesen tollen Rob-Reiner-Film von 1984, also die Mockumentary über diese Rockband, die ihre Verstärker immer auf "13" drehen und so weiter. Und ich glaube, dass es schon nicht ernst gemeint ist, dass diese …
    Elsäßer: Ich glaube, die meinen das sehr ernst!
    Zylka: Nein, das meinen die nicht ernst. Das ist wie bei The Darkness oder bei diesen Bands, die halt tatsächlich diese Posen nehmen, auch natürlich Spaß am Spielen haben, weil das macht ja Spaß, so was zu spielen, das macht in jeder Beziehung, jedes Instrument da macht Spaß!
    Elsäßer: Man muss da auch was können!
    Zylka: Ja, klar, genau! Und ich glaube, das sind ganz sympathische Nerds, also mir extrem sympathische Nerds, die diese Musik hervorragend nachmachen. Und ich finde das großartig, ich höre das auch gerne.
    Pulitzer-Preis für Kendrick Lamar und Frauen in Hip-Hop & R’n‘B
    Die Sängerin Cardi B während der New York Fashion Week 2018.
 
    Cardi B veröffentlichte im April ihr Debütalbum "Invasion of Privacy" - mit beachtlichem Erfolg (imago / Zach Chase)
    Balzer: Ich habe mich aber ehrlich gesagt darüber gewundert, dass das für so einen bemerkenswerten Vorgang gehalten wurde. Das wurde es ja allenthalben irgendwie, aber natürlich ist klar: Das ist ganz, ganz große Sprachkunst. Und dass da bei einer breiteren Öffentlichkeit darüber Überraschung herrscht, dass Hip-Hop irgendwie preisfähig ist, das kam mir jetzt ein bisschen sehr antiquiert vor. Aber man merkt irgendwie, dass die Zeit vielleicht doch noch nicht ganz so weit ist.
    Zylka: Ich stimme Ihnen da total zu, ich finde die Platte auch großartig, finde auch, dass der ganz eigenwillig und irre schreibt und dass der wirklich eine eigene Art von Sprache hat, die er benutzt, und die auch eine bestimmte Art von Realität wiedergibt, von einer schwarzen Realität. Aber es ist nicht so einfach, wenn man diese Sprache nicht selber so gut beherrscht.
    "Reichhaltiges Jahr für weiblichen Hip-Hop"
    Balzer: Na ja, es gab gerade in diesem Jahr eine große Zahl auch junger Rapperinnen und R'n'B-Sängerinnen, also Cardi B - eine fantastische Künstlerin, Debütalbum aus dem April -, es gab eben feministische Rapperinnen wie Tommy Genesis oder queere Rapperinnen wie CupcakKe. Also gerade in den USA war das ein ausgesprochen reichhaltiges und interessantes Jahr für weiblichen Hip-Hop.
    Zylka: Und wir warten ja auch noch auf Missy Elliott, die ja schon seit Jahren ihr Album ankündigt ...
    Balzer: ... Na, ob das noch mal was wird?
    Zylka: Na, auf jeden Fall wird das was! Ich meine, das ist die beste weibliche Rapperin, die ich überhaupt kenne. Ich bin überhaupt so ein unglaublich großer Fan von der und warte wirklich die ganze Zeit drauf. Alles, was sie zwischendurch in den letzten fünf Jahren gemacht hat - das waren ja nur zwei Songs -, ist auch wieder grandios gewesen. Übrigens haben die auch viel von dem Sound, finde ich, vorweggenommen, der jetzt gerade überhaupt im Hip-Hop ist - das hat sie alles schon gemacht. Die Sache mit Lamb und so. Von daher: Das kommt schon noch. Ich mache mir da auch erst mal noch nicht so große Sorgen.
    Popmusiker gegen Rechts
    Herbert Grönemeyer singt auf der Bühne des Musikfestivals "Jamel rockt den Förster" in ein Mikrofon und hebt dabei den linken Arm.
