Ein über 50 Meter hohes schiffsartiges Monument aus Kalkstein und Beton ragt im Lissabonner Stadtteil Belém über das Tejo-Ufer. Ganz vorne im Bug eine Statur von Heinrich dem Seefahrer, und hinter ihm 33 wichtige Persönlichkeiten, die Portugals ruhmreiches Zeitalter der Entdeckungen geprägt haben. Das "Padrão dos Descobrimentos" ließ Portugals Diktator António de Oliveira Salazar 1940 errichten, um die Bedeutung des portugiesischen Kolonialreichs und die Geschichte der Seefahrer zu glorifizieren. Die Vorstellung, dass Portugals Verbindungen nach Afrika und Lateinamerika – im Vergleich mit anderen europäischen Kolonialmächten – von einer moralischen und historischen Überlegenheit geprägt waren, findet sich im sogenannten Lusotropikalismus wieder – und das übergroße Denkmal am Tejo ist ein Symbol dieser verklärten, eurozentrischen Ideologie.
Der mexikanische Künstler Démian Flores in Lissabon
Im Innern des Monuments zeigt der mexikanische Künstler Démian Flores nun eine andere Welt. Seine menschengroßen schwarz weiß Zeichnungen, die in der Tradition des Muralismo die gesamten Wände des Ausstellungsraums verzieren, sind hybride Wesen aus einer komplexen Welt: Indigene Völker, die mit den von den Spaniern eingeführten Krankheiten gezeichnet sind, und Europäer – umschlungen von symbolträchtigen Figuren und Gegenständen, meist aus präkolumbianischen Mythologien, aber auch aus dem gegenwärtigen Mexiko.
Das Kulturjahr in Lissabon ist für den 45-jährigen mexikanischen Künstler eine Chance, die Beziehungen zwischen den beiden Kontinenten auf eine neue Ebene zu heben.
"Den Blick der Kolonialherren demontieren"
"Mit dieser Ausstellung möchte ich auch den Blick der Kolonialherren demontieren, und das Geschehene aus einer Perspektive zeigen, die andere Referenzen und Lesarten zulässt. Mir ist es wichtig, dass meine Arbeit hier gezeigt werden kann, und nicht nur im lokalen Kontext in Mexiko. Denn damit können wir interessante Fragen auch nach Lissabon bringen."
Den Ausstellungsort hat der Programmdirektor des iberoamerikanischen Kulturjahres in Lissabon bewusst ausgesucht. Mit Fragen zum Postkolonialismus beschäftigt sich António Pinto Ribeiro seit Jahren: In den beiden großen privaten Lissabonner Kulturstiftungen Culturgest und Gulbenkian hat Ribeiro versucht, die vielseitigen Beziehungen Portugals zu seinen Ex-Kolonien in ein neues Licht zu rücken. Der Nachholbedarf sei noch immer sehr groß, sagt Pinto Ribeiro:
"Wir befinden uns in Portugal immer noch auf einer sehr unterentwickelten Stufe, wenn es um die Fragen nach Kolonialismus und Postkolonialismus geht. Zum einen gibt es viel zu wenige Forschungszentren, die sich mit dem Thema befassen müssten, um es einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Und auch im Kulturbereich passiert zu wenig. Im Film und in der Literatur gibt es ein paar Künstler, die sich damit auseinandersetzen, aber meistens in Bezug auf Afrika. Es gab bisher fast kein großes künstlerisches Projekt, das sich mit Lateinamerika befasst hat, noch nicht einmal mit unserer Ex-Kolonie Brasilien, obwohl uns das eigentlich interessieren müsste. Es scheint, als ob der Lusotropikalismus uns immer noch gefangen hält und den Zugang zum Thema erschwert. Das soll sich jetzt in diesem Jahr ändern."
Lissabon wird nie zum Zentrum so wie Paris oder London
Anders als in Paris oder London ist Lissabon kein Ort, der Intellektuelle aus seinen ehemaligen Kolonien anzieht. In Portugal stammen zwar über 40 Prozent der Immigranten aus den portugiesischsprachigen Ländern in Afrika oder aus Brasilien, doch diese, so Pinto Ribeiro, würden überwiegend aus einer schlecht qualifizierten Arbeiterschicht kommen:
"Ein Grund, warum wir uns in Portugal so selten mit unserer vielseitigen kolonialen Vergangenheit beschäftigen, ist, dass es uns an kritischen Vermittlern fehlt. Wir haben einfach zu wenig Kritiker aus Lateinamerika oder Afrika, die hier leben."
Gewalt, Armut und der Umgang mit indigenen Völkern
Aus dem bisher bekannten Programm des Kulturjahres geht hervor, dass sich die Stadt Lissabon um einen neuen Blick auf die Verbindungen zwischen Europa und Lateinamerika bemüht. In Theateraufführungen, Filmzyklen und Lesungen werfen Künstler ein Licht auf die großen Probleme des lateinamerikanischen Kontinents wie Gewalt, Armut oder den Umgang mit indigenen Völkern. Lissabonner Museen zeigen Dokumente zum Sklavenhandel, den Portugal insbesondere zwischen Angola und Brasilien unterhalten und dabei Millionen von Afrikanern auf den neu entdeckten Kontinent entführt hatte. Das Kulturjahr soll aber auch den Lissabonnern zeigen, dass die Wurzeln einer iberoamerikanischen Identität manchmal direkt um die Ecke liegen:
"Wir haben uns auf die Suche nach Ortsnamen begeben, die afrikanischen oder lateinamerikanischen Ursprungs sind. Daraus entstehen Karten von Lissabon mit den Namen von befreiten Sklaven, von Städte oder berühmten Persönlichkeiten. Wir haben Dutzende Straßen gefunden, die teilweise seit dem 16. Jahrhundert Namen tragen, die mit Lateinamerika oder Afrika zusammenhängen."