Seit gestern läuft die Frankfurter Buchmesse, Gastland: Norwegen. Ein Land mit gerade mal knapp 5,5 Millionen Einwohnern. Aber auch ein skandinavisches Land mit einer umfangreichen Kulturförderung, von der nicht nur Schriftstellerinnen und Schriftsteller profitieren, sondern auch die Musikszene. Die Macher des diesjährigen Gastlandauftrittes haben schon früh entschieden: Norwegen soll unter dem Motto "Der Traum in uns" als kulturelles Gesamtpaket in der Buchmessestadt Frankfurt präsentiert werden. Es sei, so die Kulturministerin, sogar die – "größte norwegische Kulturoffensive". Dazu zählt auch das Norsk-Musikfestival im Künstlerhaus Mousonturm, es läuft noch bis zum Samstag. Stefan Müller hat es für Corso besucht.
Strand, Wälder, Natur
Adalbert Siniawski: Gestern Abend standen die ersten Künstlerinnen und Künstler auf der Bühne, den Auftakt hat die Musikerin - und Romanautorin übrigens - Jenny Hval gemacht aus Oslo, mit einer Performance ihres neuen Albums "The Practice of Love". Stefan Müller, wie hat sich diese Künstlerin präsentiert, die in ihrer Heimat ja auch als Romanautorin bekannt ist?
Stefan Müller: Sie macht seit 13 Jahren Musik. Zehn ganz unterschiedliche Produktionen sind entstanden von gitarrenlastigem Metal bis Singer-Songwriter, zwischendurch dann aber auch drei Romane. Und dieses Interdisziplinäre ist ihr wichtig, das hat man gemerkt an dieser Performance im Mousonturm. Jenny Hval und die anderen Bandmitglieder waren ständig mit tragbaren Beamern und Kameras in Bewegung, haben spielerische Elemente mit einbezogen, es gab einen Sandhaufen mit kleinen silbernen Kugeln. Da stand ein Zelt auf der Bühne, es wurden Naturbilder projiziert – Strand, Wälder, Natur.
Jenny Hvals aktuelles Album geht musikalisch einen neuen Weg. Es ist durchtränkt von elektronischen Sphären-Klängen der späten 80er- und frühen 90er-Jahre, in Frankfurt sagt man ja gerne "Trance" dazu oder auch "Sound of Frankfurt". Jenny Hval ist Jahrgang 1980, sie hat sich die elektronische Musik aus ihrer Jugend jetzt erst so langsam erarbeitet, wie sie selbst sagt:
"Zu Trance habe ich eine eher mysteriöse Verbindung, weil ich als Kind oder als Teenager solche Sachen nicht gehört habe. Aber mich haben Synthezizer-Klänge interessiert, mit ihren repetetiven Strukturen mit Arpeggios. Aber vom Sound of Frankfurt habe ich nie gehört!"
Siniawski: War es dann eher der "Sound of Oslo", den Jenny Hval zelebriert hat?
Müller: Ja und nein. Die kühle Ästhetik ihres Ambient-Pop-Entwurfs ist etwas, das man mit dem Norden assoziiert. Da werden einige sicher auch an Robyn und die schwedische Band The Knife denken. Aber ihre drei Gastsängerinnen auf dem Album hat Jenny Hval unter anderem in Singapur gefunden mit Vivian Wang, Mitglied der Band The Observetary. Gestern Abend auf der Bühne im Mousonturm war Vivian Wang auch mit dabei. Das heißt: Jenny Hval musste nicht alle Vocalparts selbst übernehmen, sie hat den Gesang zum Teil wie bei einem Playback imitiert. Das sind die kleinen Details einer Performance gewesen, die auch ein teilweise extrem reduzierter Live-Remix des Albums war. Ein Saxophonist war zu hören, also Klänge, die auf dem Album gar nicht vorhanden sind, eine orientalische Rahmentrommel ist auch zum Einsatz gekommen. Das Publikum war komplett ergriffen und hat erst am Schluss applaudiert.
Siniawski: Also ein breiter, künstlerischer Ansatz in der Performance, wenn ich das richtig verstehe. Worum geht's denn in den Texten?
