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Portugal vor der Wahl
Im Zeichen des Sparens

Wenn die Portugiesen am Sonntag ein neues Parlament wählen, ist eine Frage von zentraler Bedeutung: Welche Rolle soll der Staat übernehmen? Der regierenden Mitte-rechts-Koalition wird vorgeworfen, die Troika als Vorwand benutzt zu haben, um das soziale Netz abzubauen. Die oppositionelle sozialistische Partei will mit einer grundlegenden Reform der Sozialversicherung punkten.

Von Tilo Wagner |
    Ein Auktionshaus hat in den Konferenzsaal eines Lissabonner Vier-Sterne-Hotels eingeladen. Rund 60 Bieter drängeln sich in dem abgedunkelten Raum. Über eine Leinwand laufen Fotos von den Objekten, die zwangsversteigert werden: Lederjacken aus einem ehemaligen Bekleidungsgeschäft, Lastwagen eines insolventen Transportunternehmens, Eigentumswohnungen hoch verschuldeter Kleinfamilien. Die Zahl der zahlungsunfähigen Unternehmer und Privatpersonen ist in den Krisenjahren stark angestiegen. Doch in Portugal stand auch der Staat kurz vor der Pleite – und hat sein Tafelsilber verkauft: Das staatliche Energieversorgungsnetzwerk, den größten Flughafenbetreiber, die Post, eine Versicherungsanstalt, die Fluggesellschaft TAP, einen Abfallentsorgungsbetrieb und Anteile am größten Energieunternehmen. Mit Einnahmen von 9,6 Milliarden Euro übertraf die konservative Regierung sogar die Vorgaben der internationalen Geldgeber von EU, IWF und Europäischer Zentralbank, sagt der Politikwissenschaftler Pedro Adão e Silva:
    "Das Privatisierungsprogramm ist das einzige Ziel, das die Regierung aus dem Spar- und Reformprogramm tatsächlich verwirklich hat. Sparvorgaben wurden gebrochen, die Arbeitslosigkeit stieg weit stärker an als erwartet, obwohl die Regierung mit dem Verkauf von Staatsbetrieben sogar mehr Geld eingenommen hat, als eigentlich vorgesehen war."
    Der Ausverkauf hat Spuren hinterlassen: Gewerkschaften und Bürgerinitiativen stellten sich dagegen mit Streiks, Demonstrationen, Mahnwachen.
    Wenn am Sonntag die Portugiesen ein neues Parlament wählen, spielt die Frage, welche Rolle der Staat in den nächsten Jahren in Portugal übernehmen soll, eine entscheidende Rolle. Frei nach dem Prinzip "weniger ist mehr", hat die Mitte-Rechts-Koalition um Premierminister Pedro Passos Coelho das Privatisierungsprogramm selbst dann weiter fortgesetzt, als die Troika das Land im Mai 2014 wieder verlassen hatte. Kurz vor den Parlamentswahlen unterzeichnete die Regierung jetzt Verträge mit einem spanisch-mexikanischen Unternehmen, das in den nächsten Jahren die öffentlichen Verkehrsbetriebe in Lissabon leiten soll. Denn anders als in vielen europäischen Staaten sind die Transportunternehmen in den Metropolen Porto und Lissabon nicht in der Hand der Stadtverwaltungen, sondern gehören dem Zentralstaat.
    "Diese Verträge halten fest, dass alles so bleibt wie es im Jetzt-Zustand ist. Doch das Problem ist, dass auch die öffentlichen Verkehrsbetriebe in den Krisenjahren ein hartes Sparprogramm durchziehen mussten und das Angebot an Bus- oder U-Bahn-Fahrten reduziert haben und die Zahl der Passagiere dementsprechend zurückgegangen ist. Der Jetzt-Zustand ist nicht das, was wir in Lissabon brauchen – und deshalb sind wir dagegen."
