Sprecherin: Als "Schwarzen Arbeiterführer" in NRW haben manche Jürgen Rüttgers beschrieben. Ihm selbst war dieses Image wohl nicht unlieb. 2005 gewinnt der CDU-Politiker die NRW-Landtagswahlen, wird neunter Ministerpräsident im SPD-Stammland. 39 sozialdemokratische Regierungsjahre an Rhein und Ruhr gehen damit vorerst zu Ende – ein Triumph.
Die Ortsmarke Düsseldorf bedeutet für Rüttgers eine Rückkehr, weniger räumlich gesehen denn professionell: Kommunalpolitisch eingestiegen als Ratsmitglied im nordrhein-westfälischen Pulheim, wechselte Rüttgers 1987 in den Bundestag nach Bonn, wurde Parlamentarischer Geschäftsführer der Unionsfraktion im Bundestag und schließlich "Zukunftsminister" im fünften und letzten Kabinett von Helmut Kohl, bis 1998 zuständig für die Ressorts Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie.
Schließlich: der Sprung zurück von der Bundes- auf die Landesebene. Als Vorsitzender der CDU NRW und Oppositionsführer zieht Rüttgers im Jahr 2000 in den Düsseldorfer Landtag ein, regelt schließlich in seiner Zeit als Ministerpräsident den Ausstieg aus der Steinkohle, appelliert vehement an das soziale Gewissen seiner eigenen Partei, riskiert bewusst, damit anzuecken. Nach der Wahlniederlage 2010 beginnt Jürgen Rüttgers einen neuen Lebensabschnitt: als Rechtsanwalt und Honorarprofessor an der Universität Bonn.
Prinzipien und Überzeugungen
"Ich habe mich zumindest immer bemüht, Klartext zu reden"
Moritz Küpper: Es gibt nur einen Weg zur Glaubwürdigkeit in der Politik: Man muss sagen, was man tut und tun, was man sagt. So hat es der verstorbene Johannes Rau – einst Bundespräsident, von der SPD, vor allem aber dienstältester Ministerpräsident Nordrhein-Westfalens – einmal formuliert. Er war, Herr Rüttgers, einer Ihrer Vorgänger. Wie wichtig war für Sie in Ihrer politischen Karriere die Gabe, die Möglichkeit, aber auch der Wille, Punkte klar zu benennen und anzusprechen?
Jürgen Rüttgers: Ich habe mich zumindest immer bemüht, wenn ich ein Thema angepackt habe oder wenn wir ein Programm geschrieben haben, Klartext zu reden. Ich habe mich selber früher immer viel und intensiv geärgert, wenn jemand rumschwadroniert hat. Das Allerschlimmste fand ich immer, wenn jemand, ein Spitzenkandidat eine Wahl verloren hat und hat dann nachher erklärt, dass er eigentlich gewonnen hatte.
Das ist nicht gut für das eigene Image, das ist auch nicht gut für unsere Demokratie, weil die Bürgerinnen und Bürger denken dann, das sind die da oben, die haben den Kontakt zur Basis verloren, die stehen nicht mehr mit beiden Beinen auf dem Fußboden. Das hat eine andere Seite. Wenn Sie Klartext reden, dann können Sie nicht nachher sagen, na ja, das habe ich so nicht gemeint. Und leider ist es ja auch so, dass, wenn jemand mal sagt, das habe ich falsch gesehen, da habe ich meine Meinung geändert, dann wird man dafür ja nicht gelobt, sondern man wird im Zweifel hart kritisiert.
Küpper: "Rüttgers stellte zur richtigen Zeit die richtigen Fragen, als die meisten Berufspolitiker noch um den heißen Brei herumredeten", so hat es in diesen Tagen ein Biograf über Sie formuliert, Bernd Mathieu, der langjährige Chefredakteur der "Aachener Zeitung". Fühlen Sie sich – gerade vielleicht auch rückblickend auf die, ja, fast vier Jahrzehnte in der Politik – richtig charakterisiert?
Rüttgers: Ach, da habe ich mich drüber gefreut, das habe ich auch gelesen. Das bekommt natürlich erst dann Sinn, wenn man nicht nur Fragen stellt, sondern auch die Antworten liefert. Und das habe ich getan. Das habe ich in der Zeit als Ministerpräsident getan, das habe ich in der Zeit als Bundesminister gemacht, auch als Oppositionsführer. Wenn Sie diesen Artikel noch weiterlesen, dann steht da ja auch, dass in den fünf Jahren unserer Regierungszeit hier in Nordrhein-Westfalen wir auch unglaublich viel umgesetzt haben. Da habe ich auch manchmal gedacht, vielleicht hast du dir einfach zu viel vorgenommen, hättest du ein bisschen ruhiger die Sache angehen lassen. Aber das war damals nötig. Und wir haben ja dann im Anschluss daran direkt auch ein Kontrastprogramm gehabt, wo alle gesagt haben, da passiert ja gar nichts mehr. Also insofern kann ich da gut mit leben.
Küpper: Das betrifft ja nicht nur Ihre Zeit in Düsseldorf, in Nordrhein-Westfalen, sondern auch Ihre Zeit in Bonn und vielleicht auch ein Stück weit Ihre Zeit als Kommunalpolitiker, Sie waren Ratsmitglied, Bundestags- und Landtagsabgeordneter, Bundesminister und Ministerpräsident: Wie schwer ist es denn, über den Tag hinaus zu denken und sein Handeln dann auch daran zu orientieren, wenn man eben in so einer, ja, Alltagsmühle vielleicht ein Stück weit steckt?