Müller: Da gibt’s Spoken-Word-Anteile auf dem Album, mit Referenzen, die mich an die britische Sängerin und Songpoetin der 80er-Jahre, Anne Clark, erinnern. Im Titel "Accident", das ist der Pophit des aktuellen Albums, erzählt Jenny Hval von einer kinderlosen Frau, die sich irgendwann fragt, warum sie eigentlich nie schwanger geworden ist – auch nicht aus Versehen. Die kinderlose Künstlerin als Thema taucht auch an anderen Stellen des Albums auf. Ihr feministischer Ansatz schwebt in einer Ambient-Wolke durch die Live-Performance und die Videobilder im Hintergrund.
Interessant könnte es werden, wenn im nächsten Jahr Jenny Hvals dritter Roman in englischer und hoffentlich auch deutscher Übersetzung vorliegen wird, von dem man schon den Titel kennt: "Girl Against God", Mädchen gegen Gott. Dort wird ein hyperreligiöses Norwegen gezeichnet, das der Protagonistin total gegen den Strich geht. Sie und ihre Freundinnen wenden sich der schwarzen Magie zu, verschwinden in einem Waldstück. Und als Zeitreisender taucht der norwegische Maler Edvard Munch auf. Dass Jenny Hval ein Faible hat für Abseitiges und Jenseitiges, ist klar. Auf dem Album fragt sie: "Where is god?" Und dieses Album ist in Frankfurt nach dem Konzert auch als Vinylausgabe verkauft worden mit acht extra dafür gezeichneten Tarotkarten.
Siniawski: Also allerlei Anklänge der Mystik, die vielleicht auch ein bißchen erklärungbedürftig ist. Jenny Hval wird heute Abend im Mousonturm über ihre Arbeit sprechen, der Talk beginnt um 20 Uhr. Danach gibts dann elektronische Musik aus Norwegen, unter anderem mit dem DJ und Produzenten Todd Terje. Inwieweit bildet denn dieses Norsk-Festival wirklich die aktuelle Musikszene von Norwegen ab?
Müller: Naja, ich könnte jetzt all die Künster aufzählen, die nicht dort spielen, Bands wie Röyksopp aus Tromsö ganz im Norden des Landes, oder Erlend Oye aus Bergen, der mit seiner Band Kings of Convenience bekannt geworden ist. Immerhin haben Motorpsycho aus Trondheim vorgestern dieses Festival eröffnet mit ihrem Retro-Metal und Psychedelic-Rock. Aber es folgt am Freitag und Samstag noch ein starker Focus auf die Jazz- und Folkszene Norwegens. Und da sind Leute zu hören, die aus dem Umfeld des Punkt-Festivals in Kristianssand kommen. Im September gab es da gerade die 15. Ausgabe, Spezialtität: der Live-Remix. Am Freitag spielt sozusagen die Supergroup der norwegischen Jazz-Avantgarde im Mousonturm: Arve Henriksen, Gründer der Band Supersilent, der wird begleitet von Jan Bang und Gitarrist Eivind Aarset. Und das ist dann nicht der "Sound of Oslo", sondern der ganz eigene, avantgardgetränkte "Sound of Norway", bei dem aber auch eine japanische Shakuhachi-Flöte mitwirken darf.
Siniawski: Oh je. Also Journalisten, die fragen immer so gerne nach dem Großen-Ganzen. Gibt es sozusagen ein verbindendes Element der Musikszene in Norwegen, was meinen Sie?
Müller: Ja, allein schon die Tatsache, dass die Musiker von so unterschiedlichen Bands wie Motorpsycho und Supersilent gerne auch mal zusammen auftreten, gemeinsame Sache machen, also Avantgarde, Jazz, Metal, Folk- das alles ist möglich, auch auf den zahlreichen Festivals in Norwegen. Man hat da keine Berührungsängste, man ist vernetzt, man kollaboriert. Und man geht gerne dann in Länder außerhalb Norwegens, um das Ergebnis zu präsentieren. Das ist, glaube ich, das Besondere an dieser Musikszene.