    Herbert Grönemeyer hat sich deutlich gegen Rechtsextremismus ausgesprochen (dpa-Bildfunk / Danny Gohlke )
    "Ich glaube, es geht im Moment eher um Haltung. Es geht um eine Gesellschaft, die sich überlegen muss: Was wollen wir? Was wollen wir nicht? Wie wollen wir aussehen? Egal von welcher politischen Richtung wir kommen, ob wir jetzt linksliberal sind oder wertkonservativ, wir alle sind aufgerufen, jetzt für dieses Land, für die 80 Millionen Menschen, ein Klima, eine Kultur zu schaffen, in der alle sicher und offen leben können. Und wir alle müssen uns klar positionieren gegen Rechts." (Herbert Grönemeyer im Deutschlandfunk)
    Elsäßer: Soweit Herbert Grönemeyer im Corsogespräch im Deutschlandfunk vor wenigen Wochen anlässlich der Veröffentlichung seines neuen Albums "Tumult". Kurz zuvor hatte er die Single "Doppelherz / Iki Gönlüm" auf Deutsch und Türkisch herausgebracht und sich damit so ein bisschen als Pop-Gewissen der Nation inszeniert. Frage an Jenni Zylka und Jens Balzer: Müssen sich Künstlerinnen und Künstler politisch positionieren in diesen Zeiten?
    Balzer: Ich weiß zumindest nicht, warum man das so zynisch sehen muss, wie Sie das gerade eben irgendwie angedeutet haben. Ich persönlich war ganz dankbar, dass er sich in der Art und Weise positioniert hat. Er macht sich damit ja auch sehr verletzlich, wie das mittlerweile immer so ist: Egal was man sagt, dann gibt es immer einen ordentlichen Shitstorm. Aber in dem Fall war der nun besonders ordentlich. Und ich finde, man kann ihm das hoch anrechnen, dass er sich in dieser Deutlichkeit positioniert hat. Das ist schon das ganze Jahr über immer wieder auch von den großen Mainstream-Künstlern gefordert worden, dass sie mal politisch Stellung beziehen, dass das nicht immer nur Campino und den Toten Hosen überlassen wird.
    Helene Fischers Statement nur mittelmäßig politisch
    Elsäßer: Wobei Grönemeyer schon immer sich auch positioniert hat gegen Rechts.
    Balzer: Ja, aber ich sehe jetzt auch nicht ganz, was dagegen einzuwenden ist.
    Zylka: Genau, ich sehe es auch so. Also ich würde auch erst mal sagen: Ganz viele unserer "großen Künstler" - in Gänsefüßchen - haben sich wirklich schon lange dazu positioniert. Und auf die Frage, müssen sich Künstlerinnen oder Künstler positionieren: Natürlich muss das niemand machen. Das muss tatsächlich jeder mit sich selbst vereinbaren, ob er meint oder ob sie meint, das machen zu müssen.
    Elsäßer: Aber dass Helene Fischer es recht spät getan hat...
    Zylka: Ja, besser spät als nie! Also ich weiß auch nicht genau, dieser eine Post von Helene Fischer, der jetzt immer zitiert wird in dem Zusammenhang, den fand ich jetzt auch nur so medioker politisch, muss ich sagen. Also, das war so ein Halb-Hashtag, dass es schöner ist, wenn man sich lieb hat als wenn man sich hasst. Und das war schon die stärkste Aussage, die aus ihr rauszukriegen war.
    Balzer: Wo man Helene Fischer grundsätzlich recht geben muss.
    Erfolg von Frauen und queeren Künstler*innen
    Der queere US Musiker Troye Sivan im Mai 2018 in der Today Show
    Musiker wie Troye Sivan begeistern nicht nur ein queeres Publikum (Nancy Kaszerman/ imago )
    Elsäßer: Wie hat das Jahr 2018 ausgesehen in Bezug auf Gender Diversity? Also, #MeToo ist immer noch ein großes Schlagwort, aber wie hat es zum Beispiel ausgesehen mit dem Erfolg queerer Künstlerinnen, Jenni Zylka?
