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Portugal
Verklärter Blick auf Kolonialgeschichte

Portugal war eine der ersten Kolonialmächte und hielt länger an seinen Kolonien fest als andere europäische Staaten. Noch vor 43 Jahren gehörte Angola offiziell zu Portugal. Eine kritische Auseinandersetzung mit dieser Zeit steht noch aus.

Von Tilo Wagner |
    Das Entdeckerdenkmal Padrao dos Descobrimentos steht im Lissaboner Stadtteil Belem am Ufer des Flusses Tejo.
    Das Entdeckerdenkmal Padrão dos Descombrimentos wurde 1960 im Lissaboner Stadtteil Belem errichtet. (imago / Metodi Popow)
    Das kulturelle Erbe der portugiesischen Kolonien ist in Lissabon noch heute greifbar. Musik und Literatur mit afrikanischen Wurzeln nehmen einen wichtigen Stellenwert ein, afrikanische und brasilianische Migranten gehören ganz selbstverständlich zum Stadtbild. Offene rassistische Gewalt gegen dunkelhäutige Portugiesen oder Migranten ist selten. Doch das Verhältnis zwischen Portugal und seinen Kolonien wird immer noch von einem Mythos überschattet:
    Urheber ist der autoritäre Herrscher António de Oliveira Salazar. Er bediente sich in den fünfziger und sechziger Jahren einer gewagten Theorie, um seine Kriege gegen die afrikanischen Unabhängigkeitsbewegungen zu rechtfertigen: Der sogenannte Lusotropikalismus behauptete, dass Portugal keine aggressive Kolonialmacht gewesen sei, sondern ein friedliches tolerantes Nebeneinander gefördert hätte.
    Der portugiesische Politiker António de Oliveira Salazar an seinem Schreibtisch. Von 1932 bis 1968 bekleidete er das Amt des Ministerpräsidenten und baute ein diktatorisches Regierungssystem auf.
    Der portugiesische Politiker António de Oliveira Salazar an seinem Schreibtisch. (picture alliance/ dpa)
    António Pinto Ribeiro, einer der einflussreichsten Kuratoren Portugals, glaubt, dass dieser verschwommene Blick auf die portugiesisch-afrikanischen Beziehungen auch heute noch breite Teile der Öffentlichkeit hemmt:
    "Wir haben in Portugal zu wenige Forschungszentren, die sich mit diesem Thema auseinandersetzen, und deshalb rückt es nicht in den öffentlichen Fokus. Der Lusotropikalismus ist wie ein Gespenst, das immer wieder ausgegraben wird und mit dem wir noch nicht richtig umzugehen wissen. Das Ende des portugiesischen Kolonialreiches kam sehr spät. Und seitdem hat sich in dieser relativ kurzen Zeit in Portugal noch keine kritische Masse entwickeln können, die unser Denken in Frage stellt. Uns fällt es viel zu leicht, immer noch den unkritischen Weg zu gehen, der uns einfach sehr gelegen kommt."
    Kein Handlungsbedarf bei Rückgabe von Kulturgütern
    Die Debatte, ob Kunst aus europäischen Sammlungen in die ehemaligen Kolonien zurückgegeben werden sollte, wird in Portugal nicht geführt. Portugiesische Museen sehen offenbar keinen Handlungsbedarf. Das mag auch daran liegen, dass konkrete Forderungen nach der Rückgabe von Kunstobjekten aus Afrika, Asien oder Lateinamerika nicht bekannt sind.
    Experten führen mehrere Gründe dafür an: Die portugiesischen Sammlungen seien weniger umfangreich als die Kunstschätze in Berlin, Paris oder London. Zudem habe der Staat erst in den 50er und 60er Jahren mit dem Aufbau einer ethnologischen Sammlung begonnen und dabei schon genau auf Besitzfragen und Herkunft der Objekte geschaut.
    Dennoch hat sich die portugiesische Öffentlichkeit in den vergangenen Monaten mit dem Kolonialerbe auseinandergesetzt. Der Bürgermeister von Lissabon wollte in der Stadt ursprünglich ein "Museum der Entdeckungen" errichten, insbesondere um den vielen Touristen einen Blick in die Zeit zu ermöglichen, als die Portugiesen auf dem Seeweg über Afrika bis nach Indien und Brasilien gelangten. Doch der eurozentrische Name stieß auf Kritik. Nicht nur bei Wissenschaftlern. Eine Gruppe von 100 Bürgern mit afrikanischen Wurzeln forderte stattdessen den Bau eines Museums über die Geschichte des schwarzen Widerstandes, darunter auch Carla Fernandes, eine Journalistin, die einen Radio-Blog über afrikanische Kultur in Lissabon betreibt:
    "Wir können in Portugal nicht weiter dieses Bild konstruieren von einem ach so multikulturellen, weltoffenen Land. Es stimmt zwar: Wir haben hier in Lissabon viel schwarze Musik, afrikanische Gastronomie und eine Sprache mit vielen afrikanischen Einflüssen. Aber die Weißen dürfen sich das nicht zu Eigen machen, um den Touristen dieses Bild vorzuzeichnen von einem exotischen, multikulturellen Lissabon, von "unserem" portugiesischen Afrika."
    Ob das neue Museum überhaupt noch gebaut werden wird, ist noch offen. Die Polemik hat in Lissabon jedoch dazu geführt, dass in der portugiesischen Öffentlichkeit endlich über kontroverse Themen wie Rassismus, Sklaverei und das kulturelle Erbe Afrikas in Europa diskutiert wird.