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Portugal
Der Präsident ist stets präsent

Portugals Staatspräsident Marcelo Rebelo de Sousa ist so beliebt wie kaum ein anderer Politiker in der portugiesischen Geschichte. Er liebt das Bad in der Menge – und versteht seine Volksnähe auch als Vorbeugung gegen Populisten und Radikale.

Von Tilo Wagner |
Portugals Präsident Marcelo Rebelo de Sousa
Portugals Präsident Marcelo Rebelo de Sousa (AFP/ Eric Feferberg)
Auf dem Bürgersteig einer breiten Allee in Lissabon wartet eine kleine Menschenmenge auf den Staatspräsidenten: Marcelo Rebelo de Sousa soll das frisch renovierte Gebäude eines Vereins für Kinder aus sozial schwachen Familien einweihen.
"Er ist sehr offen und kümmert sich um uns Portugiesen und um das ganze Land", sagt eine Sozialarbeiterin mit langen schwarzen Haaren. "Er ist der Präsident der Zuneigung", fügt eine Kollegin hinzu, und eine weitere Frau ergänzt: "Er hat ein offenes Ohr, ist bescheiden und zeigt sich immer einfühlsam."
Dieser Beitrag gehört zur fünfteiligen Reportagereihe Kein Rechtspopulismus in Portuga - Warum das Land den Rechten trotzt.
Als Rebelo de Sousa schließlich auftaucht, bahnt er sich durch die Menschenmenge. Er spricht mit Jugendlichen, lässt sich auf ein paar Selfies ablichten, gibt Küsschen, drückt Hände und Schultern. Der schlanke Mann mit dem breiten Grinsen auf den Lippen ist in seinem Element. Laut der Verfassung übernimmt der portugiesische Präsident vor allem repräsentative Aufgaben – aber kein portugiesisches Staatsoberhaupt hat bisher so viel Wert auf den direkten Kontakt zum Publikum gelegt wie Rebelo de Sousa.
Jurist, TV-Kommentator und Politiker
In dem hoffnungslos überfüllten Verein hält der Staatspräsident spontan eine Rede: Ohne Mikro, mit einem Lächeln auf den Lippen und vielen schönen Worten für die Verantwortlichen. Auf einem Tisch stehen eine paar Gläser, ein Kellner ist nicht in Sicht. Der Präsident schnappt sich die Portweinflasche und schenkt jedem ein, der sein Glas hinhält.
Marcelo Rebelo de Sousa kommt aus einer einflussreichen Lissabonner Familie. Sein Vater war im autoritären Regime, das bis 1974 in Portugal an der Macht war, Generalgouverneur der ehemaligen Kolonie Mosambik und später Minister. Er selbst studierte Rechtswissenschaften, war Journalist und gehörte zur Gründungsredaktion der liberalen Wochenzeitung "Expresso".
In den 1990er-Jahren wurde der Juraprofessor zum Oppositionsführer der Mitte-rechts-Partei PSD gewählt, die als Sammelbecken für Konservative, wirtschaftsliberale Unternehmer und Bürgerliche aus dem Norden Portugals zu einer Volkspartei geworden ist. Rebelo de Sousa zählt zum gemäßigten katholischen Flügel, doch seine Popularität hat er nicht der Partei, sondern dem Fernsehen zu verdanken. Vor seiner Wahl zum Staatspräsidenten im Januar 2016 war er der einflussreichste politische TV-Kommentator in den portugiesischen Medien.
Auch heute noch kann der 70-Jährige kaum einer Kamera ausweichen. Nach dem Besuch im Kindersozialverein begrüßt er die wartenden TV-Journalisten, die ihm Fragen zur aktuellen politischen Situation stellen.
