Auf dem Schulhof einer katholischen Privatschule in der Lissabonner Innenstadt spielen ein paar Kinder in der milden Wintersonne. Seit ein paar Monaten steht die Schule auf einer Liste von portugiesischen Institutionen, die Flüchtlingsfamilien aufnehmen wollen. Die Initiative kam aus dem Kreis der Eltern, erzählt Rita Costa, die sich als Elternvertreterin in der Schule engagiert:
"Wir haben im Dezember mit der zentralen Plattform zur Unterstützung von Flüchtlingen ein Kooperationsprotokoll unterschrieben. Zwei Jahre lang werden wir uns um eine Flüchtlingsfamilie kümmern, das heißt wir organisieren alles selbst: Wir mieten eine Wohnung, wir kümmern uns um einen Arbeitsplatz und wir stellen sicher, dass die Familie gesundheitlich versorgt ist, die Kinder einen Platz in der Schule bekommen und alle Portugiesisch lernen. Wir sind bereit. Aber das größte Problem scheint woanders zu liegen: Denn wir warten immer noch auf die Flüchtlinge."
Portugal liegt zwar fern der Flüchtlingsrouten, hat Brüssel aber - anders als viele osteuropäische Staaten – sogleich Solidarität signalisiert. Bereits im vergangenen Jahr verpflichtete sich die portugiesische Regierung, knapp 4.500 Flüchtlinge aufzunehmen. Und im Februar bekräftigte Regierungschef António Costa gegenüber seinen Kollegen aus Deutschland, Griechenland, Italien, Österreich und Schweden, dass Portugal noch mehr Flüchtlinge aufnehmen könnte. Doch bisher sind nur 150 im Südwesten Europas angekommen.
Rita Costa schüttelt mit dem Kopf. Sie verstehe einfach nicht, was da schief laufe. Und sie hoffe, dass die Menschen in Portugal ihre Hilfsbereitschaft nicht aufgeben werden:
"Ich würde gerne wissen, ob es vielleicht schon Institutionen gibt, die ihr Angebot wieder zurückgenommen haben, weil einfach keine Flüchtlinge kommen. Wir lassen hier einen wichtigen Moment verstreichen. Wir haben im Sommer auch die schrecklichen Bilder von den ertrunkenen Flüchtlingen gesehen und uns gesagt, dass wir unbedingt helfen müssen. Und jetzt ist schon fast ein halbes Jahr vergangenen und die Leute fragen sich: Ach, vielleicht ist es doch gar nicht so schlimm. Und dann gibt es immer wieder irreführende Meldungen, zum Beispiel dass die Flüchtlinge gar nicht nach Portugal wollen. Ich merke schon, viele Hilfsbereite sind nicht mehr mit vollem Einsatz dabei."
Diese Gefahr sieht auch Rui Marques. Marques war jahrelang als Regierungsbeauftragter für Migrationsfragen in Portugal zuständig und hat im vergangenen August mit einer Reihe von NGOs die "Plattform zur Unterstützung von Flüchtlingen" ins Leben gerufen. Er wollte die Flüchtlinge von Beginn an nicht alle zusammen zentral unterbringen, sondern in Wohnungen oder bei Familien, damit sie sich möglichst schnell integrieren. Mittlerweile haben sich der Plattform über 300 Institutionen angeschlossen, darunter auch portugiesische Medienkonzerne, die zur Aufklärung vieler Fragen rund um das Thema Flüchtlinge beitragen sollen.
Warum kommen die Flüchtlinge nicht?
Rui Marques war vor drei Wochen in Griechenland, um herauszufinden, warum die Flüchtlinge nicht nach Portugal kommen.
"Die Menschen sind natürlich frei in ihrer Entscheidung und können nicht gezwungen werden, in Portugal zu leben. Doch wir Europäer können uns viel mehr Mühe machen, sie über das Umverteilungsprogramm richtig zu informieren. Man muss sich das mal vorstellen: Die Flüchtlinge haben auf dem Weg nach Griechenland nur mit kriminellen Schleusern und Mafias zu tun gehabt. Sie sind misstrauisch. Und dann kommen sie in ein Auffanglager und da wird ihnen so ganz nebenbei und ganz kurz erzählt, dass sie auch in ein Land gehen können, von dem sie vielleicht noch nie gehört haben. Hier fehlt doch jedwede Vertrauensbasis, um die Menschen von den Vorteilen einer Umverteilung zu überzeugen. Und genau hier müssen das Europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen und die europäischen Länder ansetzen, um das Umverteilungsprogramm zu reformieren."
Marques und andere portugiesische Vertreter haben eine Reihe von Vorschlägen ausgearbeitet, wie das Programm in Zukunft besser funktionieren könnte. Die Bewältigung der Flüchtlingskrise in Europa sei aber nur möglich, wenn die Hebel auf einer ganz anderen Ebene endlich umgelegt würden, glaubt Rui Marques:
"Wenn eine politische Organisation wie die Europäische Union mit ihrem ganzen Humankapital, technologischem Fortschritt und ihrer wirtschaftlichen Stärke es nicht schafft, dieses Problem zu lösen, dann kann das nur an einem liegen: Es fehlt der politische Wille. Sowohl die deutsche Regierung als auch viele Menschen in Deutschland sind ein herausragendes Beispiel, wie wir uns eigentlich alle in dieser Krise verhalten müssten. Aber leider gibt es auf europäischer Ebene keinen Zusammenhalt und keine Solidarität, und nur damit könnten wir die Probleme in den Griff kriegen."