In einer Gärtnerei in Sintra, rund 20 Kilometer westlich von Lissabon, stehen am Mittag bereits die letzten Kunden vor der Kasse. Am Wochenende und an Feiertagen müssen die Geschäfte in Portugal bereits so früh schließen – danach herrscht eine Ausgangssperre. Mit diesen Maßnahmen will die Regierung die zweite Coronawelle ausbremsen.
Tiago Veloso, leitender Angestellter in der Gärtnerei, kann die Einschränkungen zwar nachvollziehen. Er hofft jedoch, dass er die Weihnachtsbäume und den bunten Schmuck noch verkaufen kann. Denn die Gärtnerei, so Veloso, leide bereits unter der Krise in der Tourismusbranche:
"Wir beschäftigen Gärtner, die sich eigentlich um die Pflege der Hotel-Anlagen kümmern. Und diese Aufträge haben wir jetzt verloren. Unsere Leute haben viel weniger zu tun. Wir müssen sehen, wie es weitergeht. Ich hoffe, wir können die Angestellten behalten. Aber in dieser Pandemie ist die Zukunft ungewiss."
Der Gärtnerei ging es in diesem Jahr so wie der ganzen portugiesischen Wirtschaft: es war eine Berg- und Talfahrt. Im Lockdown im April schlitterte Portugal in die Krise; doch in den Sommermonaten konnte die Wirtschaft um über 13 Prozent im Vergleich zum Frühjahrsquartal zulegen. Jetzt droht wieder eine lange Durststrecke. Bereits im Oktober lag die Arbeitslosenquote bei 7,5 Prozent und damit um einen Prozentpunkt höher als im Vorjahr.
Gute Zeiten, schlechte Zeiten
Das hat auch mit der Abhängigkeit der portugiesischen Wirtschaft vom Tourismus zu tun. Vor der Pandemie ein boomender Bereich, der dem Land ein starkes Wirtschaftswachstum bescherte. Doch diesen Aufschwung habe die sozialistische Regierung nicht richtig genützt, sagt der Wirtschaftswissenschaftler Pedro Braz Teixeira:
"Vor der Pandemie haben die Linksparteien zwar darüber gesprochen, dass sie mehr öffentliche Investitionen tätigen wollen. Aber dann haben sie genau das Gegenteil getan. Sie haben trotz des Wirtschaftsbooms immer weniger investiert. Ihre Prioritäten lagen woanders: Sie haben die Löhne der Staatsbediensteten erhöht und die 35-Stunden-Woche im öffentlichen Dienst eingeführt."
Die Folgen sind auch im staatlichen Gesundheitssystem zu spüren, wo nun ein höherer Bedarf an Personal herrscht, Fachkräfte aber händeringend gesucht werden. Die verhaltene öffentliche Investitionspolitik scheint die Regierung nun auch in der Corona-Pandemie beizubehalten.
Abhängigkeit von Brüssel wächst
Laut EU-Kommission ist Portugal nach Irland das EU-Land, das am wenigsten öffentliche Gelder im Haushalt bereit stellt, um die Wirtschaftskrise in diesem und im kommenden Jahr zu bekämpfen. Die portugiesische Regierung setzt vor allem auf Gelder und billige Kredite aus dem EU-Corona-Hilfspaket, um Unternehmen zu unterstützen oder Kurzarbeit zu bezahlen. Das bringe die Regierung in eine hohe Abhängigkeit, sagt Pedro Braz Teixeira:
"Portugal braucht die EU-Gelder viel dringender als die meisten EU-Länder; und deshalb ist es für Portugal auch enorm wichtig, dass der Streit um den EU-Haushalt so schnell wie möglich beigelegt wird. Denn aus eigenen Stücken hat das Land fast keinen Spielraum, um die Wirtschaft zu stützen."
Diese Abhängigkeit von den Brüsseler Geldtöpfen mag auch die Haltung Portugals im jüngsten EU-Finanzstreit mit Polen und Ungarn erklären. Die Tageszeitung "Público" zitiert in einem Artikel aus den Akten nicht öffentlicher EU-Ratssitzungen: Demnach habe sich die portugiesische Regierung bereits im Jahr 2018 für die Position der beiden osteuropäischen Staaten stark gemacht, die die Frage der Rechtsstaatlichkeit getrennt von den EU-Geldern behandeln wollen.
Ähnlich hatte sich in jüngster Zeit auch schon Premierminister António Costa geäußert. Doch jetzt rudert Costa in einem Interview mit der Online-Zeitung Observador zurück und betont, dass sich Portugal und die anderen EU-Länder von Polen und Ungarn nicht erpressen lassen werden. Sollte beim bevorstehenden EU-Gipfel keine Lösung gefunden werden, wird der Streit um den EU-Haushalt den Portugiesen in die Hände fallen: Denn Portugal übernimmt im Januar den Ratsvorsitz der EU.