Portugiesen haben ihr Glück schon immer in der Ferne gesucht, sei es als Entdecker im 15. und 16. Jahrhundert, sei es als Auswanderer auf der Suche nach einem besseren Leben, ob in Brasilien oder Angola, in Frankreich oder in Deutschland.
Nach dem ersten deutsch-portugiesischen Anwerbeabkommen im März 1964 kamen hunderttausende Portugiesen ins Wirtschaftswunderland. Heute gibt es eine neue Auswanderungswelle: Wieder einmal machen sich junge Portugiesinnen und Portugiesen auf den Weg in Richtung Norden. Anders als damals ist die neue Migrantengeneration heute hoch qualifiziert und wird entsprechend hofiert und umworben - von deutschen Unternehmen, die dringend Facharbeiter, Ingenieure und Pflegepersonal suchen.
Zuhause vor die Wahl gestellt zwischen Arbeitslosigkeit und schlecht bezahlten Jobs ohne soziale Absicherung – und zudem ausdrücklich ermuntert von Präsident Passos Coelho - verlassen jeden Monat mehr als zehntausend Portugiesen ihre Heimat Richtung Deutschland.
Eine Spurensuche in einem Land, das sich nur langsam von der Finanzkrise erholt, einen harten Sparkurs fährt und zudem noch seine jungen Leute gehen lassen muss – so, wie vor 50 Jahren.
"60 Portugiesen auf dem Weg nach Deutschland! Die ersten reisten gestern ab – erst morgen werden sie ihr Ziel erreichen. Nach einer 53-stündigen Reise mit der Eisenbahn."
Die Tageszeitung "Diário de notícias" berichtet im Juli 1964 über die Abfahrt der ersten Portugiesen, die nach Unterzeichnung des Anwerbeabkommens mit der Bundesrepublik nach Deutschland reisen.
"Am Bahnhof Santa Apolónia wird allen Reisenden ein Proviantpäckchen ausgehändigt, in dem auch eine Flasche guten portugiesischen Weins nicht fehlt. "
Schon in der Zeit vor dem Abkommen waren zehntausende Portugiesen ausgewandert. Allerdings illegal, über die grüne Grenze nach Spanien, dann nach Frankreich. Und manchmal darüber hinaus: nach Deutschland. Die meisten Portugiesen waren in den 60er-Jahren Bauern oder arbeiteten auf den Feldern der Großgrundbesitzer. Die Löhne reichten kaum zum Leben. So war es auch bei João Fernandes. Er ging 1966 nach Deutschland, aber schon mit staatlichem Segen. Seine Freundin Adelaide musste zuerst noch in Portugal bleiben.
- Adelaide Fernandes: "Ich habe in Portugal geheiratet. Er in Deutschland. Wir haben Fernhochzeit gemacht. Damals waren viele im Ausland, auch Brasilien oder Afrika. Man hat so geheiratet, dass die Frauen dahin fahren konnten, sonst konnten sie nicht fahren."
- João Fernandes: "Wir wollten am Anfang vielleicht 4/5 Jahre bleiben, aber es waren bis jetzt 40 Jahre."
- João Fernandes: "Wir wollten am Anfang vielleicht 4/5 Jahre bleiben, aber es waren bis jetzt 40 Jahre."
Jetzt sind die beiden Rentner und leben in Krefeld. João fing als Hilfsarbeiter im bremischen Hafen an und wurde dann Straßenbahnfahrer in Krefeld, Adelaide hat in verschiedenen Textilfabriken gejobbt. Vier Jahre Grundschule – das war ihre Ausbildung.
Auch heute verlassen Portugiesen ihr Land, weil ihre Arbeit nicht ausreichend honoriert wird. Die Auswanderer haben aber in der Regel einen akademischen Abschluss. Wie Sofia Benavente, diplomierte Krankenschwester. Vor einem Jahr ist sie nach Frankfurt gekommen – und will nie wieder zurück. Die Reallöhne sind in Portugal in den vergangenen fünf Jahren stetig gesunken. Je tiefer Portugal in die Finanzkrise gerutscht ist, desto rarer wurden reguläre Arbeitsverträge. Stattdessen gibt es Jobs auf Honorarbasis oder zeitlich befristet.
"Ich habe 60 Stunden gearbeitet, um dasselbe zu verdienen wie hier. Aber hier arbeite ich 38 Stunden pro Woche. Ich habe gearbeitet und geschlafen."
Zum Leben war kaum noch Zeit. Trotzdem hatte Sofia ab Monatsmitte kaum noch Geld, denn von ihrem hart erarbeiten Gehalt gingen mehr als 50 Prozent für Steuern und Sozialabgaben ab. Eine Folge der Sparmaßnahmen, die die Troika der portugiesischen Verwaltung abverlangt, seit Portugal Finanzhilfen bei der EU-Kommission beantragen musste. Für viele Portugiesen ist Angela Merkel mit ihrem Sparprogramm eine der Hauptverantwortlichen für die portugiesische Misere. Doch nun wandern ausgerechnet in dieses Merkelândia die jungen Leute ab. Manuel Mota hat 18 Jahre in Deutschland gelebt, hat Erfahrungen und Wissen gesammelt und ist dann nach Portugal zurückgekehrt.
"Die Leute, die auswandern, sind nicht wie in meiner Zeit. In meiner Zeit waren wir nicht ausgebildet, wir waren nur ganz einfache Arbeiter. Jetzt nicht: Das sind Leute, die hier viel Geld gekostet haben, weil die Ausbildungen gemacht haben. Und jetzt profitieren Deutsche und Engländer davon."
Dazu kommt: Für ein Land, das nur 10,5 Millionen Einwohner hat, ist die Abwanderung von über 100.000 Menschen im Jahr ein Problem, das sich erst in der Zukunft so richtig bemerkbar machen wird: Wenn die Emigranten als Beitragszahler in das portugiesische Steuer- und Versicherungssystem fehlen. Auch in der Krankenpflege hinterlassen sie eine schmerzhafte Lücke. Denn genau wie in Deutschland werden auch in Portugal die Menschen immer älter, die Geburtenrate ist auf einem historischen Tiefstand.
Isabelle Metz, am Uniklinikum Frankfurt für die Auslandsakquise zuständig, versucht, den Pflegenotstand in Deutschland mit Arbeitskräften aus dem Ausland zu beheben. Sie hat Sofia Benavente und viele andere Portugiesen nach Deutschland geholt.
"Ich hab nicht das Gefühl, wir ziehen den Ländern die Leute ab: Sie nutzen die Chance. Der Markt ist momentan so. Das kann ja auch einmal umschlagen. Und dann kann der eine oder andere Portugiese vielleicht sagen: In Portugal gibt es so viele Jobs, ich gehe zurück."
Dass dieser Tag in nächster Zukunft kommen wird, da sind viele Portugiesen äußerst skeptisch. Eher kommt der sagenumwobene Dom Sebastião zurück: Der fiel 1578 in einer Schlacht gegen die Araber. Und die portugiesische Legende sagt, er werde eines Tages wiederkehren und Portugal aus höchster Not erretten.