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Portugal der 40er-Jahre (2/5)
Als Deutsche in Lissabon

In der Zeit des Zweiten Weltkrieges gab es in Lissabon eine deutsche Gemeinde. Hier wuchs Gisela Bach ab 1929 auf, zwischen Nazi-Uniformen in der Schule und obskuren Hausgästen ihres Vaters. Portugal war damals offiziell neutral, der Krieg fand auf einer anderen Ebene statt.

Von Tilo Wagner |
    Rossio Square, Lisbon, Portugal, 1936. Rossio Square is the popular name for the Pedro IV Square, Lisbon, Portugal. From a private album of a passenger who undertook a cruise on the S.S. Arandora Star, which began 9th April, 1936. | Verwendung weltweit, Keine Weitergabe an Wiederverkäufer.
    Lissabon im Jahr 1936. Damals war Gisela Bach, die als Deutsche in Portugal geboren wurde, sieben Jahre alt. (The Print Collector)
    Die Wohnung von Gisela Bach liegt in einem gutbürgerlichen Lissabonner Stadtviertel direkt gegenüber dem Ritz. Die Frau mit den dichten, schneeweißen Haaren wartet bereits lächelnd an der Wohnungstür. Frau Bach wurde 1929 in Lissabon geboren, und in ihrer Wohnung ist der portugiesische Geschmack leicht auszumachen: schwere, dunkle Holzmöbel, leicht unterkühlte Zimmertemperatur, ein guter Portwein in der Hausbar.
    Doch Gisela Bach wuchs in den 1930er-Jahren vor allem unter deutschem Einfluss auf: in der deutschen Schule, in der evangelischen Kirche und im deutschen Verein, der bereits 1870 gegründet wurde. Alle zwei Jahre verbrachte sie die langen Sommerferien bei ihren Großeltern in der Nähe von Hamburg. Und auch im Sommer 1939 bestieg sie mit ihrer Familie ein Schiff im Lissabonner Hafen, ohne zu wissen, dass wenig später der Zweite Weltkrieg ausbrechen würde. Plötzlich saß die Familie in Deutschland fest und konnte nicht mehr zurück nach Lissabon:
    "Wir sind geblieben. Und da haben wir den ganzen Winter da schon verlebt und mussten dann schon in der Kleiderkammer uns Kleider aus zweiter Hand geben lassen, weil wir ja nur Sommerzeug hatten. Wir sind dann erst Ende Oktober zurückgekommen - 1940."
    "Die Portugiesen waren im Krieg gespalten"
    Im neutralen Portugal fand der Krieg auf einer anderen Ebene statt. Gisela Bachs Vater arbeitete in der deutschen Gesandtschaft, die bald schon zum Zentrum für Spionage wurde.
    Manchmal nahm der Vater heimlich Gäste auf, die erst spät nachts ihr Lager aufschlugen und früh morgens schon wieder weg waren. Als heranwachsendes Mädchen konnte Gisela nicht alles einordnen, aber sie erlebte, dass der Propagandakrieg zwischen den Machtblöcken auch den Kulturbereich vereinnahmte. Zu deutschen und amerikanischen Buntfilmpremieren wurden große Gesellschaften gegeben, Stars aus Hollywood beziehungsweise Berlin eingeladen.
    "Etwas muss man auch sagen: Die Portugiesen waren im Krieg gespalten. Es gab die Germanophilen und Anglophilen. Und die Deutschfreundlichen waren wirklich deutschfreundlich. Mit denen hatte man hervorragenden Kontakt. Die haben uns bewundert, die haben also, nicht... Da kam ja während des Krieges der Albert Speer noch her, und der Albert Speer hat ja das allererste Autobahnstück in Portugal noch mit eingeweiht."