    "Wir brauchen öffentliche Unternehmen, die finanziell auf festen Beinen stehen"
    Fernando Medina ist seit April 2015 Bürgermeister von Lissabon. Er hat das Amt von António Costa übernommen, der als Spitzenkandidat der sozialistischen Partei nach den Parlamentswahlen Portugals neuer Premierminister werden will. Costa und Medina haben sich den Widerstand gegen die Privatisierung der öffentlichen Verkehrsbetriebe auf die Fahnen geschrieben:
    "Wir sind der Meinung, dass die Stadt die Verkehrsbetriebe leiten muss. Wir brauchen öffentliche Unternehmen, die finanziell auf festen Beinen stehen. Die Stadt war bereit, ihren Anteil zu leisten. Es war nie eine Frage des Geldes. Die Regierung hat aus ideologischen Gründen entschieden, dass ein Privatunternehmen den Zuschlag bekommt – und wir hoffen jetzt, dass wir das Verfahren noch rechtzeitig stoppen können."
    In den acht Jahren, die António Costa als Bürgermeister von Lissabon regierte, hat sich der gelernte Rechtsanwalt ein starkes Profil als Modernisierer aufgebaut. Seine Projekte in der portugiesischen Hauptstadt zielten auch darauf ab, den öffentlichen Raum neu zu beleben: mit der Renovierung von Altbauten, mit verkehrsberuhigten Zonen, Fahrradwegen und nicht zuletzt mit der Sanierung der städtischen Finanzen. Costa wiederholte im Wahlkampf deshalb immer wieder seinen Vorwurf gegen die konservative Regierung:
    "Das Sparprogramm der Troika ist vor allem von der Regierung beeinflusst worden. Der Premierminister wollte sogar noch viel mehr sparen und kürzen, als es die internationalen Geldgeber vorgesehen hatten. Niemand hat sich in Portugal gewünscht, dass die Troika kommt – außer diejenigen, die die Troika als Vorwand nehmen wollten, um den Sozialstaat abzubauen."
    Neue Sonderabgaben auf Einkommen und Renten
    Streikende Lehrer, überfüllte Krankenhäuser und Suppenküchen für die verarmte Mittelschicht haben das Bild geprägt, das viele Portugiesen in den vergangenen vier Jahren verinnerlicht haben. Tatsächlich sind die Ausgaben für Gesundheit und Bildung gesunken. Doch die Ergebnisse sind nicht immer ganz so negativ, wie sie die Oppositionsparteien im portugiesischen Parlament darstellen. Laut einem OECD-Bericht vom Mai 2015 hat das portugiesische Gesundheitssystem die Sparpolitik gut überstanden und steht nun wesentlich robuster da als vor der Krise. Für Nuno Garoupa, Präsident der unabhängigen politischen Stiftung FFMS, hatte die Konsolidierungspolitik der vergangenen Jahre keinen ideologischen Hintergrund:
    Blick auf Lissabon
    Blick auf Lissabon (picture alliance / Klaus Rose)
    "Der Regierungsstil der Mitte-Rechts-Koalition war vor allem dadurch geprägt, dass es eben kein politisch kohärentes Programm gab. Die Regierung hat sich fast ausschließlich auf das Ziel beschränkt, das Haushaltsdefizit in den Griff zu bekommen, und der Sparkurs, zum Beispiel im Gesundheits- und Bildungswesen, ist nicht die Grundlage dieser Politik, sondern deren Konsequenz gewesen. Liberale Ideen – im klassischen ökonomischen Sinne – wurden fast kaum umgesetzt. Der Beweis dafür ist die Steuerpolitik. Die Regierung hat ein fast totalitäres Steuersystem geschaffen, in dem scheinbar jeder Portugiese nun Probleme mit den Finanzbehörden hat und in dem die individuellen Rechte der Bürger nicht geschützt sind."
    Premierminister Passos Coelho ließ Sonderabgaben auf Renten und Einkommen einführen, strich Gehälter im öffentlichen Dienst, verringerte die Steuerprogression und erhöhte die Mehrwertsteuer in der Gastronomie. Dank der sprudelnden Steuereinnahmen könnte der portugiesische Staat in diesem Jahr zum ersten Mal seit 2008 wieder die Brüsseler Defizithöchstgrenze von drei Prozent einhalten. Diese Perspektive eröffnet scheinbar Platz für neue Ideen, wie Portugal in den nächsten vier Jahren regiert werden soll. Die Regierungsparteien PSD und CDS, die bei den Parlamentswahlen als vereintes Bündnis auftreten, halten sich jedoch mit Wahlversprechen zurück. Dagegen habe die sozialistische Partei eine wirtschaftspolitische Alternative entworfen, sagt der Politologe Pedro Magalhães:
    "Die sozialistische Partei war stärkste Oppositionskraft und muss nun im Detail sagen, was sie in der kommenden Legislaturperiode anders machen will. Ihr Wahlprogramm ist deshalb wesentlich ausführlicher und konkreter als das der Regierungskoalition. Es gibt eine Reihe von fundierten Ideen, etwa welche Steuern die Sozialisten nun senken und wie sie die Sozialversicherung reformieren wollen. Die Grundidee dahinter ist: Sie wollen Wachstum schaffen, indem die Steuerlast gesenkt wird, und zwar ohne dabei die Haushaltskonsolidierung in Frage zu stellen."
