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Portugals Mittelstand droht das Kapital auszugehen

Die Kreditwürdigkeit Portugals wurde vergangene Woche auf Ramschniveau herabgestuft. Für 2012 erwartet die EU-Kommission, dass die Wirtschaft Portugals um drei Prozent schrumpfen wird. Hauptsächlich betroffen, wie so oft: der Mittelstand.

Von Tilo Wagner |
    Die Stadt Cascais nennen die Portugiesen im Volksmund auch "Schlafstätte der Reichen". Der malerisch gelegene Küstenort rund 20 Kilometer westlich von Lissabon ist eine der wohlhabendsten Regionen der iberischen Halbinsel. Doch die Krise macht sich längst auch in Portugals exklusiven Wohngegenden bemerkbar. Gleich hinter den Villen und teuren Terrassenwohnungen mit Meeresblick öffnet eine portugiesische Nichtregierungsorganisation ihre Türen für diejenigen, die in der schwierigen wirtschaftlichen Situation Hilfe brauchen. Die Leiterin Marlene Pires da Silva räumt mit ihren Helferinnen den Mittagstisch ab. Die Suppenküche und eine Essensausgabe versorgen mittlerweile über 400 Personen. Früher war dies ein Ort für Obdachlose. Heute, sagt Pires da Silva, würden Menschen aus der Mittelschicht an die Tür klopfen:

    "Die Leute, die uns jetzt aufsuchen, hätten früher hier nie einen Fuß über die Türschwelle gesetzt. Jetzt haben viele ihren Job verloren und müssen die laufenden Kosten und Bankkredite dennoch weiter abbezahlen. Deshalb kommen sie hierher und wollen Lebensmittel oder eine warme Mahlzeit."

    Das Sozialhilfezentrum in Cascais ist jetzt schon überlastet und muss sich dennoch auf einen steigenden Andrang vorbereiten. Denn das schlimmste Jahr steht den Portugiesen noch bevor. 2012 soll die Wirtschaft um drei Prozent schrumpfen und die Arbeitslosigkeit noch einmal auf dann 13,4 Prozent ansteigen. Portugal muss als Gegenleistung für das milliardenschwere Rettungspaket einen harten Sparkurs umsetzen. Die konservative Regierung will die Defizitvorgaben, die mit der EU, dem IWF und der Europäischen Zentralbank vereinbart wurden, unbedingt einhalten. Das hat seinen Preis: Die staatlichen Investitionen sind fast komplett zurückgefahren worden, der private Konsum hat einen absoluten Tiefstand erreicht.

    Diese düsteren Prognosen haben die amerikanische Ratingagentur Fitch veranlasst, die Kreditwürdigkeit des Landes auf Ramschniveau abzusenken. Für den Finanzexperten Pedro Marques von den Sozialisten – der größten Oppositionspartei im portugiesischen Parlament – trägt die Regierung eine Mitschuld an der Herabstufung:

    "Für die Regierung ist das wie ein weiterer Schlag ins Gesicht. Die Herabstufung ist zu einem Zeitpunkt vorgenommen worden, als der Haushalt für 2012 bereits umfassend bekannt war. Wir glauben, die Regierung ist Schuld, denn sie hat im Haushalt kein Programm für ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum präsentiert."

    Die Sozialisten haben in Gesprächen mit der regierenden liberal-konservativen Koalition versucht, einen Teil der geplanten Gehaltskürzungen im Öffentlichen Dienst und die Mehrwertsteuererhöhung in der Gastronomie zurückzunehmen. Doch bisher zeigt sich die Regierung unbeeindruckt. An dieser Haltung konnte auch ein Generalstreik nichts ändern, der große Teile der öffentlichen Verwaltung und Verkehrsbetriebe in der vergangenen Woche lahmgelegt hat.

    Einen Hoffnungsschimmer sehen portugiesische Analysten wie der Wirtschaftsprofessor João César das Neves dennoch. Denn der Privatsektor zeigt eine verbesserte Wettbewerbsfähigkeit und legte bei den Exporten portugiesischer Produkte in den vergangenen Monaten kräftig zu:

    "Unser einziger Ausweg führt über die Privatwirtschaft. Während sich der öffentliche Sektor noch nicht an die neue Realität angepasst hat, ist das bei den Privaten in den vergangenen zwei Jahren schon passiert. Das sieht man zum Beispiel am gestiegenen Sparvermögen und anderen Strukturveränderungen. Hinzu kommt, dass die portugiesische Wirtschaft in den vergangenen zehn Jahren bereits einen sehr schwierigen Transformationsprozess durchgemacht hat. Das produzierende Gewerbe, das diese Phase überlebt hat, ist viel besser aufgestellt, als das bisher wahrgenommen wird."

    Doch genau dieser Bereich könnte von der Herabstufung der Kreditwürdigkeit am stärksten getroffen werden. Dem portugiesischen Staat kann das Ramschniveau seiner Anleihen zurzeit egal sein – denn er wird bis zum Ende des Hilfsprogramms im Jahr 2014 kein frisches Geld mehr an den Finanzmärkten aufnehmen müssen. Anders sieht es für den Mittelstand aus. Den portugiesischen Privatbanken, die durch die Fitch-Herabstufung an den Börsen erneut unter Druck geraten sind, geht das Kapital aus. Überlebensnotwendige Kredite an mittelständische Unternehmen werden immer seltener vergeben. Die Abwärtsspirale der portugiesischen Wirtschaft könnte sich deshalb noch weiter nach unten bewegen.