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Portugal
Das Land ohne Kinder

Portugal ist das Land in Europa mit der niedrigsten Geburtenrate. Weil zudem nur wenige Menschen zuwandern und viele Portugiesen auf der Suche nach einem besseren Leben das Land verlassen, droht dem Sozial- und Rentenversicherungssystem der Zusammenbruch. Die Regierung will nun gegensteuern.

Von Tilo Wagner |
    Ein als Clown verkleidetes Kind zwischen Erwachsenen beim Karneval in Sesimbra, Portugal.
    Zu viele ältere Menschen, zu wenige Kinder: Das will die portugiesische Regierung ändern. (AFP / Patricia De Melo Moreira)
    Als Portugals Premierminister Pedro Passos Coelho vor ein paar Monaten seinen Plan zur Förderung der Geburtenhäufigkeit vorstellte, appellierte er an die gesamte Gesellschaft:
    "Ich will euch alle auffordern, mitzumachen, damit unsere Strategie Erfolg hat. Wir wollen eine Politik, die sich an den Familien orientiert und ihnen unter die Arme greift. Denn das Thema der Geburtenrate muss für jede Regierung von höchster Priorität sein."
    Die konservative Regierung hat nun erste Schritte eingeleitet. Mit dem Jahreswechsel ändert sich das Berechnungsmodell bei der Lohnsteuer. So wird zum Beispiel das Gesamteinkommen eines Ehepaares mit einem Kind nicht mehr durch 2, sondern durch 2,3 geteilt, um das besteuerbare Einkommen zu errechnen. Mehr Kinder haben, heißt also, weniger Steuern zahlen.
    Luís Cabral findet das gut. Der Präsident des Portugiesischen Vereins für kinderreiche Familien kämpft seit Jahren dafür, dass Haushalte mit Kindern bessergestellt werden:
    "Diese Reform hat sehr positive Ansätze. Wir freuen uns insbesondere, dass eine unserer Forderungen endlich umgesetzt wurde: Die Kinder zählen bei der Steuererklärung nun mit - und zwar zum Vorteil der kinderreichen Familien. Der Koeffizient von 0,3 für jedes Kind ist zwar noch relativ niedrig. Aber damit wird eine Tür geöffnet, die sich nur schwer wieder schließen lässt."
    Kein politischer Konsens
    Alle Parteien im portugiesischen Parlament haben die Notwendigkeit erkannt, mehr dafür zu tun, dass die Geburtenziffer wieder ansteigt. Vor 50 Jahren war Portugal noch das Land mit der zweithöchsten Geburtenrate in Europa - heute kommen in keinem anderen europäischen Land im Verhältnis zur Bevölkerung so wenige Kinder zur Welt wie in Portugal.
    Dennoch stimmten die Sozialisten, die größte Oppositionspartei, gegen die Steuerreform. Das sei ein falsches Zeichen, sagt der Familienexperte Cabral. Er fordert ein überparteiliches Abkommen, damit die Debatte, wie in Portugal wieder mehr Kinder auf die Welt kommen können, nicht zum politischen Zankapfel werde:
    "Die beiden großen Volksparteien, die Konservativen und die Sozialisten, müssen sich zusammentun. Denn wenn die Maßnahmen heute getroffen und morgen wieder abgeschafft werden, dann bringen sie gar nichts. Wir brauchen eine stabile Familienpolitik. Denn die Bürger müssen wissen, mit was sie rechnen können. Nicht nur jetzt, sondern auch mittel- und langfristig."
    Von einem politischen Konsens sind die Parteien jedoch weit entfernt. Die Opposition wirft der Mitte-Rechts-Koalition vor, eine widersprüchliche Politik zu betreiben. Schließlich hätten auch die Familien unter dem harten Sparkurs der vergangenen Jahre stark gelitten.
    Kindergeld gekürzt
    Patrícia Dias schließt die Wohnungstür auf und lässt ihre beiden Töchter in die Wohnung. Es ist kurz vor sieben Uhr abends. Die Sozialarbeiterin hat die Kleinen gerade von der Großmutter abgeholt, die sich nach dem Kindergarten um ihre Enkelinnen kümmern muss. Seit ein paar Monaten arbeitet Patrícia Dias jeden Tag eine Stunde länger - die konservative Regierung hat die wöchentliche Arbeitszeit in der öffentlichen Verwaltung angehoben.
    "Es gibt in Portugal keine politischen Maßnahmen, die die Familien unterstützen würden. Ganz im Gegenteil: Das Kindergeld wurde drastisch gekürzt. Und in der öffentlichen Verwaltung müssen wir jetzt wöchentlich anstatt vorher 35 nun 40 Stunden arbeiten. Das heißt, wir haben immer weniger Zeit, die wir mit unseren Kindern verbringen können."
    Im Verein für kinderreiche Familien sieht man das ähnlich. Luís Cabral fordert vom Staat, aber auch von den privaten Unternehmen ein Umdenken, damit die Eltern sich besser um ihre Kinder kümmern können. Doch in der Wirtschaftskrise sei gerade das Gegenteil passiert: Der Druck auf junge Frauen habe erheblich zugenommen:
    "Eine Nichte von mir, die Krankenschwester ist, wurde von ihrem Arbeitgeber bedroht: Du kannst jetzt keine Kinder kriegen, haben sie ihr gesagt. Sonst verlierst du deinen Job. So ein Verhalten ist inakzeptabel und stellt die Zukunft der ganzen Gesellschaft infrage."