    Zylka: Troye Sivan ist mir immer wieder begegnet, der ja so ganz klar dann auch in seiner Entwicklung in dem Jahr noch mal ganz deutlich gemacht hat, wie queer er ist, CupcakKe ist ja schon gefallen. Ich habe auch bei anderen Künstlern, als ich neulich bei Katy Perry war, es ist halt eine Hetero-Frau, aber die ganze Szene ist queer in der sie sich bewegt. Auch wie sie sich darstellt; und die Fans, die dort hingehen, wissen auch ganz genau, dass sie da auf Gleichgesinnte treffen. Ich habe in dem Jahr das erste Mal auch so tatsächlich darüber nachgedacht in dem Zusammenhang, dass tatsächlich diese Konzerte von solchen Künstlerinnen und Künstlern auch wirklich für junge queere Leute eine Möglichkeit bringen, sich zu treffen: Leute, die noch nicht in den Club gehen dürfen oder noch nicht irgendwo anders jetzt auf der Straße jetzt öffentlich schwul oder was weiß ich sein dürfen. Ich glaube schon, dass sich da was entwickelt.
    "Anna Calvi: die beste Gitarrenrock-Platte"
    Balzer: Es gab auch wirklich erstaunliche Hitparadenerfolge: Also, Christine and the Queens, in Frankreich ganz groß, ein queeres Manifest. Ich würde sagen, die beste Gitarrenrock-Platte des abgelaufenen Jahres, Anna Calvi, war auch irgendwie ein feministisches, queeres Manifest. Tash Sultana, interessanterweise, was man vielleicht sagen muss, dass die queere Ästhetik sich ja bislang so eher in der elektronischen Clubmusik mehr gefunden hat oder vielleicht auch in so abgelegeneren Feldern des amerikanischen Hip-Hop und R'n'B, aber das geht jetzt tief auch in so neuere Gitarrenmusik rein.
    Elsäßer: Dazu vielleicht noch ein Schlusswort von Linda Perry, das sie im Interview auf dem Reeperbahn-Festival dieses Jahr gegeben hat:
    "Wann werden wir Gleichheit haben? Wenn es einen anderen Planeten geben wird, den man dann 'Erde II' nennt und den jeder geschlechtslos betreten wird. Wie wär's, diese beschissenen Labels loszuwerden? Wenn ich mit meinen Leuten im Studio bin, sind die Männer eingeschüchtert. Entweder sie ziehen sich zurück oder sie lernen von mir. Ich weiß sehr viel und versuche, dieses Wissen weiterzugeben – vor allem an junge Frauen. Ich will Lösungen finden und bin es satt, nur über Probleme zu reden. Ich will proaktiv sein und mich auf die Erfolge fokussieren. Wir Frauen müssen stärker zusammenhalten, also schaut auf die Lösungen und guckt nach vorne!" (Linda Perry im Deutschlandfunk)
    Die Zukunft der Musik
    Die Roboter-Punkband "Compressorhead" im September bei einem Liveauftritt in Berlin
    Manche sehen die Zukunft der Musik in Robotern und künstlicher Intelligenz (imago stock&people / Rolf Zöllner)
    Elsäßer: "Godmother" von Holly Herndon und Jlin (feat. Spawn), eine künstliche Intelligenz. Kollege Balzer meint: die Musik der Zukunft. Ich persönlich bin der Meinung: die unanhörbarste Single, die ich seit Jahren gehört habe.
    Balzer: Tja, dann tut es mir Leid für die Zukunft von Ihnen (lacht).
    Elsäßer: Warum ist das die Musik der Zukunft?
    Balzer: Nein, das ist natürlich ein experimentelles Stück. Ich glaube, man kann da auch durchaus mehr mit machen, aber es gab in der Tat auch in diesem Jahr einige andere Bands - zum Beispiel Amnesia Scanner, zwei Finnen, die in Berlin leben -, die auch mit künstlichen Intelligenzen gearbeitet haben. Das ist natürlich, wenn man sich mit elektronischer Musik beschäftigt und sich fragt, wie geht man damit um, dass der Künstler oder die Künstlerin aus der elektronischen Musik ja eigentlich zusehends verschwindet – also gerade bei Konzerten macht es ja irgendwie überhaupt keinen Sinn mehr, da auf der Bühne zu stehen, sondern es sind multimediale Performances, wo das klassische Künstlersubjekt keine Rolle mehr spielt. Und dann kann man das ja auch gleich durch singende Roboter ersetzen. Das ist zumindest eine Position, die ich interessant finde.