Rüttgers: Na ja, das Denken, das macht kein Problem, aber es umsetzen macht natürlich ein Problem. Lassen wir es mal konkret an einem Beispiel machen. Als ich mich auf die Wahl 2005 vorbereitet habe, da war mir ein Punkt klar und ich wusste auch, dass das ein hoch politischer, ganz schwieriger Vorgang werden würde: dass wir uns in Nordrhein-Westfalen auf Dauer die hohen Subventionen für die Steinkohle nicht mehr leisten konnten. Das war völlig aus der Form geraten, nicht die Arbeit der Kumpel, nicht das Unternehmen, sondern die Kosten waren so hoch geworden, dass es gar nicht mehr zu bezahlen war, 500 Millionen jedes Jahr, und gleichzeitig fehlte uns Geld für Lehrer, für Polizisten, für Straßen, für Forschung.
Nun wollte ich, und das war für mich immer wichtig, jetzt nicht einfach nur mal irgendwo sagen, dann machen wir das so, Punkt, und dann kommt nichts mehr, sondern ich wollte ein Konzept haben. Und da haben wir viele, viele Monate in einem ganz kleinen Kreis dran gearbeitet: Wie können wir sicherstellen, dass keiner ins Bergfreie fällt, dass keiner arbeitslos wird, sondern dass das ordentlich abgewickelt werden kann? Und die Tatsache, dass wir das geschafft haben, das macht mich dann auch rückwirkend ein bisschen stolz.
Kindheit, Schulzeit und Studium im Rheinland
Küpper: Kommen wir zu Ihrer Kindheit, Jugend. 1951 werden Sie, wenige Jahre nach dem Kriegsende, in Köln geboren als Sohn eines Elektromeisters. Welche Erinnerungen haben Sie an Ihre Kindheit in der Nachkriegszeit?
Rüttgers: Also ich habe eine rundum gute Erinnerung, weil mein Vater ist 1948 aus russischer Gefangenschaft zurückgekommen, mein Vater und meine Mutter haben dann, nachdem mein Vater die Meisterprüfung gemacht hat, sich selbstständig gemacht, einen kleinen Elektrobetrieb, und haben dann einfach diesen Betrieb aufgebaut. Ich habe teilweise geholfen. Als ich dann größer war, musste ich dann teilweise auch die Fernseher oder Radiogeräte ausliefern und anstellen. Aber umgekehrt hat meine Mutter immer gesagt, du gehst bald auf die Schule, und es war natürlich auch eine riesen Herausforderung, wenn man der erste in der Familie ist, der überhaupt zum Gymnasium gehen konnte.
Küpper: Sie besuchten erst die Volksschule in Brauweiler, Sie haben es gerade gesagt, wechselten dann später auf das Gymnasium nach Köln, als Erster, wie Sie gerade sagten. Wie war das damals? War das, klar, in Ihrer Familie natürlich ein seltener Schritt, aber auch generell?
Rüttgers: Ja, damals waren rund zehn Prozent eines Jahrgangs, die zum Gymnasium gingen. Dann musste man auch noch eine Aufnahmeprüfung machen. Jedenfalls hat das Freude gemacht, da zu lernen. Durch einen reinen Zufall bin ich im Apostel-Gymnasium gelandet, und das war eine Schule, die zum Teil fantastische Lehrer hatte, auch einen fantastischen Klassenlehrer, der sich wirklich um uns gekümmert hat, uns auch hart rangenommen hat, aber auf den haben wir nichts kommen lassen, das war unser Lehrer.
Küpper: Das Apostel-Gymnasium, Sie sprechen es an, ist eine durchaus berühmte Schule beziehungsweise hat durchaus bekannte Absolventen, neben Ihnen war das unter anderem ja Konrad Adenauer, der erste Bundeskanzler, aber auch Rudolf Amelunxen, der erste Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalens später dann, sozusagen einer Ihrer Vor-Vor-Vorgänger. War Ihnen das damals bekannt oder bewusst?
Rüttgers: Na ja, das mit dem Konrad Adenauer war klar, das war natürlich auch in der Schule ein Mythos. Aber das fällt einem erst später richtig auf. Auch die Bedeutung von Konrad Adenauer – in den ersten Jahren war das kein Thema, aber natürlich nachher ja und heute schon gar.
"Ich bin kein 68er gewesen, ich bin ein 69er, da habe ich Abitur gemacht"
Küpper: Adenauer, Amelunxen, welche Vorbilder hatte der junge Jürgen Rüttgers? Hatte er Vorbilder?
Rüttgers: Na, zuerst mal hatte ich wirklich als Vorbild unseren Klassenlehrer, den fanden wir alle toll, und der war auf der Schule auch noch einer von den ganz Jungen, also auch jemand, der Verständnis dafür hatte – das war ja nachher auch eine ganz hochinteressante Zeit, nicht nur mit den Beatles und den alten und den neuen Möglichkeiten, die sich für uns ja auftaten, verbunden mit der neuen Musik, verbunden auch mit der sexuellen Revolution, Stichwort Pille, mit mehr Demokratie in der Gesellschaft, Willy Brandt, also solche Geschichten, und natürlich auch mit den 68ern. Aber ich bin kein 68er gewesen, ich bin ein 69er, da habe ich Abitur gemacht.
