Ein Porträt von Cézannes Vater eröffnet die Ausstellung: Louis-Auguste Cézanne, auf einem Sessel sitzend, beim Zeitunglesen. Im Hintergrund an der Wand ist noch ein Bild von Cézanne zu erkennen, "Zuckerdose, Birnen und blaue Tasse", eines seiner berühmten Stillleben. Das Porträt des Künstlervaters aus dem Jahr 1866 ist ein vielsagender Auftakt. Cézannes Blick auf die Menschen, die er malte, war nämlich seiner Landschafts- und Stilllebenmalerei nicht unähnlich, sagt Kurator John Elderfield und erzählt eine berühmte Anekdote:
"Als er den Kunsthändler Ambroise Vollard malte, wurde Cézanne ziemlich wütend, weil sich Vollard dauernd bewegte. Er schimpfte: 'Beweg' dich nicht! Ein Apfel bewegt sich doch auch nicht!' Das wurde interpretiert, als ob er Menschen wie Früchte behandelte, aber er wollte nur, dass die Leute stillhalten, damit er sie objektiv, sachlich malen konnte."
Ambroise Vollard war es übrigens auch, der vor mehr als hundert Jahren schon einmal eine kleine Ausstellung ausschließlich mit Porträts von Cézanne bestückte. Für alle nach 1910 Geborenen ist die Schau im Musée d'Orsay eine Premiere. Sie versammelt, chronologisch geordnet, mehr als 60 der insgesamt 160 Porträts, die Cézanne im Laufe seiner Karriere malte.
Angefangen bei einem frühen Selbstporträt, wo sich der Maler mit blutunterlaufenen Augen als düsterer Visionär inszenierte. Über eine Serie von Porträts seines Onkels Dominique, dessen Gesicht er fast schon brutal mit dicken Farbschichten direkt aus der Palette strukturierte. Bis zu den großartigen Bildern der Jahre 1895 und -96: Das Porträt des Journalisten und Kunstkritikers Gustave Geffroy – ein Bild, auf dem die Bücher im Hintergrund abstrakte farbige Streifen sind, die sich zu bewegen scheinen. Oder "Die Frau mit Kaffeekanne" – ein Gemälde, dessen Hauptelemente - der Frauenköper, die Kaffeekanne und eine Tasse – geometrisch extrem vereinfacht sind: Horizontale und vertikale Linien schaffen eine Komposition, mit der sich auch der Porträtist Cézanne als Vormaler des Kubismus erweist.
Spektakuläre Leihgaben
Ganz besonders spektakulär aber ist eine Serie von vier Porträts seiner Frau Hortense Fiquet. Leihgaben aus Museen in Sao Paolo, Chicago, New York und Basel zeigen Madame Cézanne im roten Kleid. Viermal also ist da Madame Cézanne zu sehen, im immer gleichen roten Kleid, dreimal posiert sie auf einem gelben Stuhl. Die Bilderserie erinnert an die berühmten Heuhaufen-Gemälde von Claude Monet. Hier zeige sich, wie experimentell Cézanne arbeitete, sagt Xavier Rey, französischer Co-Kurator der Ausstellung.
"Er malte immer wieder dasselbe Motiv, das gleiche Kleid und eine sehr stilisierte Figur der Madame Cézanne. Cézannes Malerei ist sehr formalistisch. Ein Formalismus, der sich wenig um die Persönlichkeit der Dargestellten schert, der die Ehefrau wie einen Apfel behandelt."
Mimik und Gestig sind nur Nebensache
Anders als traditionelle Porträtmaler – auch bedeutende Zeitgenossen wie Degas oder Renoir – interessierte sich Cézanne kaum für Psychologisches wie Mimik oder Gestik seiner Motive.
Matisse habe diese Vorgehensweise sehr gut verstanden, sagt John Elderfield.
"Ausdruck, so Matisse, zeige sich nicht im Gesichtsausdruck oder Körperbewegungen, sondern in der ganzen Bildkomposition. Und genau das wollte Cézanne erreichen."
Anders gesagt: Cézanne malte nicht Menschen, er komponierte Bilder. Besonders eindrucksvoll ist in dieser Hinsicht das vierte Porträt der Madame Cézanne im roten Kleid – die Version aus dem New Yorker Metropolitan Museum. Die strenge, monumentale Gestalt von Madame ist da umgeben von einem bildmächtigen Arrangement verschiedener Gegenstände: Eine Feuerzange zu ihrer Rechten findet ein Echo im Schatten des Vorhangs zu Ihrer Linken; die Lehne des gelben Sessels korrespondiert mit einem Spiegel an der Wand.
Schaffung destrukturierter Räume
Cézanne sprengte die gängige Praxis des Porträts, sagt Xavier Rey.
"Er überwand die Grenzen zwischen Porträt- und Genremalerei, ebenso die zwischen Porträt- und Landschaftsmalerei durch die Monumentalität seiner Figuren. Und natürlich schaffte er auch die Grenze zwischen Stillleben und Porträt ab, indem er Verbindungen schuf zwischen der dargestellten Person und dem Bildhintergrund. Das Besondere an Cézannes Malerei ist, dass sie destrukturierte Räume schafft."
Erstaunlich, dass seit mehr als hundert Jahren niemand auf die Idee gekommen ist, Cézannes Porträts eine Ausstellung zu widmen, und umso besser, dass das im Musée d'Orsay jetzt geschieht.