Er sagt: "Das Dossier habe ich noch nicht studiert". Oder: "Darüber will ich jetzt noch nichts sagen." Die vagen Antworten reichen den Kamerateams aus. Zum einen, weil der Staatspräsident in Portugal vor allem repräsentieren soll. Aber auch, weil de Sousa sich so prominent in Szene setzt, dass es vielen Journalisten mittlerweile wichtiger zu sein scheint, den Präsidenten im Bild zu haben, als darauf zu achten, was er wirklich sagt.
Vor der Kamera präsent, in den Inhalten vage
Rebelo de Sousa ist auf dem Weg zu einem anschließenden Termin. Mitten in der Innenstadt steigt er plötzlich aus seiner Limousine aus und läuft über die belebte Lissabonner Flaniermeile Avenida da Liberdade. Sein ständiges Suchen nach einem Bad in der Menschenmenge hat ihm einen Spitzennamen eingebracht: Er sei der "gute" Populist, sagen politische Kommentatoren. Rebelo de Sousa winkt ab:
"Ich will immer auf Tuchfühlung mit den Menschen sein. So kann ich Löcher und Leerstellen füllen, die sonst vielleicht von Populisten vereinnahmt werden würden. Der Präsident ist vom Amt her ein Reformer und kein Revolutionär; er ist kein Radikaler, der die Brüche will. Und das ist der Unterschied zum Populisten. Der Populist zeigt sich nicht nur in der Form, sondern auch im Inhalt. Er akzeptiert die Institutionen nicht, und er will mit ihnen brechen. Und das ist genau das Gegenteil von der Idee, für die ich stehe."
Der Staatspräsident ist zwar überall präsent, aber trotzdem ist vielen Portugiesen nicht klar, für welche politischen Ideen er steht. Obwohl er eigentlich konservativ ist, hat er von Beginn das ungewöhnliche Regierungsbündnis aus Sozialisten und kleineren radikaleren Linksparteien unterstützt. Und hier liegt wohl auch der Grund, wieso Rebelo de Sousa bei so vielen Portugiesen so beliebt ist, egal ob sie links oder rechts denken oder einfach unpolitisch sind.
"Man darf keine Angst haben"
Auf dem Weg die Avenida hinunter treten immer wieder Passanten an ihn heran auf der Suche nach einem kurzen Gespräch, einem Foto, einer Umarmung. Ein Bodyguard steht in der Nähe und lässt die Menschen im Umgang mit ihrem Präsidenten fast teilnahmslos gewähren.
"Man darf keine Angst haben. Aus Sorge um meine Sicherheit wird mir immer gesagt: Gehen Sie nicht am Strand schwimmen, kaufen Sie nicht in dem vollen Supermarkt ein, fahren Sie nicht alleine Auto. Aber ich mach das trotzdem. Und ich sage meinen Leuten: Das Schlimmste ist, wenn wir Politiker Angst haben und diese Angst öffentlich zeigen. Denn das ist es, was wirklich Unsicherheit schafft."
Kurz bevor Marcelo Rebelo de Sousa zu seinem nächsten Termin geht, wird er noch von einer Gruppe Studenten abgefangen. Sie rufen: "Herr Präsident, ein Foto bitte mit Inês, denn sie wird uns morgen verlassen!" Rebelo de Sousa legt väterlich seinen Arm um die junge Frau mit dem hochroten Kopf und lächelt in die Kamera:
"Wir können den Populismus, Fremdenhass, Hypernationalismus und Radikalismus nur besiegen, wenn wir für Solidarität und Reformen einstehen und so nah wie möglich am Volk sind und die Menschen vereinen. Bis jetzt hat es in Portugal noch keinen Populismus gegeben, wie wir ihn aus anderen europäischen Ländern kennen. Aber wir müssen uns anstrengen und vor allem auf die große Zahl der Nichtwähler zugehen. Viele Nichtwähler identifizieren sich nicht mit den Politikern, weil die Politiker häufig eine Sprache sprechen, die der Normalbürger nicht versteht. Wir sollten deshalb immer zu, für und mit den Bürgern sprechen."