    Bereits im April hatte eine Gruppe von Wirtschaftsexperten den ökonomischen Fahrplan der Sozialisten vorgestellt. Ein Grundpfeiler ist die Reform der Sozialversicherung, aus der Renten, Arbeitslosengelder und Sozialhilfeleistungen gezahlt werden. Im Verlauf der Wirtschaftskrise sind die Ausgaben stärker gestiegen als die Einnahmen. Die beiden großen Parteien haben eine Debatte geführt, wie das Rentensystem in Portugal zukunftssicherer gemacht werden könnte. Doch eigentlich stehe die portugiesische Sozialkasse relativ robust da, sagt der ehemalige Finanz- und Sozialminister António Bagão Félix:
    "Portugal wächst seit fast 15 Jahren nicht mehr richtig, die Arbeitslosigkeit ist stark gestiegen, die Geburtenrate ist weltweit die zweitniedrigste und die Sozialbeiträge für Arbeitgeber und Arbeitnehmer sind fast auf dem gleichen Niveau wie vor 30 Jahren – und trotzdem ist die Sozialversicherung stabil. Warum? Ganz einfach: Es wurden in den letzten 15 Jahren eine Reihe von tief greifenden Reformen bereits durchgeführt, durch die das Rentenalter angehoben, Stabilitätsfaktoren eingebaut und die Renten des öffentlichen und des privaten Sektors aneinander angepasst wurden."
    Die eigentliche Gefahr für die Sozialversicherung, so der ehemalige konservative Politiker, komme aus den politischen Parteien. Bagão Félix verweist auf eine Maßnahme der Mitte-Rechts-Koalition. Auf dem Höhepunkt der Finanz- und Wirtschaftskrise verpflichtete Passos Coelho vor zwei Jahren die Sozialversicherung, 90 Prozent ihrer 13 Milliarden Euro schweren Rücklagen in portugiesische Staatsanleihen zu investieren, um so die angespannte Situation auf den Finanzmärkten teilweise zu entschärfen. Ähnlich kritisch beurteilt der Finanzexperte Bagão Félix jetzt die Pläne der sozialistischen Partei:
    "Die Sozialisten machen nun einen großen Fehler. Sie wollen die Sozialbeiträge für Arbeitnehmer wie Arbeitgeber um jeweils vier Prozent senken. Insgesamt also acht Prozent – wir reden von einer Finanzierungslücke von über neun Milliarden Euro in den kommenden zehn Jahren. Und wie wollen sie das finanzieren? Mit einem Flickenteppich von kleinen Maßnahmen und der zentralen Annahme, dass die Wirtschaft viel stärker wachsen werde als angenommen? Eine zugegeben sehr romantische Idee. Das beutet, ein solides Finanzierungssystem soll gegen ein wesentlich unsichereres ausgetauscht werden. Das halte ich für einen schweren Fehler. Schließlich sollte das Geld aus der Sozialversicherung nicht für andere politische Zwecke eingesetzt werden."
