Sollen sie doch gehen, die Briten, so hört man es nicht selten dieser Tage. Man kann das auch verstehen, sogar als einer, der selbst der Popkultur hinterher nach Großbritannien gezogen ist. Allerdings: Die beste Antwort auf die Frage: "Wozu braucht Europa Großbritannien?" ist wohl immer noch sie: Die Popkultur. Importiert aus den USA und von den Briten transformiert, von einem Teil der Entertainment-Branche zu einer Kultur, in der jugendliche Selbstermächtigung zumindest möglich ist. Nicht zuletzt dank dieser Herren.
Musikeinspielung: The Beatles "Komm Gib Mir Deine Hand"
Die Beatles als Argument dafür ins Treffen zu führen, was wir den Briten verdanken, das ist schon fast zu einfach, so sehr es auch stimmt. Aber interessant wird es, wenn man den Spieß umdreht. Wären die Beatles ohne die Erfahrung Hamburg, also wenn sie nie die örtlichen jungen Existenzialisten kennen gelernt hätten, einfach eine Rock'n'Roll-Band mit schlechtem Akzent geblieben?
Gut, John Lennon, Brian Eno, Ray Davies, Pete Townshend und so viele andere spätere britische Popstars gingen in England an Kunstschulen, aber die Kunst, die sie alle in sich aufsogen, das war der französische oder italienische oder schwedische Film oder die Autodestruktion eines Staatenlosen wie Gustav Metzger. Und als diese Briten uns vor einem halben Jahrhundert einmal auf ihre unprätentiöse Art beigebracht hatten, dass auch Popmusik Kunst sein konnte, da ging es dann ohnehin los mit dem transkontinentalen Ping Pong.
Ein Rückschritt von mehr als 50 Jahren
Ohne die Briten hätten nicht nur die Deutschen, sondern auch die kunstsinnigen Franzosen nie den Pop gelernt. Britische Popkultur wiederum war und ist immer dann interessant, wenn sie in die Welt außerhalb der angloamerikanischen Blase blickt. Nicht von ungefähr wirbt die britische Facebook-Gruppe "Rock Against Brexit" mit dem Schriftzug der alten Krautrock-Band Neu! für einen Verbleib in der EU. Einfach das N vorne weg, und übrig bleibt EU mit Rufzeichen!
Wo wäre in der Tat die halbe britische Indie- und Elektronik-Szene ohne Neu! und den Motorik-Beat und ohne Düsseldorf am Rhein, wie der Brite Kodwo Eshun einmal schrieb, das Mississippi-Delta des Techno. Eben, es ist alles eine Wechselwirkung, und Popkultur kann immer alles sein, bloß nicht national. Was wäre also eine kulturelle Absentierung Großbritanniens in Gestalt des Brexit. Ganz einfach: Ein Rückschritt von mehr als 50 Jahren in die Zeit vor der Popkultur. Eine Verarmung, gegen die all das Gerede über wirtschaftliche Folgen einfach nur verblasst.
Einer wie Jona Lewie hat das immer schon verstanden. Doch wie immer das Hasardspiel des David Cameron heute ausgehen mag, es wird höchstens das halbe Großbritannien sein, das sich verabschiedet. Und das ist mit Sicherheit nicht das Großbritannien des Pop.