Küpper: Werfen wir trotzdem den Blick noch mal kurz auf diese Schulzeit. Was gab es neben der Schule? Die Pfadfinder?
Rüttgers: Ja, da war ich sehr engagiert. Auch das hat mir immer viel Freude gemacht. Oder, was mich dann auch den Rest bis heute begleitet hat, das erste Mal im Schüleraustausch nach Frankreich, wo ich dann alleine von meinen Eltern in den Zug in Köln gesetzt worden bin, dann durch ganz Paris alleine durchfahren, damals war ich 14, hatte ein Jahr Französisch, also das war auch so toll mit der Sprache nicht, aber dann das Glück gehabt habe, in einer sehr, sehr netten Familie unterzukommen. Und da habe ich gelernt, wie wichtig das ist, … übrigens, zum Teil ja auch passieren einem da so ganz merkwürdige Sachen.
Die hatten, wenn ich es richtig im Kopf habe, sechs Kinder, und sonntags mittags gab es immer große Familientreffen mit Großeltern, wo man dann zusammen Mittag aß, und ich weiß auch nicht warum, aber wahrscheinlich, weil ich von außen kam, wurde ich dann immer neben die Großeltern gesetzt, was mir auf der einen Seite nicht gefallen hat, auf der anderen Seite mich aber gezwungen hat, mit der Sprache weiterzukommen. Und ich weiß noch wie heute, wo der Großvater mich gefragt hat, wo denn mein Vater im Krieg gewesen ist. Und ich wusste es nicht, und da wurde auch nicht drüber gesprochen, und ich habe es nachher gehört, dass er auch mal eine Zeit lang in Frankreich war, bevor er nach Russland dann musste. Aber das sind so Sachen, dann wird man ein bisschen sensibel, dass die Empfindungen zwischen Ländern, zwischen Völkern, zwischen Nationen eben auch immer ein Stück was mit Geschichte zu tun haben.
Küpper: Sie haben dann später in Köln Rechtswissenschaften und Geschichte studiert, vor allem dann im Hinblick Jura, Sie sind heute auch als Rechtsanwalt tätig. Haben Sie auch mal überlegt, woanders hinzugehen?
Rüttgers: Na, zuerst mal wollte ich Journalist werden und kann mich noch wie heute dran entsinnen, also ich hatte so keinen, den ich fragen konnte. Mich hatte schon in der Schule immer Geschichte interessiert, Deutsch war auch immer ein Fach, was mit eigentlich beschäftigt hat und was ich gerne gemacht habe, aber ich wusste nicht, wie man Journalist wird, und dann bin ich in der Kölner Uni gewesen, in der Studienberatung des AStA, und hat der gefragt, was wollen Sie denn werden, und dann habe ich gesagt, Journalist, und dann war die Antwort: Wollen Sie nicht was Richtiges machen? Aber mit Geschichte, das habe ich weitergemacht und dann daneben Jura, und ich habe es nicht bereut.
Der Weg in den langen Eugen und ins Ministeramt
Küpper: Seit 1970 sind Sie Mitglied der CDU, mit 19 Jahren?
Rüttgers: Ja.
Küpper: Wer hat Sie damals in die Partei oder zur CDU geholt?
Rüttgers: Ach, zuerst mal war das ein reiner Zufall. Ich hatte mit 17 Abitur gemacht, hatte gerade angefangen zu studieren, und dann fanden die berühmten Landtagswahlen 1970 statt mit Heinrich Köppler als Kandidat der CDU. Und was ich eigentlich wollte: Ich wollte das mal erleben, was das bedeutet und was man da gemacht hat. Und ich habe dann den örtlichen Kandidaten angerufen und habe gefragt, ob ich nicht helfen könnte. Und der kam dann mal vorbei bei mir und dann haben wir uns unterhalten und dann sagt er, ja, Sie können ja dann bei Ihren Freunden für mich werben. Dann habe ich gesagt, nee, so habe ich das nicht gemeint. Ich wollte jetzt richtig was tun. Sagen Sie Bescheid, was soll ich wo machen, und dann können wir das fünf Wochen machen.
Und daraus hat sich das ergeben. Irgendwann hatten wir auch eine Veranstaltung in diesem Wahlkampf in Brauweiler bei der Jungen Union. Also da wäre ich eigentlich nicht auf die Idee gekommen, da hinzugehen, aber als ich dann da saß und zugehört habe der Rede des Landtagskandidaten, und dann mussten die noch einen Vorstand wählen, und als ich rausging, war ich stellvertretender Vorsitzender. So ist das. Wenn man da nicht direkt nein sagt, dann ist man so was sehr schnell.
Küpper: Fünf Jahre später, 1975, wurden Sie dann in den Rat der Stadt Pulheim gewählt, genau, Sie haben es angesprochen, waren dann später auch Landesvorsitzender der Jungen Union. Ab wann wussten Sie: Ich möchte die Politik zu meinem Beruf machen?
Rüttgers: Gar nicht, ich wollte das überhaupt nicht. Also ich habe das nebenbei als Hobby gemacht, weil es mir Freude gemacht hat. Nun bin ich so jemand, wenn er irgendwas anfängt, dann macht er es richtig, und auch da habe ich mich dann jeweils engagiert, hatte dann meinen ersten Job auch beim Städte- und Gemeindebund. Und das ließ sich gut miteinander verbinden. Und irgendwann kriegte ich dann in einem Gespräch mehr oder weniger die nachdrückliche Aufforderung vom Stadtrat, in die Stadtverwaltung zu gehen, da musste eine Stadtsanierung, Ortskernsanierung gemacht werden, und das war mit allem, was man sich so vorstellen kann.