    Die Sozialisten haben jedoch noch ein weiteres Problem: Ihr Programm basiert auf Annahmen über die portugiesische Wirtschaft, die sich in den vergangenen Monaten schon wieder stark verändert haben. Die Wirtschaftskrise war auch das Ergebnis einer schwachen privaten Nachfrage in Portugal. Doch mittlerweile geben die Portugiesen wieder sehr viel mehr Geld aus, und der private Konsum kurbelt die Wirtschaft zusätzlich an. Wer weitere Anreize durch Steuer- und Abgabensenkungen in dieser Phase setzen würde, triebe ein gefährliches Spiel, sagt der Wirtschaftsprofessor João Duque:
    "Jeder, der sich die portugiesische Wirtschaft genauer anschaut, stellt fest, dass wir schon wieder zu viel Geld ausgeben. Wir sparen zu wenig, wir importieren zu viel und wir kaufen vor allem dauerhafte Konsumgüter, die wir nicht selbst produzieren, allen voran deutsche Autos. Ich kenne kein ernst zu nehmendes Modell, das darauf basiert, neue Schulden aufzunehmen, um mehr zu konsumieren. Man nimmt meinetwegen Schulden auf, um zu investieren, aber man verschuldet sich doch nicht, um mehr Güter aus dem Ausland zu importieren – das bringt ein großes Risiko mit sich."
    Portugal sollte sich nicht als Niedriglohnland definieren
    Zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg, so João Duqu, habe Portugal ein chronisches Ungleichgewicht im Außenhandel beseitigt und mehr exportiert als importiert. Der Grund: In der Krise habe das Ende der staatlichen Investitionspolitik und der Kollaps der internen Nachfrage dazu geführt, dass sich die Unternehmen zwangsläufig dem Weltmarkt zuwenden mussten, um überleben zu können. Für Hundertausende Portugiesen kam der Wirtschaftsaufschwung jedoch zu spät. Überwiegend junge, gut ausgebildete Fachkräfte haben das Land verlassen, um in England, Deutschland oder Angola eine berufliche Perspektive zu finden. Ob der Wunsch vieler Politiker, diese Generation der Auswanderer wieder in die Heimat zu locken, in Erfüllung gehen wird, hängt jedoch nicht von den politischen Parteien ab, sondern vielmehr von den persönlichen Motiven und Zukunftsaussichten der Migranten. Die baldige Rückkehr der Fachkräfte scheint Wunschdenken, denn die Mehrheit der rund 230.000 neuen Jobs sind in Portugal in den vergangenen zweieinhalb Jahren im Niedriglohnsektor geschaffen worden. Der Anteil der Arbeitnehmer, die monatlich den Mindestlohn von 505 Euro erhalten, ist auf ein Fünftel der Erwerbstätigen angestiegen. Das sei nicht der richtig Weg, sagt der Unternehmer Pedro Bizzaro. Portugal sollte sich nicht als Niedriglohnland definieren:
    "Portugal wird nur dann Erfolg haben, wenn es auf Qualität und nicht auf niedrige Preise setzt. Unsere Stärken sollten sein: Hohe Qualität im Ingenieurwesen und bei den Arbeitnehmern, Kreativität und die Fähigkeit, innovative Produkte zu entwickeln. Das hat viel mehr Zukunft als auf billige Arbeitsprozesse zu setzen."
    Bizarro hat ein Softwareunternehmen mitgegründet, das im amerikanischen Wirtschaftsmagazin Forbes als Beispiel für die blühende Landschaft von Start-up-Unternehmen in Portugal angeführt wurde. Innerhalb von wenigen Jahren ist die Drei-Mann-Firma zu einem mittelgroßen IT-Unternehmen mit rund 100 Fachkräften gewachsen. Luís Campos e Cunha, ehemaliger Finanzminister und Wirtschaftsprofessor an der renommierten Businessschool der Neuen Universität Lissabon, spricht von einem tiefgreifenden Wandel in den Strukturen der portugiesischen Unternehmenskultur:
    "Vor 20 Jahren träumte ein Universitätsabsolvent mit einem MBA noch davon, in einer Bank oder in der Finanzwirtschaft angestellt zu werden. Heute wollen die besten Studenten sofort nach ihrem Abschluss ein Unternehmen gründen. Mit dieser Einstellung, die früher fast kaum zu finden war, hat sich alles verändert. Diese Generation portugiesischer Jungunternehmer zeigt viel mehr Initiative, sie hat keine Berührungsängste mit dem Ausland, weil sie über Erasmus oder andere Programme eine Zeit außerhalb Portugals studiert hat, und sie ist viel eher bereit, etwas zu riskieren als die Generation ihrer Eltern."