    "Das 'Wir' ist ein Club"
    Elsäßer: Wo ist dann künftig Raum für das "Wir"? Und ich finde, nichts verkörpert die Idee des "Wir" so sehr, wie das Konzept einer Band?
    Zylka: Ja, aber das gibt es ja auch nach wie vor. Dass Leute ein kollektives Erlebnis haben wollen, das ist ja schon das "Wir". Also auch bei den elektronischen Konzerten: Sie wollen ja noch tanzen und sind in Interaktion und bewegen sich zusammen als Körpermasse und so weiter. Und das ist ja das "Wir", was die dann bei elektronischer Musik erreichen.
    Balzer: Das "Wir" ist ein Club.
    Zylka: Und ein anderes "Wir" ist bei der Rockmusik – das ist sowieso "Wir". Die singen ja sogar "Wir". Oder "singt mit" oder so, also diese Publikumsanimation, die ist ja auch nach wie vor ganz groß da. Ich meine, deswegen gehen Leute überhaupt aus: Solange sie noch rausgehen - ich meine, das machen sie ja schon weniger -, aber solange sie noch rausgehen, haben sie auch ein "Wir", zwangsweise.
    Trends zu Musiker- und Band-Biopics
    Szene aus "Bohemian Rhapsody"
    Band-Biopics wie "Bohemian Rhapsody" fiktionalisieren die Geschichte (© 2018 Twentieth Century Fox)
    Elsäßer: 2018 war auch ein bisschen das Jahr der Musik-Biopics. Wenn wir noch mal zurückschauen, also zwei fallen mir ein: "Gundermann" über den DDR-Liedermacher, jetzt vielleicht eher ein Nischenthema. Und dann natürlich absolut massen- und breitentauglich: "Bohemian Rhapsody". Jenni Zylka, erleben wir gerade die Historisierung des Pop im Kino?
    Zylka: Die erleben wir auf jeden Fall. Und zusammen mit einer Fiktionalisierung der Historie sowieso. Also, wir haben einen Trend, das können wir auch ganz stark in den Serien, also in dem ganzen Bereich Video-on-demand und so weiter beobachten. Und das kann man unterschiedlich sehen: Auf der einen Seite können dann halt ganz viele Menschen, die vielleicht sich sonst nicht dafür interessiert hätten, die finden jetzt die Chance, sich das alles noch mal anzugucken - und es bleibt eben im Kopf, weil es halt Bilder sind.
    Und auf der anderen Seite finde ich auch immer, dass darin, also gerade, wenn es jetzt um die Fiktionalisierung von wahren Dramen geht - also Entführungen, Anschläge -, das wird jetzt ja auch immer alles als Serie und als Film erzählt immer mehr, da wiederholt man quasi erst mal das Trauma für die Betroffenen. Das finde ich ganz problematisch. Ich finde es sowieso schwierig, wenn sich über die historischen Bilder ausgedachte Bilder schieben. Also, ich finde, das muss einem zumindest bewusst sein.
    Bilder wichtiger als Texte
    Elsäßer: Vor allem, wenn man sich jetzt, wie bei einem Queen-Film - oder einem Film über Queen - ja auch noch existierende bewegte Bilder dieser Band anschauen kann.
    Zylka: Ja, ja. Oder wenn man halt denkt, dass Gundermann aussah wie Alexander Scheer. Also das stimmt ja einfach nicht. Und für mich ist es irgendwie als, wie gesagt, so etwas pessimistische Zukunftsunkerin so ein bisschen der Trend in diese Richtung: Also, Bilder werden sowieso immer wichtiger, Texte spielen sowieso keine Rolle mehr, alles, was ich an Text mit Bild erzählen kann, mache ich auch. Und das ist zwar wunderbar und teilweise die Filme ja auch sehr gelungen - jetzt die beiden auch, auf eine Art -, trotzdem ist es eine Entwicklung, die ich zumindest mit einem kritischen Auge auch beobachten möchte.
    Die Musiktitel dieser Sendung und die Liste der besten Songs des Jahres – gekürt von der Corso-Musikredaktion – finden Sie in unserer Playlist bei Spotify unter: DLF_Pop2018