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Portugal
Regierungschef "vergisst" seine Sozialabgaben

Portugals Premierminister Pedro Passos Coelho führt einen harten Kampf gegen Steuerflucht und Schuldner der Sozialkasse. Nun räumte er ein, dass er als Selbstständiger jahrelang keine Beiträge zur Sozialversicherung gezahlt hat - angeblich aus Unwissenheit.

Von Tilo Wagner |
    Von einer Meldung werden die Nachrichtensendungen in Portugal derzeit bestimmt: Premierminister Pedro Passos Coelho blieb der Sozialversicherung jahrelang seine Beiträge schuldig. Zwischen 1999 und 2004 war Passos Coelho freischaffender Unternehmer und deshalb selbst dafür verantwortlich, die monatlichen Zahlungen an die portugiesische Sozialkasse zu überweisen. Doch er tat dies nicht. Seine Schulden hat Passos Coelho erst vor ein paar Tagen beglichen. Ein Journalist hatte zuvor von ihm eine Stellungnahme verlangt. Der Regierungschef gab den Fehler zwar zu, schob die Verantwortung aber auf das schlecht funktionierende Sozialversicherungssystem ab:
    "Ich wusste einfach nicht, dass ich dazu verpflichtet war. Ich hätte mich natürlich besser darüber informieren können, doch ich hätte auch von der Sozialversicherung gewarnt werden müssen, dass etwas nicht in Ordnung war. Das ist nicht passiert. Ich wollte meine Verpflichtungen auf keinen Fall umgehen, ich dachte, dass ich die Sozialabgaben auf einer freiwilligen Basis leisten könnte."
    Starke finanzielle Kontrolle der Bürger
    Das hat die Diskussionen aber nicht beenden können: in einem kleinen Zeitschriftenladen im Westen Lissabons unterhält sich Ricardo Luciano mit seinen Kunden über den Fall, der die Titelseiten der portugiesischen Zeitungen beherrscht. Er würde nicht auf die Idee kommen, dass er Sozialabgaben freiwillig leisten kann. Die Regierung kontrolliere Bürger und Unternehmen immer stärker, sagt er. Es sei nun unmöglich, den Forderungen des Finanzamts oder der Sozialversicherung zu entgehen. Deshalb, so Ricardo Luciano, wirke es schon etwas seltsam, dass der Regierungschef seine Beiträge nicht gezahlt hat:
    "Wie kann es sein, dass er nicht wusste, dass er Sozialabgaben zu leisten hatte? Soweit ich weiß, gilt in Portugal ein einfaches Prinzip: Wer arbeitet, muss auch in die Sozialkassen einzahlen."
    Ausgerechnet die konservative Regierung unter Passos Coelho hat in den vergangenen dreieinhalb Jahren dafür gesorgt, dass das Prinzip nicht mehr nur auf dem Papier steht. Sie setzte eine Reihe von Maßnahmen durch, um Steuerflucht und ähnliche Vergehen zu bekämpfen - und zwar erfolgreich. Im vergangenen Jahr 2014 konnte der Staat über fünf Milliarden Euro eintreiben, die dem Sozialversicherungssystem fehlten - ein Rekordwert. Die finanzielle Kontrolle von Bürgern, Unternehmen und Institutionen hat jedoch ein Ausmaß angenommen, das viele Portugiesen beunruhigt. Böse Zungen sprechen bereits von einem Überwachungsstaat.
    Kritik aus der Opposition
    Für Pedro Passos Coelho ist es bereits das zweite Mal, dass er sich für eine frühere berufliche Tätigkeit rechtfertigen muss. Im vergangenen Jahr war der Regierungschef unter Korruptionsverdacht geraten. Er hatte Ende der 1990er-Jahre seine politischen Kontakte angeblich für ein Unternehmen genutzt, bei dem er auf der Gehaltsliste gestanden haben soll. Nachweisen konnte man ihm das jedoch nicht. In der Affäre um die nicht bezahlten Sozialabgaben fordert die Opposition nun, dass der Premierminister im Parlament Rede und Antwort stehen soll. Für die Vorsitzende des Linksblocks, Catarina Martins, ist klar: Der Regierungschef ist ein Betrüger.
    "Der Premierminister hat damals monatlich 7000 Euro verdient und hat sich vor Abgaben in Höhe von 100 Euro gedrückt. Er hat die Sozialversicherung betrogen. Und das ist der Premierminister, der gegen die vielen Scheinselbstständigen vorgeht und Leute beleidigt hat, die mit 500 Euro im Monat noch viel höhere Abgaben leisten müssen, als er das hätte tun soll."
    Reform des Sozialsystems gefordert
    Es gibt aber auch Portugiesen, die Passos Coelho glauben. Sie sagen, das Sozialversicherungssystem in Portugal sei tatsächlich undurchschaubar. Dazu gehört Vítor Santos, ein junger Musiker mit Rastalocken. Er arbeitet seit Jahren freiberuflich - und immer wieder hat er versucht herauszufinden, was seine Rechte und Pflichten im Sozialversicherungssystem sind. Bisher ohne Erfolg. Er fordert nun eine grundlegende Reform:
    "Dieser Fall zeigt uns doch vor allem, dass sogar der Premierminister mit den Folgen eines Systems kämpfen muss, das ineffizient und schlecht organisiert ist. Für viele ist das jetzt ein Grund, den ihn ins Kreuzfeuer zu nehmen. Aber ich glaube, hier geht es um etwas anders. Wie kann es sein, dass die Sozialversicherung so lange braucht, um festzustellen, dass Beiträge ausstehen. Da stimmt etwas nicht. Und hier müssen wir ansetzen. Denn Regierungschefs kommen und gehen, die Sozialversicherung aber bleibt."