    Die Hitlerjugend von Lissabon
    Gisela Bach blättert durch ein Fotoalbum und zeigt auf Bilder aus ihrer Zeit an der deutschen Schule. Hitlerjugend, Nazi-Uniformen, Sport und Politik auf einem großen Areal, das damals noch am nördlichen Ende der Stadt lag. Das vorläufige Ende der überwiegend gleichgeschalteten deutschen Gemeinde in Lissabon kam mit der Kapitulation: Salazar ließ alle deutschen Güter konfiszieren, die Schule und der Verein wurden geschlossen. Und die 16-jährige Gisela fürchtete um das Schicksal ihres Vaters:
    "Die meisten Deutschen, auf Befehl der Alliierten, hätten zurück müssen nach Deutschland. Also alle die von der Botschaft, die sind ja zum Teil noch alle in das alte KZ Neuengamme in der Nähe von Hamburg gekommen. Und da hat Salazar eingegriffen und hat gesagt: Die haben Kinder hier, und die Kinder sind für mich Portugiesen, weil sie hier geboren sind. Die dürfen von Papa und Mama nicht getrennt werden, die müssen hier bleiben."
    Das Gebäude der alten deutschen Schule hat sie nie wieder betreten, obwohl es direkt gegenüber ihrer evangelischen Kirche liegt.
    1975 besetzten Linke die deutsche Schule
    Frau Bach steigt in ein Taxi. Heute will sie zu ihrer alten deutschen Schule. Neben einer sechsspurigen Schnellstraße liegt eingepfercht von großen Glashochhäusern und Brücken ein altes flaches Gebäude, das nach der Nelkenrevolution von einer linksalternativen Theatergruppe besetzt wurde. Frau Bach schaut etwas skeptisch auf das Theater:
    "Ausgerechnet aus einer deutschen Schule haben sie so etwas gemacht. Ist doch eigentlich eigenartig."
    Ein älterer Herr in Mantel und Fließpulli mit dicker Hornbrille begrüßt auf portugiesische Art: Küsschen links, Küsschen rechts. João Mota ist einer der erfolgreichsten Theaterregisseure Portugals.
    "Wir haben das Gebäude 1975 besetzt, direkt nach der Revolution. Das Gebäude war aber schon zehn Jahre lang verlassen. Hier in der Gegend gab es viele Armenviertel, und die Bewohner kamen hierher und nahmen alles mit. Rohre, Türen, Fenster, sogar die Holzdielen, damit sie im Winter was zum Verbrennen hatten."
    Zwei, die hier Rheuma bekamen
    João Mota zeigt das ganze Gebäude: Die große Bar mit Varietébühne, Büroräume und Küche, zwei Theatersäle, die Werkstatt und den feuchten Keller mit den Requisiten und Kostümen. Gisela Bach geht mit großen Augen durch die Räume, ihr fallen kleine Anekdoten ein, Erinnerungen an eine längst vergangene Zeit:
    "Ich habe hier in dieser ehemaligen Kellerwohnung mein erstes Lebensjahr mit meinen Eltern verbracht. Der Schuldirektor war noch nicht aus Deutschland nach Portugal gekommen, und so zog mein Vater, der damals hier Lehrer war, mit uns in die Wohnung. Und meine Mutter war sich sicher, dass ich mein Rheuma hier in diesen feuchten Räumen bekommen habe."
    João Mota nickt mit dem Kopf. Auch er habe hier Rheuma bekommen, sagt er mitfühlend. Und während die beiden die Wendeltreppe wieder nach oben steigen, unterhalten sie sich ausführlich über ihre falschen Hüftgelenke. Dann verabschiedet sich der Theatermacher.
    "Der hat wirklich was Tolles draus gemacht"
    Gisela Bach bleibt noch kurz vor ihrer alten Schule stehen, die wie eine kleine Oase mitten in einer riesigen Betonwüste wirkt. Sie blickt zurück und winkt João Mota zu:
    "Der hat wirklich was Tolles draus gemacht. Muss man schon sagen."
    Eine Dlf-Produktion von 2016