    Auf die Erfolgsgeschichten aus der Wirtschaft stützt sich die Mitte-Rechts-Koalition. Neben der lebhaften Unternehmensgründungskultur und der verbesserten Außenhandelsbilanz kann die konservative Regierung noch eine Reihe weiterer positiver Entwicklungen aufweisen. Im Zeitraum von etwas über zwei Jahren ist die Arbeitslosenquote von 17,5 auf jetzt 12,4 Prozent zurückgegangen. Und das Bruttosozialprodukt soll im laufenden Jahr mit 1,6 Prozent so stark wachsen wie seit fünf Jahren nicht mehr.
    Wenn man den jüngsten Prognosen glauben darf, könnte die Mitte-Rechts-Koalition bei den Parlamentswahlen am Sonntag sogar als Sieger hervorgehen – eine Vorstellung, die vor zwei Jahren noch vollkommen unmöglich schien. Der Politologe Pedro Adão e Silva:
    "Auf dem Höhepunkt der Krise zählt für den Wähler normalerweise die individuelle Erfahrung, also zum Beispiel Arbeitslosigkeit oder Einkommensverlust. Doch in der Phase des Wirtschaftsaufschwungs zählt die kollektive Erfahrung. Ich bin vielleicht immer noch arbeitslos, meine finanzielle Situation ist immer noch schlecht und hat sich nicht verändert, aber wenn um mich herum das Gefühl da ist, die Dinge würden sich zum Positiven drehen, dann ändert sich auch mein Standpunkt."
    IWF bemängelt nachlassenden Reformeifer
    Unabhängige Beobachter halten es jedoch für sehr unwahrscheinlich, dass die Regierungskoalition die gewünschte absolute Mehrheit erreichen wird. Portugal droht dann eine Phase der politischen Instabilität. Denn auch die Sozialisten können wahrscheinlich nur eine Minderheitsregierung bilden, weil ihnen der Koalitionspartner im linken Parteienspektrum fehlt. Staatspräsident Cavaco Silva hat mehrfach darauf hingewiesen, dass ein Bündnis zwischen Konservativen und Sozialisten notwendig sein könnte.
    Cavaco Silva
    Cavaco Silva (AP)
    Doch eine Große Koalition hat es in Portugal nur ein einziges Mal vor über drei Jahrzehnten gegeben. Der sozialistische Spitzenkandidat António Costa hat bereits angekündigt, dass er eine Minderheitsregierung der Mitte-Rechts-Koalition nicht dulden werde. Doch die Situation ist noch komplexer: Die Amtszeit von Staatspräsident Cavaco Silva läuft zu Beginn des kommenden Jahres aus und der Präsident kann deswegen das Parlament laut Verfassung selbst dann nicht mehr auflösen, wenn es handlungsunfähig ist. Portugal droht deshalb nach den Wahlen eine Übergangslösung, sagt Stiftungspräsident Nuno Garoupa:
    "Staatspräsident Cavaco Silva ist nicht dafür bekannt, dass er gewagte oder innovative politische Experimente anstößt. Wenn nach den Wahlen keine klaren Verhältnisse herrschen, wird er mit den Schultern zucken, den Parteien fehlende Kompromissbereitschaft vorwerfen und die jetzige Mitte-Rechts-Koalition als Übergangsregierung einsetzen."
    Die Vorstellung, dass nach den Wahlen in Portugal keine klaren Regierungsverhältnisse herrschen könnten, macht vielen Experten Sorgen. Dabei steht nicht nur der Haushalt für 2016 auf dem Spiel, sondern auch die mittelfristige Zukunft des Landes. Der Internationale Währungsfonds bemängelt seit Monaten, dass der Reformeifer im Südwesten Europas spürbar nachlasse. Portugal, so der ehemalige Finanzminister Campos e Cunha, stehe vor zwei Mammutaufgaben, die auch unter Aufsicht der internationalen Geldgeber in der vergangenen Legislaturperiode nicht zum Abschluss gekommen sind: Die Modernisierung des Justizwesens und der öffentlichen Verwaltung.
    "Portugal hat gebrannt, wir haben das Feuer gelöscht und sind dabei, die Brandschäden zu beseitigen; und jetzt müssten wir langsam an das neue Mobiliar denken – für unser neues Haus."