Und wo ich da stolz drauf bin, ist, dass ich keinen einzigen Verwaltungsakt gebraucht habe, um diese Sanierung umzusetzen, sondern alles mit Reden gemacht habe. Also man kann Menschen von was überzeugen, wenn man zuerst mal zuhört, nicht direkt so tut, als ob man für alles eine Lösung hätte, die Lösung mit ihnen zusammen bastelt, dafür sorgt, dass die dann damit leben können.
"Man muss dann einfach den Mut haben, anzufangen"
Küpper: Das war mit Sicherheit politisch prägend. Es ging dann recht schnell für Sie, Sie haben es gesagt, erster Beigeordneter in Pulheim, dann später Kreisparteivorsitzender und 1987 kommen Sie dann über die Reserveliste in den Deutschen Bundestag Bonn. Das war räumlich ja eigentlich gar nicht so weit weg von Ihrer Heimat, allerdings: Wie weit war der Weg für Sie dann in die Bundespolitik? Wie findet man sich dort zurecht?
Rüttgers: Na ja, zuerst müssen Sie mal reinkommen. Ich hatte keinen Wahlkreis und hatte aber über die Junge Union die Chance, einen Listenplatz zu bekommen, da musste ich mich gegen zwei damals sehr, sehr bekannte Bundestagsabgeordnete durchsetzen. Das hat dann auch geklappt. Ja, und dann kann ich mich noch wie heute an den ersten Tag erinnern, da fuhr ich mit meinem Golf nach Bonn zum langen Eugen und da war daneben so ein Parkdeck, dann habe ich da einen Parkplatz gesucht und habe mich dann da irgendwo hingestellt – und sofort kam irgendein Parkwächter und hat gesagt, können Sie bitte hier wegfahren? Ich sage, wieso? Der ist nur für Bundestagsabgeordnete. Dann habe ich gesagt, ja, ich bin aber jetzt Bundestagsabgeordneter. Oh, Entschuldigung, wir kennen Sie noch nicht. Also das war die Vorstellung, kleines Auto und junger Mann, klappte gar nicht, der konnte nur falsch geparkt haben. Auch da war es wie so häufig: Man muss dann einfach den Mut haben, anzufangen, wenn Sie so wollen, Ärmel aufzukrempeln.
Küpper: Helmut Kohl war damals Bundeskanzler. Ich habe es nachgelesen, er soll Sie immer "der Pulheimer" genannt haben. Welches Verhältnis hatten Sie zu Helmut Kohl?
Rüttgers: Na ja, als ich dann Parlamentarischer Geschäftsführer war, zuerst mal winkte der mich zur Regierungsbank hin und sagte, kommen Sie heute Abend mal vorbei. Und dann war ich da, im Kanzlerbungalow, und dann hat der mich natürlich, wenn man so will, auf Herz und Nieren auch geprüft, ob das was wird oder nicht was wird. Und ich habe dann die ganzen Jahre von 1988 bis 1998, also zehn Jahre lang, sehr eng mit ihm zusammengearbeitet, war nachher dann als erster Parlamentarischer Geschäftsführer die rechte Hand von Wolfgang Schäuble, der dann Fraktionsvorsitzender wurde nach dem furchtbaren Attentat. Dann habe ich irgendwann mal gesagt, also irgendwann schreibe ich noch mal das Buch "Mein Leben zwischen Kohl und Schäuble", weil das waren natürlich zwei Alphatiere, die da waren, und das war für die Politik in Deutschland unglaublich wichtig.
Man hat es ja auch dann gesehen zu einem sehr, sehr frühen Zeitpunkt. Schäuble war auch erster Parlamentarischer Geschäftsführer, dann im Kanzleramt Minister, dann Innenminister, und er war ja auch jemand, der, ähnlich wie Helmut Kohl, sich sehr, sehr große Verdienste um die Wiedervereinigung Deutschlands dann auch erworben hat. Und da war ich dann so irgendwo zwischen den beiden. Aber das ist ja auch dann eigentlich eine schöne Erfahrung. Man fährt häufig mit ins Ausland, man ist in den Koalitionsverhandlungen dabei, man ist immer dann, wenn es wichtig wird, dabei. Das ist natürlich wirklich dann auch ein Geschenk, was man dann da hat.
Also das war immer bei Kohl, um das auch mal zu sagen, und bei Schäuble auch, aber bei Kohl wird das gelegentlich ja auch bestritten: Dem konnte man alles sagen. Dem konnte man richtig auch sehr hart und deutlich sagen, "Was hast du denn da eigentlich gemacht" oder "So geht das nicht" oder "Das muss man anders machen" – nicht aus Überheblichkeit, sondern einfach, damit auch ein Gegenpart da ist, der dann mal einfach dagegen hält. Und das konnte der gut ab. Es gab eine Sache, die nicht ging: dass dann da nachher irgendwas in der Zeitung drüber stand, dass man darüber plauderte, sich dessen rühmte. Das machte man intern, und dann wurde entschieden, was wirkt, und dann war es auch gut.
Küpper: Helmut Kohl wurde 1994 zum fünften Mal zum Bundeskanzler der Republik gewählt. Sie wurden dann später vereidigt, Minister im Kabinett Kohl. Ab wann war das klar?
