Zweifellos ein Geniestreich! Von Ödön von Horvath, der bereits 1933 die Brücke als d i e Chiffre für Flucht, Migration und Exil entdeckte und eindrucksvoll in Szene setzte. Gleichfalls genial, die zeitgeistsensible Punktlandung der Intendanz, dieses Stück jetzt auf die Bühne zu bringen. Doch auch eine ziemliche Verwegenheit, die stark gestraffte Fassung unter der Flagge Horvath segeln zu lassen, da die hochgelobte junge Regisseurin Katrin Plötner einem offenbar unhinterfragbaren Bedürfnis folgend Horvaths Text mit einer enervierenden Flut von hochtönenden Monologen auf die Sprünge helfen zu müssen glaubte.
Enervierende Flut von hochtönenden Monologen
Schade. Denn die witzig pointierte, Slapstick-artig rasante, quirlige und zugleich sehr ernsthafte Farce um den pleitegegangen Drogeriebesitzer Havlicek und sein tragikomisches Stranden auf ein paar Holzstegen hat wirklich keine Supplemente aus zweiter Hand nötig, seien sie von Jean Paul oder Elfriede Jelinek. Schon gar nicht solche, die kosmisch delirierend wie Büchners Woyzeck-Figur reloaded klingen, was den sonst so brillanten Vincent Glander zu tonlosem Haspeln und atemlosen Keuchen nötigt.
"Aber als wir unaufhörlich immer Nächte abwechselten mit Sternenhimmeln und wir immer länger eine Finsternis hinaufflogen, eh' ein altes Sternengewölbe unter uns ein Fünkchen wurde und erlosch – als wir einmal aus der Nacht plötzlich vor einen Nordschein zusammenlodernder, um Erden kämpfender Sonnen traten, und um uns her auf allen Erden Jüngste Tage brannten."
Horvaths frühe Posse ist eben kein existenzialistisch-kosmisches Welt(all)drama, sondern eine knochentrockene realistische Studie über genau den Fall, der sich an unseren Grenzen zur Zeit vermutlich tausendfach ereignet. Ein Land schmeißt dich raus, Grenzzaun hinter dir zu – ein anderes nimmt dich nicht auf, Grenzzaun vor dir zu. Die Brücke dazwischen wird zur Falle. Zum Überlebensraum. Zur Endstation. Aber diese Brücke zwischen zwei fiktiven Staaten ist beileibe kein Niemandsland.
Der kleine Grenzverkehr hat es in sich: Amouren, Geschäfte, Wirtschaft und Schmuggelei verbinden die beiden Seiten aufs Lebhafteste. Trotz der ideologischen Gräben. Ein munteres Biotop aus Macht, Bestechung, Interessen und Begierden hält dieses Niemandsland, den Lebensraum "Grenze" hinter den starren Gesichtern und Phrasen seiner offiziellen Wärter am Köcheln. Der Einzige, der nicht in dieses System passt und auch hier unzugehörig bleibt, ist der Exilant.
Der kleine Grenzverkehr hat es in sich
Katrin Plötner zeigt in gelegentlich schönen und manchmal auch behutsam vergnüglichen Momenten das Potenzial dieses Stückes: Hin und Her geschubst, beidseitig abgewiesen und dann auch wieder, als Kurier privater Botschaften, benutzt, ist Havlicek in ständiger Anspannung, giert nach einer Minimalchance, irgendwo, auf welcher Seite der Brücke auch immer, unterzukommen: Schwach lächelnd biedert er sich bei den Grenzern an, versucht fast verlegen, die Tochter des – in Frankfurt weiblichen – "Grenzorgans" als Fürsprecherin zu gewinnen, macht einen kecken Schritt nach vorn und gleich wieder zwei zurück. Verflucht sich selbst für diese Erniedrigung, schreit seinen Frust raus, gibt auf, macht weiter.
Aber um zu begreifen, warum einer, anfangs noch relativ unversehrt und hoffnungsfroh, durch das Prinzip Grenze sukzessive in den Wahnsinn getrieben wird, wäre es nötig, den kleinen Mechanismen der Unterdrückung, den subtilen Foltern der Bürokratie, der Unberührbarkeit Nicht-Betroffener, den unsichtbaren menschlichen Niederungen im Detail nachzuspüren. So genau, dass einem beim Zuschauen das Lachen im Halse stecken bleibt.
Der Mensch outriert überspielt
Einer Theatersprache, die sich dazu entschließt, statt dessen auf schrill verkleidete Karikaturen von Grenzern und ihrer Entourage zu setzen, die Gefühle der einhämmernden Musik zu überlassen und endlos überdehnte schlurfende Statik statt langsamer Erosion und Zersetzung zu zeigen, kann dies nicht gelingen. So hübsch einzelne Ideen sind - wenn zum Beispiel die beiden Regierungschefs wie siamesische Zwillinge in einer gigantischen Hose stecken und dauer-lächeln, während ihre Verlautbarungen aus quäkenden Megafonen vom Band kommen - Die Aufführung findet die Brücke zum Zuschauer nicht. Was nützt ein noch so engagierter Annäherungsversuch, ein drängendes Gegenwartsproblem zu erfassen, wenn der Faktor Mensch dabei nicht aktiviert, sondern outriert überspielt wird.