Im Innenhof eines Kindergartens in Linhó, rund 20 Kilometer westlich von Lissabon, rennen drei- bis sechsjährige Jungs und Mädchen wild durcheinander. Stela Lopes Silva hat Mittagspause. Im Eingangsbereich steht die Erzieherin vor einer selbstgemalten Weltkarte und trinkt einen Kaffee.
Dieser Beitrag gehört zur fünfteiligen Reportagereihe Kein Rechtspopulismus in Portugal - Warum das Land den Rechten trotzt.
Sie bleibt mit dem Finger an der Südwestküste Afrikas hängen. Silva kam 1959 in der ehemaligen portugiesischen Kolonie Angola auf die Welt, und als sie nach dem Ende des Kolonialreichs in den 70er-Jahren in die portugiesische Provinz kam, wurde sie zunächst wie eine Fremde behandelt:
"Die Leute zeigten mit dem Finger auf uns und sagten, wir würden ihnen nur die Arbeitsplätze wegnehmen. Sie wollten uns erst in Portugal nicht aufnehmen. Wir waren Portugiesen, aber wir wurden behandelt wie Bürger zweiter Klasse. Für uns war das eine ganz schwierige Zeit."
"Die Leute zeigten mit dem Finger auf uns und sagten, wir würden ihnen nur die Arbeitsplätze wegnehmen. Sie wollten uns erst in Portugal nicht aufnehmen. Wir waren Portugiesen, aber wir wurden behandelt wie Bürger zweiter Klasse. Für uns war das eine ganz schwierige Zeit."
Der Fall José Sócrates
Während viele ihrer Zeitgenossen in den ersten Jahren nach der Nelkenrevolution die Wahl als politisch notwendigen Akt begriffen, spielte die Politik für Silva eine untergeordnete Rolle. Sie kann sich nicht mehr daran erinnern, wann sie zum ersten Mal wählen ging. Erst als die Erzieherin ihr persönliches Leben besser in den Griff bekommen hatte, begann sie sich für die politische Ausrichtung ihres Landes zu interessieren:
"Ich habe mir im Wahlkampf immer alle Debatten angeschaut. Von meinen Eltern habe ich gelernt, dass man immer ehrlich und aufrichtig sein soll, und deshalb dachte ich, die Politiker wären auch so: gerecht und fähig, das umzusetzen, was sie versprachen."
Doch von diesen Politikern fühlte sich Stela Silva immer häufiger betrogen. 14 Jahre ist es inzwischen her, dass sie überhaupt einen gültigen Stimmzettel abgab. Das war im Jahr 2005, als sie für den Sozialisten José Sócrates stimmte – einen Mann, der so wie Silva nicht aus der Lissabonner Elite stammte, sondern in einfachen Verhältnisse in der Provinz herangewachsen war. Doch auch Sócrates enttäuschte ihre Erwartungen. Bald schon wurde er mit schweren Korruptionsvorwürfen konfrontiert, und in Folge der juristischen Untersuchungen ist ein eng verflochtenes Netz zwischen führenden Persönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft aufgedeckt worden.
"Ich habe mir im Wahlkampf immer alle Debatten angeschaut. Von meinen Eltern habe ich gelernt, dass man immer ehrlich und aufrichtig sein soll, und deshalb dachte ich, die Politiker wären auch so: gerecht und fähig, das umzusetzen, was sie versprachen."
Doch von diesen Politikern fühlte sich Stela Silva immer häufiger betrogen. 14 Jahre ist es inzwischen her, dass sie überhaupt einen gültigen Stimmzettel abgab. Das war im Jahr 2005, als sie für den Sozialisten José Sócrates stimmte – einen Mann, der so wie Silva nicht aus der Lissabonner Elite stammte, sondern in einfachen Verhältnisse in der Provinz herangewachsen war. Doch auch Sócrates enttäuschte ihre Erwartungen. Bald schon wurde er mit schweren Korruptionsvorwürfen konfrontiert, und in Folge der juristischen Untersuchungen ist ein eng verflochtenes Netz zwischen führenden Persönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft aufgedeckt worden.
"Ich vertraue keiner Partei mehr"
Wie in einem Dominospiel, sagt Silva, sei die Maske der Politiker abgefallen: Sie seien unfähig, unehrlich und häufig korrupt. Die Erzieherin verlor das Vertrauen in die etablierten politischen Parteien:
"Ich gehe trotzdem zur Wahl. Aber ich gebe immer einen ungültigen Stimmzettel ab. Manchmal, wenn ich schlecht gelaunt bin und auf das Ganze keine Lust mehr habe, schreibe ich auf den Zettel: "Ich vertraue euch nicht." Oder: "Ich vertraue keiner Partei mehr!" Und das betrifft das ganze Spektrum, von ganz links bis ganz rechts."
Die Zahl der Nichtwähler ist in Portugal seit dem Beginn der Demokratie stetig angestiegen. Von 8,5 Prozent im Jahr 1975 bis auf 44,1 Prozent bei den Parlamentswahlen 2015. Viele Nichtwähler klinken sich aus, verlieren das Interesse an der Politik und beteiligen sich nicht mehr aktiv an der Gesellschaft. Politischer Protest lässt sich in Portugal deshalb nur sehr schwer organisieren. Als im Dezember eine Gruppe von Aktivisten an die Unzufriedenen in Portugal appellierte und mit einem spontanen Gelbwesten-Protest das Land stilllegen wollte, erschienen nur ein paar Hundert Demonstranten.
"Ich gehe trotzdem zur Wahl. Aber ich gebe immer einen ungültigen Stimmzettel ab. Manchmal, wenn ich schlecht gelaunt bin und auf das Ganze keine Lust mehr habe, schreibe ich auf den Zettel: "Ich vertraue euch nicht." Oder: "Ich vertraue keiner Partei mehr!" Und das betrifft das ganze Spektrum, von ganz links bis ganz rechts."