Rüttgers: Zuerst mal, wenn so eine Wahl gewonnen ist, dann fängt man an und bereitet sich auf die Regierungsbildung vor, da hat es Debatten gegeben, dann haben wir die Wahl des Bundeskanzlers hinter uns gebracht, parallel dazu sind dann die Wahlen in den Fraktionen, da war ich dann wiedergewählt worden als erster Parlamentarischer. Na ja, und dann kam irgendwann Helmut Kohl und sagte, na ja, dann kommst du hier zu mir, so wie er das dann sagte, und er meinte damit, ich sollte ins Kanzleramt kommen. Und dann habe ich gesagt, nein, mache ich nicht. Sagt er, wieso das denn nicht? Habe ich gesagt: Das ist mir zu nah an dir dran.
Dann wusste er aber schon, was ich gemeint habe, weil das erstens natürlich hochspannend ist, eine hochspannende Aufgabe, aber das ist ja der, der für alle Probleme zuständig ist, und das wollte ich dann doch nicht machen. Ich hatte mir allerdings auch was anderes überlegt und habe ihn dann gefragt, also wenn du willst, dass ich unbedingt komme, dann lege die beiden Ministerien Bildung und Forschung zusammen, das würde ich machen.
Und das hat er dann auch gemacht, und daraus ergab sich dann auch die Ernennung zum Bundesminister für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie, ein großes Ministerium. Die Journalisten, denen war das zu lang, die haben dann immer gesagt "Zukunftsminister". Und auch das war wieder eine ganz große Erfahrung.
"Wir haben die größte Hochschulreform seit Humboldt gemacht"
Küpper: Wie war das als, ja, Sie haben es selber gesagt, als "Zukunftsminister", als, ja, junger, aufstrebender Politiker im, wie wir heute wissen, ja letzten Kapitel einer Ära, im letzten Zyklus der Ära Kohl? Konnte man da noch Dinge bewegen? Gab es noch Energie, Aufbruch?
Rüttgers: Oh ja. Es war auch nicht so, als ob Helmut Kohl da irgendwie die Lust verloren hat oder nichts mehr machen wollte. Das war natürlich das, weil sein Gegenpart war ja Oskar Lafontaine, der SPD-Vorsitzende, und der hat dann versucht, so den Eindruck zu erwecken, bei dem klappt nichts mehr und so. Aber das war es bei Weitem nicht.
Also ich sage es mal konkret an dem Fall: In den vier Jahren, ich rede jetzt mal von meiner Arbeit, haben wir die größte Hochschulreform, jetzt zitiere ich eine Zeitung, seit Wilhelm von Humboldt gemacht. Das war die Umstellung von den klassischen deutschen Abschlüssen auf das angelsächsische System, also Bachelor und Master. Und das war eine riesen Veränderung für unsere Hochschulen, war aber nötig, weil wir inzwischen ja auch unglaublich viele junge Leute hatten, die studieren wollten, und das ging mit dem alten System nicht mehr.
Das hat übrigens dann nur geklappt, weil ich parallel dazu mit meinem französischen Kollegen Claude Allègre und meinem italienischen Kollegen Luigi Berlinguer und noch einer Kollegin aus London uns auf eine gemeinsame Position verständigt haben, und wir haben dann in Paris an der Sorbonne dann noch rechtzeitig – übrigens im Zusammenhang mit der 800-Jahr-Feier dieser Universität – in einer parallel stattfindenden Veranstaltung die Sorbonne-Erklärung unterschrieben.
Und das war dann der Start für, noch mal, die größte Hochschulreform seit Wilhelm von Humboldt. Inzwischen sind 47 Länder in ganz Europa und darüber hinaus Mitglied dieses Bologna-Prozesses geworden, und die Tatsache, dass man heute von einer Universität zur anderen kann und das, was man dann in der ausländischen Universität an Scheinen macht, an Punkten bekommt, kann man dann fürs eigene Examen auch hier bei uns und umgekehrt dann brauchen.
Küpper: Ganz knapp – zum Abschluss dieses, ja, Lebensabschnitts auch für Sie: Haben Sie die Wahlniederlage damals vorhergeahnt?
Rüttgers: Na ja, also wissen Sie, bei den Wahlkämpfen ist das so: Wenn Sie sich nicht selber motivieren können, dann fangen Sie besser erst gar nicht an. Insofern hofft man immer noch, dass es dann noch irgendwie gut geht, dann vielleicht ganz knapp oder so irgendwas. Aber es war natürlich damals schon eine Zeit nach einer so langen, erfolgreichen Amtszeit mit Wiedervereinigung Deutschlands, Wiedervereinigung Europas, dass man das Gefühl hatte, das könnte jetzt sich ändern. Ja. Also man hat so ein Grundgefühl, aber man hofft natürlich trotzdem.
"Der Vorsitzende der Arbeiterpartei bin ich"
Küpper: Geografisch, räumlich war, ist es kein großer Unterschied, ob Landes- oder Bundespolitik in Ihrem Fall, ob Bonn oder Düsseldorf. Dennoch: Warum zog es Sie damals nach der Wahlniederlage 1998 mit ein bisschen Verzögerung zurück oder in die Landespolitik?
Rüttgers: Ja, wenn man eine Wahl verloren hat, in dem Fall, dann gibt es so verschiedene Reaktionsmuster. Das eine ist, indem man sagt, das war nicht deine Niederlage, das war die Niederlage des Bundeskanzlers. Das finde ich zum Beispiel irgendwie abartig, so zu reagieren. Wir haben alle gemeinsam gekämpft, wir haben alle vorher zusammen gearbeitet und dann muss man auch die Verantwortung übernehmen. Das fiel also aus als Erklärung.
