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Positive Kolonialisierung?

Mit der neugegründeten "Stiftung für die Erinnerung an den Algerienkrieg" gedenkt die Grande Nation der Kriegsereignisse zwischen 1954 und 1962. Mit über sieben Millionen Euro soll unter anderem die historische Forschung vorangetrieben werden - doch viele Historiker befürchten eine einseitige Sichtweise.

Von Kathrin Hondl | 19.10.2010
    Die Väter der neuen "Stiftung für die Erinnerung an den Algerienkrieg" treffen sich heute Abend an einem symbolträchtigen Ort: Unter dem Arc de Triomphe werden Hubert Falco, französischer Staatssekretär für Verteidigung und Kriegsveteranen und die Präsidenten von drei Kriegsveteranen-Organisationen am Grabmal des unbekannten Soldaten die so genannte "Flamme der Erinnerung" neu entfachen - ein symbolisches Feuer in Erinnerung an die Toten des Ersten Weltkriegs und der Kriege, die folgten. Weniger staatstragend aber nicht minder symbolisch ging es vergangenen Sonntag ein paar Kilometer weiter östlich auf dem Pont Saint Michel zu.

    Fahnen und Transparente flattern im kalten Herbstwind, die algerische Nationalhymne erklingt. Mehrere hundert Menschen haben sich auf der Seine-Brücke mitten in Paris versammelt, um an den 17. Oktober 1961 zu erinnern - als die Polizei eine friedliche Demonstration von Algeriern brutalst niederknüppelte. Die genaue Opferzahl ist bis heute unklar - Historiker sprechen von 30 bis über 300 Toten, viele wurden von der französischen Polizei einfach in die Seine geworfen.

    "Ich bin heute hier, weil ich gegen das Vergessen bin, sagt eine junge Frau. Und weil die Regierung irgendwann einmal anerkennen muss, was geschehen ist. Man hat wirklich den Eindruck, der Algerienkrieg wird verdrängt. Das ist schade. Ich bin hier für all die, die getötet wurden."

    In Erinnerung an das Massaker vom 17. Oktober 1961 werfen die Teilnehmer der kleinen Gedenk-Demonstration Blumen in die Seine. Doch die Versammlung ist auch eine Protestveranstaltung - gegen die "Stiftung für die Erinnerung an den Algerienkrieg", die Staatssekretär Falco und die Veteranenverbände heute im Pariser Invalidendom gegründet haben:

    "Eine Provokation sagt der Historiker Gilles Manceron von der Liga für Menschenrechte - die Stiftung steht unter der Ägide militärischer Kreise, die sich noch immer nach der Kolonialzeit sehnen, und die die Folterungen rechtfertigen, die die französische Armee in Algerien begangen hat."

    Auch Benjamin Stora, einer der renommiertesten französischen Historiker des Algerienkriegs hält nichts von der neuen Erinnerungsstiftung.

    "Ich habe mich geweigert, da mitzumachen. Weil ich das Ganze für nutzlos halte. Wenn es tatsächlich um Aussöhnung gehen soll, dann braucht es da auch algerische Historiker. Weil die aber fehlen, fürchte ich, diese Stiftung bleibt eine rein französische Angelegenheit. Aber die Algerier haben das Recht anders zu denken. Algerien ist ein großes unabhängiges Land mit 35 Millionen Einwohnern. Dieses einseitige Urteilen muss aufhören."

    Offiziell heißt es zwar, die Stiftung habe das Ziel zu versöhnen, eine, so wörtlich, "gemeinsame Erinnerung zu konstruieren". Doch so recht glauben mag das kaum jemand. Das liegt unter anderem an einem schwer wiegenden Geburtsfehler. Grundlage der französischen "Stiftung für die Erinnerung an den Algerienkrieg" ist nämlich ein heftig umstrittenes Gesetz aus dem Jahr 2005. In einem Artikel hieß es da, dass im Schulunterricht die "positiven Aspekte" der Kolonialisierung betont werden sollten. Nach Protesten wurde der Gesetzestext zwar geändert - aber, so Benjamin Stora,

    "Die Algerier haben das nicht vergessen, für sie war es unmöglich, sich an einer Stiftung zu beteiligen, die im Rahmen dieses Gesetzes entsteht."

    Andere Kritiker gehen noch einen Schritt weiter und verurteilen die neue Erinnerungsstiftung als wahltaktisches Manöver der Regierungspartei UMP mit Blick auf den rechtsextremen Rand, wo sich auch heute noch Verfechter eines französischen Algerien tummeln. Versöhnung aber, sagt Benjamin Stora, wird erst möglich sein, wenn Frankreich voll und ganz anerkennt, wie viele Opfer der Krieg um Algerien in Algerien gefordert hat.

    "Wenigstens müssten die Toten respektiert werden. Das ist das mindeste. In diesem Krieg gab es mehrere hunderttausend Tote auf der algerischen Seite. Das müsste wenigstens anerkannt werden in einer politischen Geste. Statt dessen zu behaupten, man würde jetzt die Geschichte schreiben wollen, ist dreist. Für die Geschichtsschreibung brauchen wir den Staat und diese Stiftung nicht. Ich erforsche den Algerienkrieg seit 35 Jahren - allein, dafür brauche ich weder den Staat noch eine Stiftung."

    Im französischen Verteidigungsministerium dagegen verweist man auf die erfolgreiche Arbeit anderer Erinnerungsstiftungen, die sich insbesondere der Aufarbeitung des Zweiten Weltkriegs zur Aufgabe gemacht haben. Doch die algerisch-französische Vergangenheit ist komplizierter. Erst Ende der 1990er-Jahre rang sich das französische Parlament dazu durch, überhaupt den Begriff "Algerienkrieg" zu akzeptieren, bis dahin lautete die offizielle französische Sprachregelung "Aufrechterhaltung der Ordnung". Und beim Filmfestival von Cannes gab es dieses Jahr heftige Proteste von französischen Politikern und Kriegsveteranen: Gegen den Film "Hors la loi" von Rachid Bouchareb - ein Film über ein Massaker im algerischen Sétif, als französische Soldaten hunderte algerischer Demonstranten töteten. Knapp 50 Jahre nach der Unabhängigkeit Algeriens ist die "algerische Vergangenheit" Frankreichs eine Vergangenheit, die nicht vergeht.