Der katholische Geistliche singt nicht nur, er hüpft in seinem weißen Gewand um den Altar herum. Er springt auch, laut singend. Die Musik in der Kirche ist ohrenbetäubend.
Dann fordert er die Gläubigen, eine Hochzeitsgesellschaft, dazu auf, mitzusingen und in die Hände zu klatschen. Alle machen mit. Einige springen sogar von ihren Stühlen auf und bewegen sich schwungvoll im Rhythmus der italienischen Popmusik mit. Der eifrigste Tänzer ist allerdings Don Bruno Maggioni, Geistlicher in Margno, einer kleinen Ortschaft in der norditalienischen Lombardei. Margno ist bekannt, in ganz Italien - wegen seines singenden und tanzenden Priesters. Don Bruno kann nicht anders, erklärt er:
"Ich hatte eines Tages eine Eingebung: Ich musste einfach zu singen beginnen. Das war während einer Heirat. Das kam so gut an, dass ich inzwischen oft singe. Und die Gläubigen singen mit. Und: Sie kommen verstärkt in die Kirche! Inzwischen beschließe ich jede Messe mit Gesang."
Immer nur nette Lieder
Auch im Petersdom und davor, bei Papstmessen auf dem Petersplatz, erklingen immer wieder poppige Songs, bei denen die Gläubigen lautstark mitsingen.
Gianfranco Ravasi hat a priori nichts gegen solche Musik. Der Kardinal und amtierende Kulturminister des Heiligen Stuhls hört persönlich auch gern Songs von Bob Dylan, David Bowie und Prince. Aber warum, fragte er kürzlich bei einem Kongress im Vatikan zum Thema Kirchenmusik, muss diese Musik so gleich sein? Immer nur nette Lieder, seicht und soft - und, so die Hauptkritik des päpstlichen Kulturministers Ravasi, ganz ohne Bezug auf die ungewöhnlich reiche Musikgeschichte der Kirche. Gianfranco Ravasi:
"Leider muss ich sagen, dass das Musikangebot in unseren Kirchen eher armselig ist. Das Angebot anspruchsvoller Musik - und anspruchsvoll sollte Musik während eines Gottesdienstes schon sein - ist gering. In der Vergangenheit hingegen komponierten alle großen Musiker für die Kirche. Glaube, Kirche und Musikentwicklung und -geschichte waren noch nicht voneinander getrennt."
Der Armseligkeit will Ravasi mit geballter Expertise abhelfen. Er organisierte einen Kongress im Vatikan mit Geistlichen, Musikern und Musikwissenschaftlern.
Neokatechumenaler (Irr-)Weg
Einen der Hauptgründe in der, so der Kulturminister des Papstes, "Veroberflächlichung" des Musikgeschmacks im kirchlichen Leben trage der immer stärker werdende musikalische Einfluss der "Bewegung des neokatechumenalen Weges". Eine Bewegung, die in Lateinamerika und Afrika viele Anhänger hat und liturgische Sonderformen pflegt, denen Papst Franziskus bisher freien Lauf ließ. Damit scheint es jetzt vorbei zu sein. Jedenfalls, wenn es nach dem Willen von Kulturminister Ravasi geht, in Sachen Musik. Wie es im Vatikan heißt, habe Ravasi dabei die volle Unterstützung von Papst Franziskus.
Musik wie sie typisch für die Gottesdienste ist, die von den Anhängern des "neokatechumenalen Weges" organisiert werden, typischerweise mit Gitarre, gefällt Ravasi nicht.
"Musik mit Qualität"
Ihm geht es aber nicht einfach um ein traditionalistisches "Go-back" hin zur nur klassischen Musik, also zur liturgischen Musik von Vivaldi, Mozart oder Haydn. Auch diese, erklärt er, müsse endlich wieder öfter zu Gehör kommen, während der Gottesdienste, für die sie ja geschrieben wurde. Aber Ravasi will mehr. Er will einen "Paradigmenwechsel im Verhältnis von Kirche und Musik":
"Ich bin davon überzeugt, dass die Kirche wieder die Nähe zu Musikern und Komponisten suchen muss. In der vagen Hoffnung, sie wieder dazu zu inspirieren, für eine Liturgie etwas zu schaffen. Musik mit Qualität, die wir aufführen können."
Kardinal Ravasi fordert also ein radikales Umdenken. Ganz konkret arbeitet er an zwei Fronten: Einerseits mehr Komponisten des 16. bis 19. Jahrhunderts, wie etwa Palestrina, Mozart, Händel, Haydn oder auch Rossini. Andererseits solle, so der Kulturminister, die Kirche zeitgenössische Musiker für sich begeistern, sie ansprechen, anregen, sie zu Kompositionen auffordern. Die katholische Kirche, so Ravasi, solle wieder zum "deus ex machina" für sakrales Musikschaffen werden. Ravasis Forderung nach mehr qualitativ guter Sakralmusik hat auch eine ökumenische Komponente - ganz im Sinn von Papst Franziskus.
Ravasi: "Luther verfasste ein Traktat mit dem Titel 'Frau Musik'. Er hatte die Bedeutung der Musik für die protestantische Kirche gewürdigt. Der Umstand, dass die Protestanten Heiligendarstellungen als Idolatrie bezeichnen, führte ja dazu, dass die Musik enorm wichtig wurde."
"Singt zu Gottes Ehre"
Und deshalb, so der vatikanische Kulturminister, müsse die katholische Kirche von ihren protestantischen Schwestern und Brüdern lernen, der Sakralmusik wieder mehr Bedeutung zukommen zu lassen:
"Gerade in diesem Jahr, dem 500. Jubiläum der Thesen von Wittenberg, sollten wir uns an diese Bedeutung der Musik auch für unsere katholische Kirche erinnern. Ganz im ökumenischen Sinn, können unsere Kirchen voneinander lernen. Ganz im Sinn des Psalms 'Singt zu Gottes Ehre'"
Doch vermutlich hat Franziskus auch nichts gegen Klampfenmusik.