So, dann war die zweite Frage, die man sich stellt, jetzt war ich schon Bundesminister gewesen, dann fragt man sich, willst du jetzt nicht Schluss machen mit der Politik und was ganz, ganz anderes machen? Das war der eine Weg. Und der andere Weg war, das lag in Nordrhein-Westfalen eigentlich so irgendwie nah, zu sagen: Traust du dir zu nach so vielen Jahrzehnten die SPD in Nordrhein-Westfalen abzulösen? Und dann habe ich mich entschieden und habe gesagt, das versuche ich jetzt einfach noch mal, bin dann in der Fraktion noch mal stellvertretender Fraktionsvorsitzender geworden, habe dann da mit Otto Schily als Minister mich rumgeschlagen.
"Helmut Kohl hat sich bei mir entschuldigt, dass er mir die Wahl versaut hat"
Küpper: Das war noch im Bundestag.
Rüttgers: Das war noch im Bundestag, und habe dann aber die Zeit genutzt, um hier zum Landesvorsitzenden gewählt zu werden. Das war auch eine Kandidatur zu dritt, wo drei Kandidaten da waren. Und dann habe ich direkt von Anfang an gesagt, als ich mich da beworben habe, und ich kandidiere auch für den Landtag, und egal, was passiert – ich komme. Und so haben wir das dann auch gemacht. Und der Wahlkampf also war verunglückt, aber nicht hier in Nordrhein-Westfalen, sondern nach allen Umfragen, die es gegeben hat, hätte ich die Wahl 2000 hier gewonnen, wenn nicht die Spendenaffäre damals gekommen wäre auf Bundesebene. Ja, da kann man nichts dran machen.
Helmut Kohl hat sich in einem seiner Bücher nachher auch bei mir entschuldigt, dass er mir die Wahl versaut hat. Aber es ist dann halt passiert so. Und dann habe ich gesagt, dann gehst du trotzdem hin, und dann habe ich fünf Jahre Zeit da gehabt, mich vorzubereiten.
Küpper: Wie sicher oder was hat Ihnen Sicherheit gegeben bei diesem Unterfangen? Denn, noch mal: In Nordrhein-Westfalen haben dann bis 2005 eben 39 Jahre die SPD, in welcher Form auch immer, aber die Regierung gestellt. Also das war schon ein, ja, großer Anlauf.
Rüttgers: Es war ein großer Anlauf und es war eine riesige Aufgabe, und ob das klappen würde, wusste keiner. Und ich war mir an einer Sache ganz sicher. Also das ist erstens eine Frage, ob es dir gelingt, deinen eigenen Laden, sprich, die CDU, in den drei Landesteilen hinter dich zu bekommen, eine gemeinsame Politik zu machen. Das Zweite ist, du musst Antworten haben auf die Fragen, die die Leute interessieren, das war damals Arbeitslosigkeit, das war die Frage Infrastruktur und das war die Frage Schule. So, und da muss man dann hart arbeiten und versuchen, ein überzeugendes Konzept zu machen. Das haben wir gemacht.
Übrigens auch ein Thema, was damals erstmals, soweit ich weiß, in Deutschland gemacht worden ist: Da haben wir damals in der Oppositionszeit, ganz am Anfang schon, ein Integrationskonzept entwickelt für diejenigen, die aus dem Ausland zu uns gekommen sind. Und da haben wir ja auch unglaublich viele Fehler über die Jahre gemacht. Wir haben Gastarbeiter angeworben und haben sie dann wieder nach Hause geschickt, wir haben Menschen in der Türkei, in Anatolien angeworben, haben ihnen gesagt, ihr könnt die Familie nicht mitbringen und dann aber es nachher dann doch wieder erlaubt. Wir haben nicht aktiv versucht, ihnen zu helfen, die deutsche Sprache zu lernen, nicht geholfen bei ihren Kindern, Stichwort Kindergarten, Stichwort Schule mit besonderen Hilfen für diese Kinder – also ein riesen Thema. So, und das war, glaube ich, der richtige Weg. Die Leute waren es dann auch mit den 39 Jahren SPD satt.
Küpper: Ihr Wahlsieg hier in Düsseldorf, in Nordrhein-Westfalen, der hatte Signalwirkung über das Land hinaus. Es war, das wissen wir auch heute, mehr oder weniger der Anfang vom Ende von Rot-Grün auf Bundesebene. Am Abend wurde das dann dort auch bekannt gegeben. Hat sich Angela Merkel eigentlich mal bei Ihnen bedankt, weil Sie im Grunde genommen ja dann ein Stück weit den Grundstein gelegt haben für ihre Kanzlerschaft dann später?
Rüttgers: Ja, also wir haben natürlich sowohl vorher wie nachher immer wieder darüber geredet, und Angela Merkel war sich natürlich darüber im Klaren, dass das hier in Nordrhein-Westfalen angefangen hat. Ja, die Frage, ob das dann wiederum für mich gut war, dass sich dann auch Berlin eine Regierung mit CDU-Führung gebildet hat, darüber streiten sich ja auch immer die Politologen.
