In Portugal hat eine TV-Reportage eines Privatsenders für Aufsehen gesorgt: Auf verwackelten Bildern von versteckten Kameras tut sich das Drama in den portugiesischen Krankenhäusern auf: Überfüllte Notaufnahmen, gestresste Ärzte, Not und Leid, wo man hinschaut. Die Reportage hat nicht nur wegen ihres reißerischen Tons Wellen geschlagen - denn über die Missstände im portugiesischen Gesundheitssystem können viele Portugiesen berichten. So auch der Bankangestellte Nuno Luís, dessen 18-jährige Tochter vor einem Monat mit Bauchschmerzen in ein Krankenhaus im Großraum Lissabon eingeliefert wurde. Der Verdacht: Blinddarmentzündung.
"Ein Krankenwagen hat sie zuhause abgeholt. Hier in Portugal müssen die Krankenwagen die Patienten dann in ein staatliches Krankenhaus in ihrem Wohnbezirk bringen. Dort lag sie dann von drei Uhr nachmittags bis um acht abends, und nichts ist passiert. Es bestand ja die Gefahr eines Blinddarmdurchbruchs, und dann habe ich den Arzt einer Privatklinik angerufen. Wir haben meine Tochter dann in die Privatklinik gefahren, und innerhalb von 40 Minuten hatte sie alle Untersuchungen hinter sich und lag auf dem OP-Tisch. Und gerade als der Arzt anfing, brach der Blinddarm durch. Der Arzt sagte später, dass es kritisch geworden wäre, wenn sie nicht sofort operiert worden wäre."
Das Geschäft mit der Gesundheit boomt
In der Krise der vergangenen Jahre haben viele Portugiesen das Vertrauen in das staatliche Gesundheitssystem verloren und private Zusatzversicherungen abgeschlossen. Im Jahr 2008 bevorzugten noch 90 Prozent der Portugiesen die tendenziell kostenfreie öffentliche Versorgung, fünf Jahre später waren es nur noch 77 Prozent. Das Geschäft mit der Gesundheit boomt. Innerhalb von etwas über einem Jahrzehnt hat sich der Anteil der Portugiesen, die überwiegend die private Gesundheitsversorgung nutzen, fast verzehnfacht. Chinesische Investoren haben portugiesische Versicherungsgesellschaften aufgekauft. Und immer mehr Privatkliniken eröffnen in den Ballungsgebieten.
Der Ärztemangel in Portugal entsteht aus einem Ungleichgewicht zwischen staatlicher und privater Versorgung, sagt der Soziologieprofessor Manuel Villaverde Cabral, der Portugals Gesundheitssystem regelmäßig in Studien überprüft:
"Die Medien in Portugal berichten einseitig über das Problem. Sie betreiben mit ihren Reportagen über die angeblichen Missstände kostenlose Propaganda für den privaten Sektor. Wenn man einfach behauptet, es gäbe keine Ärzte in den staatlichen Krankenhäusern, ist das falsch, und es spielt den privaten Anbietern in die Karten. Es stimmt zwar: In der Provinz und in den Gesundheitszentren herrscht Ärztemangel. Aber das liegt vor allem an den Ärzten selbst: Sie wollen lieber in der Stadt arbeiten und sich spezialisieren."
Ärzte aus Kuba helfen aus
Dahinter stehen vor allem ökonomische Argumente: Die Fachärzte haben in den Ballungszentren die Möglichkeit, neben ihrem Hauptjob in einem staatlichen Krankenhaus noch einen lukrativen Nebenjob in einer Privatklinik anzunehmen. Die Folge: Portugal ist mittlerweile auf viele kubanische oder spanische Mediziner angewiesen, die in der Provinz und in den Gesundheitszentren den Job machen, den die portugiesischen Ärzte nicht wollen. Ob das neue Gesetz, das den Ärzten in der Provinz nun finanzielle Anreize schafft, ausreicht, scheint fraglich. Gesundheitsexperte Cabral macht den portugiesischen Ärzteverband für den Medizinermangel in Portugal mitverantwortlich:
"In Portugal werden einfach nicht genügend Ärzte ausgebildet. Der Ärzteverband setzt sich nur für die eigenen Interessen ein und vergisst die schwierige Situation des Landes. Der Verband ist dafür zuständig, dass genügend Ärzte zugelassen werden. Doch das passiert nicht. Es gibt weiter sehr viele Abiturienten, die Medizin studieren wollen, aber an den sehr hohen Zulassungsbeschränkungen der Universitäten scheitern. Der Medizinermangel hat zur Folge, dass der Ärzteverband immer höhere Gehälter für die praktizierenden Ärzte verlangen kann."
Die Kosten tragen vor allem die Bürger. Denn die privaten Zusatzversicherungen decken bei Weitem nicht die Rechnungen, die von den Privatkliniken ausgestellt werden. Auch Nuno Luís muss für die Blinddarm-Operation seiner Tochter fast die Hälfte seines Monatsgehaltes dazugeben:
"Das wird mir schwer fallen. Aber die Gesundheit geht bei mir über alles."