Die Zahl der Nichtwähler ist in Portugal seit dem Beginn der Demokratie stetig angestiegen. Von 8,5 Prozent im Jahr 1975 bis auf 44,1 Prozent bei den Parlamentswahlen 2015. Viele Nichtwähler klinken sich aus, verlieren das Interesse an der Politik und beteiligen sich nicht mehr aktiv an der Gesellschaft. Politischer Protest lässt sich in Portugal deshalb nur sehr schwer organisieren. Als im Dezember eine Gruppe von Aktivisten an die Unzufriedenen in Portugal appellierte und mit einem spontanen Gelbwesten-Protest das Land stilllegen wollte, erschienen nur ein paar Hundert Demonstranten.
Eine ungültige Stimmabgabe als Protestakt
Die Erzieherin Stela Silva zieht sich jedoch nicht aufs Sofa zurück, sondern geht einen anderen Weg. Und mit ihr eine kleine, aber beständige Zahl der Portugiesen: Fast vier Prozent der Stimmen, die bei den Parlamentswahlen vor vier Jahren abgegeben wurden, waren ungültig und damit – im Vergleich zur Bundestagswahl 2017 – dreimal so hoch wie in Deutschland. Die Wahl ist für Silva ein Protestakt – gegen unglaubwürdige Parteien und korrupte Politiker. Doch anstatt in die Arme von rechtspopulistischen Rattenfängern zu laufen, versucht sie selbst ihre Umgebung zu verändern.
Sie versuche ihren Kindergartenkindern grundlegende Werte beizubringen über Freundschaft, Familie, Natur und Umwelt, sagt sie. Und außerhalb ihres Berufslebens engagiere sie sich in einem Verein, der sich um Obdachlose und arme Familien kümmert:
In einem Supermarkt in einem schlichten Wohnviertel ein paar Kilometer vom Kindergarten entfernt steht die 59-jährige im Eingangsbereich und verteilt Plastiktüten. Die Idee dahinter: Bürger, die etwas spenden wollen, nehmen eine von Silvas leeren Plastiktüten mit in den Supermarkt, kaufen Grundnahrungsmittel und bringen die voll bepackte Tüte wieder zu Silva – die sie dann an Bedürftige verteilt.
Sie versuche ihren Kindergartenkindern grundlegende Werte beizubringen über Freundschaft, Familie, Natur und Umwelt, sagt sie. Und außerhalb ihres Berufslebens engagiere sie sich in einem Verein, der sich um Obdachlose und arme Familien kümmert:
In einem Supermarkt in einem schlichten Wohnviertel ein paar Kilometer vom Kindergarten entfernt steht die 59-jährige im Eingangsbereich und verteilt Plastiktüten. Die Idee dahinter: Bürger, die etwas spenden wollen, nehmen eine von Silvas leeren Plastiktüten mit in den Supermarkt, kaufen Grundnahrungsmittel und bringen die voll bepackte Tüte wieder zu Silva – die sie dann an Bedürftige verteilt.
Soziales Engagement nur ohne staatliche Hilfe
Gerade Portugiesen mit niedrigem Einkommen, erzählt Silva, würden relativ viel spenden, weil sie häufig selbst schon einmal in einer schwierigen Situation gewesen seien. Die Erzieherin räumt Reispackungen und Konservendosen in ein paar Kartons. Den Sozialverein, für den sie sich engagiert, hat sie bewusst gewählt, weil er auf keinerlei staatliche Hilfen angewiesen ist. Das würde der Korruption nur die Türen öffnen, sagt Silva. Über ihrer Kleidung trägt sie eine Gelbweste.
Das sei keine politische Aussage, sagt sie und lacht. Nein, sie trage die Signalfarbe nur, um von den Kunden besser wahrgenommen zu werden. Und wonach sehnt sich dann? Vielleicht nach einem starken Mann, der eine neue Richtung vorgibt? Stela Silva schüttelt mit dem Kopf:
"Mit so Leuten wie Trump oder Bolsonaro kommen wir nicht weiter. Aber mit der Demokratie, die wir zurzeit haben, eben auch nicht. Schließlich haben diese Typen in unserer Demokratie ihre Macht gewonnen. Ich bin trotzdem zuversichtlich. Ich habe selbst keine Kinder, aber dafür viele Neffen. Und ich finde es gut, wie sie über die Zukunft denken. Sie wollen mehr fürs Klima machen und fordern eine gerechtere Welt. Wir sollten nicht vergessen: Jeder Mensch ist wie ein kleiner Wassertropfen, aber aus sehr vielen Wassertropfen entsteht ein ganzer Ozean."
Das sei keine politische Aussage, sagt sie und lacht. Nein, sie trage die Signalfarbe nur, um von den Kunden besser wahrgenommen zu werden. Und wonach sehnt sich dann? Vielleicht nach einem starken Mann, der eine neue Richtung vorgibt? Stela Silva schüttelt mit dem Kopf:
"Mit so Leuten wie Trump oder Bolsonaro kommen wir nicht weiter. Aber mit der Demokratie, die wir zurzeit haben, eben auch nicht. Schließlich haben diese Typen in unserer Demokratie ihre Macht gewonnen. Ich bin trotzdem zuversichtlich. Ich habe selbst keine Kinder, aber dafür viele Neffen. Und ich finde es gut, wie sie über die Zukunft denken. Sie wollen mehr fürs Klima machen und fordern eine gerechtere Welt. Wir sollten nicht vergessen: Jeder Mensch ist wie ein kleiner Wassertropfen, aber aus sehr vielen Wassertropfen entsteht ein ganzer Ozean."