José Sócrates ist zurück im Scheinwerferlicht des portugiesischen Fernsehens. Zwei Jahre nachdem der ehemalige Regierungschef am Lissabonner Flughafen in Untersuchungshaft genommen wurde, tritt Sócrates zur besten Sendezeit auf und zeigt, dass er seine außergewöhnliche Kommunikationsfähigkeit nicht verloren hat. Eigentlich wollte der 59-Jährige über sein neues Buch sprechen: ein Essay über Max Weber und das Fehlen charismatischer Führungspersönlichkeiten in Europa. Doch dann holte er doch noch zum Rundumschlag gegen die portugiesische Justiz aus:
"Sie habe mich festgenommen, und das war illegal und vollkommen übertrieben, und jetzt nach zwei Jahren haben sie immer noch keine Anklage erhoben. Das geht nicht, das hat doch nichts mit einem demokratischen Staat zu tun. Deshalb ist für mich der Prozess gelaufen. Denn man kann jemanden verdächtigen, aber dieses Recht ist zeitlich begrenzt. Die Staatsanwaltschaft scheint zu glauben, sie könnte einen Strafprozess führen, ohne die Rechte des Bürgers zu beachten. Wenn aber mit dem Finger auf einen gezeigt wird und man bis in alle Ewigkeiten Verdächtiger bleiben kann, dann ist das ein Merkmal eines totalitären Staates und nicht einer Demokratie."
Erfolge sind da, doch die Verfahren dauern zu lange
Ähnliche Vorwürfe - im Hinblick auf die Dauer der Verfahren - muss sich die portugiesische Justiz nicht nur im Falle Sócrates anhören. In den vergangenen Jahren haben die Behörden eine Reihe von großen Finanz- und Korruptionsskandalen aufgedeckt. Doch diese eigentlich ermutigenden Erfolge im Kampf gegen den Machtmissbrauch würden durch eine zähe, langwierige Aufarbeitung aufgeweicht, sagt der Jurist und Strafprozessexperte Henrique Salinas:
"Unsere Justiz war auf diese komplexen und spektakulären Fälle, deren Aufarbeitung so viele Ressourcen verlangen, einfach nicht vorbereitet. So wie das ganze Land die Finanzkrise nicht erwartet hat, hat auch die Justiz die Folgen der Krise nicht absehen können. Für die umfangreichen Untersuchungen, die vor der Anklage laufen, wird die meiste Zeit beansprucht. Und es fehlt einfach an spezialisierten Fachkräften. Hier macht sich auch die fehlende Investition der vergangenen Jahre bemerkbar."
Umfangreiche Ermittlungen sprengen Ressourcen der Behörden
Die Untersuchungen im Falle Sócrates begannen zunächst mit einer Luxuswohnung in Paris, die der ehemalige sozialistische Regierungschef mit dem Geld von einem Schweizer Bankkonto gekauft haben soll. Doch das sei nur der Anfang gewesen, sagt der Journalist Fernando Esteves, der im vergangenen Jahr einen Besteller über die dubiosen Geldgeschäfte des Ex-Premiers geschrieben hat:
"Dieser Fall ist hochkomplex. Er verlangt die Zusammenarbeit von Institutionen aus mehreren Staaten, die Auswertung von Dutzenden von Hausdurchsuchungen und von 80.000 Stunden abgehörter Telefongespräche. Und dieses umfangreiche Material wird von einem relativ kleinen Team gesichtet, das gleichzeitig noch für eine Reihe von anderen Prozessen zuständig ist. Das ist einfach zu wenig."
Die Liste der möglichen Fälle, in denen sich José Sócrates seinen politischen Einfluss vergoldet haben mag, ist lang, darunter der Bau eines Shoppingcenters in einem Umweltschutzgebiet vor den Toren Lissabons. Selbst zu dem milliardenschweren brasilianischen Korruptionsskandal "lava jato" scheint es Verbindungen zu geben.
Sócrates will zurück auf die politische Bühne
Ungeachtet der schweren Vorwürfe arbeitet José Sócrates schon jetzt an seinem politischen Comeback. Obwohl die Führungsspitze seiner sozialistischen Partei deutlich auf Distanz zu ihm geht, versucht Sócrates mit Buchvorstellungen, Reden und Fernsehauftritten, den harten Kern seiner Anhänger um sich zu scharen, bevor der Prozess beginnt. Eine Rückkehr auf die politische Bühne sei jedoch Wunschdenken, sagt Fernando Esteves:
"Sócrates ist sehr von sich selbst überzeugt. Er hält sich für einen Erwählten, der eine höhere Mission erfüllen muss. Er lebt in seiner eigenen Welt und er glaubt, dass er seinen Ruf auf persönlicher und politischer Ebene zurückgewinnen kann. Das halte ich für sehr unwahrscheinlich. Sócrates ist politisch tot. Die Indizien im Prozess sprechen ganz klar gegen ihn. Er wird sehr wahrscheinlich wegen Korruption, Geldwäsche und Finanzbetrug angeklagt werden. Und selbst wenn er nicht verurteilt wird, dann scheint es unmöglich, den Vertrauensverlust der vergangenen zwei Jahre wieder einzufangen."