"Die Tatsache, dass man Steuern senkt, führt noch lange nicht dazu, dass da neue Arbeitsplätze geschaffen werden"
Küpper: Über einige große, weitreichende Verdienste in dieser Zeit haben wir schon gesprochen, den Steinkohleausstieg beispielsweise, Wissenschaft, Innovation, die sinkende Arbeitslosigkeit kann man da noch ergänzen. Etwas war dann doch sehr oder ist sehr auffällig gewesen, was auch schon angeklungen ist, dass Sie sich sozusagen als eine Art soziales Gewissen auch Ihrer Partei, Ihrer Bundespartei letztendlich präsentiert haben. Mal nur zur Erinnerung, damals herrschte eher ein neoliberaler Zeitgeist. Sie haben sich offensiv dagegen gestellt. "Der Vorsitzende der Arbeiterpartei Nordrhein-Westfalen bin ich" haben Sie gesagt, und Sie haben auch davon gesprochen, dass es eine Lebenslüge sei, dass Steuersenkungen zu mehr Arbeitsplätzen führen würden. Wie war das damals? Warum haben Sie das getan?
Rüttgers: Na, weil es einfach wahr war. Ich habe da gelegentlich dann schon mal auch, um der CDU zu helfen in ihrer Programmatik, mich hingesetzt und gesagt, ob eigentlich so jeder Satz, den man immer so sagt, ob der überhaupt tragfähig ist. Und das war ja einer dieser Fälle, das mit den Steuersenkungen. Natürlich kann man Steuern senken, wenn man die Wirtschaft ankurbeln will, aber dann muss man sich trotzdem genau darüber im Klaren werden, was man eigentlich an welcher Stelle damit bewirken will. Und die Tatsache, dass man Steuern senkt, führt noch lange nicht dazu, dass da neue Arbeitsplätze geschaffen werden.
Wir haben ja gerade im Moment wieder eine Situation, ganz aktuell, wo es um die Frage geht, dass viele Angst haben, dass die Globalisierung und vor allen Dingen die Digitalisierung dazu führt, dass viele, viele Arbeitsplätze wegfallen, weil das eine Form von Rationalisierung ist, die dann stattfindet. Wenn man genau hinguckt – und ich hatte ja in den letzten zwei Jahren Gelegenheit, weil ich eine Kommission auf Europaebene zu dem Thema geleitet habe –, wenn man genau hinguckt, dann stellt man fest, dass wir zwar in den letzten Jahren ein Wirtschaftswachstum hatten, dass wir auch Wachstum bei den Löhnen gehabt haben, auch relativ viel, was in der Sache berechtigt ist, also nicht, dass man denkt, ich würde da jetzt irgendwas kritisieren, nur: Das eigentliche Problem haben wir in der Zeit nicht gelöst, nämlich, das Produktivitätswachstum zu steigern.
Und das heißt nun im Klartext: Wir sind nicht gut vorbereitet auf die nächsten zehn Jahre. Und da müssen wir was dran tun, und das heißt, Investitionen in die Infrastruktur, aber auch Investitionen in Innovation, das sind die beiden Antworten, die man da machen kann. Und dann nicht einfach nach dem Motto, ob der Soli runterkommt oder nicht runterkommt, um es mal ganz auf den Punkt wieder zu sagen, ist nicht eine Frage, dass ich mit einer Senkung des Solis jetzt plötzlich die Wirtschaft angekurbelt bekomme, dafür sind die Summen zu gering, wenn man nicht gleichzeitig die Verschuldung hochtreiben will, dann hilft sowieso nicht viel.
Also lange Rede, kurzer Sinn: Man muss so was dann einfach sagen, und wenn man das dann sagt, … so kam dann übrigens auch der Satz "Der Vorsitzende der Arbeiterpartei bin ich". Das war ja was total Neues in diesem Wahlergebnis 2005, dass die CDU über der SPD lag bei den Ergebnissen bei den Arbeitern.
Abschied aus der Politik
Küpper: Wir haben über die Erfolge Ihrer Regierungszeit gesprochen und auch in diesem Punkt muss man sagen: Die Absage an diese neoliberale Grundhaltung gab dann auch die Bundeskanzlerin, die spätere, statt sozusagen, Angela Merkel ist dem ein Stück weit ja auch gefolgt. Dennoch: Wie erklären Sie sich, dass nach fünf Jahren dann Ihre Regierungszeit hier an Rhein und Ruhr zu Ende ging, aus heutiger Rücksicht?
Rüttgers: Na ja, zuerst musste ich das mal auf dem Parteitag durchsetzen. Da gab es den Leipziger Parteitag, und da ging es in eine ganz andere Richtung, nämlich die neoliberale, und das musste wieder zurückgeholt werden, und das haben wir dann in Dresden auch geschafft. Das ist auch gut so. Die Frage, warum das dann bei der Wahl 2010 nicht gereicht hat, war bestimmt nicht – und dazu haben wir Untersuchungen machen lassen, das ist völlig klar –, dass die Leute mit unserer Regierung nicht zufrieden waren. Die waren zufrieden, das war gut. Es gibt Leute, die sagen: Ihr hättet ein bisschen mehr streiten müssen, dann hätten die Leute das gemacht. Das war eine Koalition, die hat sich nie öffentlich gestritten – auch was Besonderes gewesen.
Küpper: Eine schwarz-gelbe Koalition.
Rüttgers: Eine schwarz-gelbe Koalition, aber eben mit vielen, vielen Reformen gleichzeitig. Der Punkt, wo es dran gelegen hat, hat auch wieder was mit, wenn Sie wollen, dem Neoliberalen zu tun. Die Bundesregierung hatte entschieden, und ich habe sie davor mehrfach gewarnt öffentlich und auch intern, dass man kein Geld geben wolle, um Griechenland wieder auf die Beine zu helfen. Und mein Argument war immer, das haltet ihr am Schluss nicht durch, das kann jetzt drei Monate gutgehen, aber das haltet ihr nicht durch, denn in dem Moment, wo dann der Euro davon tangiert wird, in dem Moment bleibt euch gar nichts anderes übrig. Das ist dann auch passiert.
Ich habe es zehn Tage vor der Wahl, rund zehn Tage vor der Wahl dann von Angela Merkel gehört, dass sie das machen würden. Jedenfalls fand das dann zwei Tage vor der Landtagswahl statt. So. Und das können Sie bei den Ergebnissen genau sehen: Da sind 350.000 Wählerinnen und Wähler, die mich davor gewählt haben – die übrigens auch bei diesen grandiosen Kommunalwahlergebnissen, die wir ja hier hatten mit 50,4 Prozent und 48 Prozent und Ähnliches, CDU gewählt hatten –, die sind dann zu Hause geblieben so und haben dann 50 Stimmen pro Wahlkreis verloren. Das ist dann so und das muss man dann einfach auch akzeptieren. Und ich bin nicht verhärmt oder da jetzt irgendwie verletzt. Ich sage es auch nur, weil Sie gerade gefragt haben.
Küpper: Das ist der Bundestrend gewesen, bundespolitische Entscheidungen. Welchen Anteil hatten, ja, ein Stück weit Skandale? Sie mussten damals Ihren Generalsekretär, Hendrik Wüst, … haben sich von ihm kurz vor der Wahl auch getrennt. Es gab die sogenannte Sponsoring-Affäre, nach der Sie sozusagen auf Parteitagen gegen Geldzahlungen von Unternehmen diese Stände besucht haben. Welche Rolle spielten solche Punkte, die ja sozusagen wegführten von einer inhaltlichen Auseinandersetzung?
Rüttgers: Na ja, das war der Versuch von auch einigen Journalisten, eine Debatte über Skandale hinzubekommen. Ich könnte Ihnen das jetzt genau erklären, wie das in der Sache war. Ich glaube nicht, dass das insgesamt weiterhilft. Es war insofern etwas Besonderes, als wir das erste Mal in Deutschland erlebt haben, dass es einen Mechanismus gibt zwischen den Debatten im Internet und dem, was dann nachher politisch rauskommt, wenn die Radiosender, die Fernsehsender, die Verlage, die Zeitungen dann aus der Debatte im Internet eine entsprechende Berichterstattung machen. Das war neu.
Und das ist deshalb im Moment auch wieder ein spannender Lernpunkt, weil wir stehen kurz vor der Europawahl, die wichtigste Wahl, die wir in diesem Jahrzehnt haben, und wir werden angegriffen werden, das will ich mal prognostizieren, sowohl von innen wie von außen. Und da wird es Leute geben aus Russland, aus dem Balkan, auch aus Amerika, aus China, die werden versuchen, die europäische Einigung an der Stelle kaputtzuschießen, und es wird auch Leute aus dem Inneren geben, also die Populisten und Radikalisten, Antisemiten, die wir ja auch zum Teil leider schon in den Parlamenten haben, die dann versuchen werden, da ihr Süppchen zu kochen. Und da müssen wir höllisch aufpassen.
Küpper: Nach der Landtagswahl 2010 saßen Sie erst noch im Landtag, haben sich dann später entschlossen, die politische Karriere zu beenden. Damals waren Sie noch keine 60 Jahre alt. Gerade eben haben Sie gesagt, Sie hatten schon mal eine Zäsur in Ihrem politischen Leben nach der Phase der Bundespolitik sozusagen, da haben Sie sich geprüft, ob Sie noch weiter Politik machen. Was hat damals dann den Ausschlag für Sie gegeben, zu sagen, das war es?
Rüttgers: Na ja, mit dem, dass ich noch im Landtag war: Ich war gewählt in meinem Wahlkreis, im, wenn Sie wollen, auch Arbeiterwahlkreis, sehr stark von der Braunkohle, von RWE und von Ford geprägten Wahlkreis – mit 48 Prozent. Ich habe so eine Abneigung. Ich hatte vorher gesagt, ich tue was für euch, und dann direkt am Tag danach sagen, jetzt bin ich mal weg, das hat mich immer gestört auch, so was. Insofern habe ich gesagt, das wickelst du jetzt auch noch in Ruhe ab. Es gab ja dann auch sehr schnell eine vorgezogene Neuwahl, das war dann der Grund, das zu machen. Ich habe am Wahlabend um zwanzig nach sechs, als wir die Zahlen hatten, schon im Präsidium der CDU Nordrhein-Westfalen direkt gesagt, ich übernehme die Verantwortung dafür. Ich war jetzt der Spitzenkandidat, ich höre auf, ich gebe sowohl meinen Landesvorsitz ab wie auch meine anderen Ämter. Und insofern war das eigentlich keine Überraschung. Was ich wollte, war, dann auch noch mal den Versuch machen, was Neues zu tun. Das habe ich beruflich gemacht. Das ist meine Tätigkeit als Anwalt in einer großen deutschen Kanzlei mit Standort auch hier in Düsseldorf, und mein Engagement an der Universität in Bonn.
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