"Wir sind keine politische Band. Wir sind auch keine Idealisten im Sinne von Punk. Wir haben einfach nicht genug nachgedacht, als wir uns für diesen Namen entschieden. Plötzlich brach im Netz ein Shitstorm los. Und dann tauchten die ersten Demonstranten bei unseren Shows auf", sagt Matt Flegel. Flegel, Sänger und Songschreiber einer der populärsten Post-Punk-Bands aus Kanada, erinnert sich an eine Zeit, als sich seine Formation noch Viet Cong nannte. Warum sich die vier aus Calgary ausgerechnet für diesen Namen entschieden, weiß Flegel heute nicht mehr so genau, aber provokante Namen sind im Pop nichts Außergewöhnliches. Man denke nur an die Dead Kennedys oder die Sex Pistols. Doch dieser Fall war anders. Der Viet Cong, eine Guerillaorganisation, beging im Vietnamkrieg zahlreiche Kriegsverbrechen - auch an Zivilisten.
"Wir sahen ein, warum sie sich von dem Bandnamen provoziert fühlten"
"Die Demonstranten bei den Shows waren vietnamesische Flüchtlinge und ihre Nachkommen. Sie erzählten uns ihre Geschichten und wir sahen ein, warum sie sich von dem Bandnamen provoziert fühlten", sagt Flegel. Die Band hatte ein Einsehen und änderte den Namen in Preoccupations - was man frei mit "in ein Thema vertiefen" übersetzen kann. Mit der Änderung des Bandnamens erfolgte eine Schärfung des musikalischen Profils. Die Post-Punk-Bezüge treten auf dem neuen Album, das genauso wie die Band heißt, offen zu Tage. Lange, stimmungsvolle Synthesizer-Flächen wechseln mit Momenten intensiver Sound-Verdichtung.
"Ich habe nichts gegen die Bezeichnung einzuwenden. Post-Punk ist ein vager Begriff. Er signalisiert stilistische Offenheit und das passt sehr gut zu uns. Historisch markiert er eine Phase, als die Punks lernten, Musik zu spielen. Sie ließen die ewig gleichen Drei-Akkord-Nummern hinter sich und wandten sich experimentelleren Formen zu", sagt Flegel. Während andere Wiedergänger des Post-Punk der späten 70er- und frühen 80er-Jahre, wie etwa Franz Ferdinand oder Bloc Party, den Retro-Sound in knackige Popsongs umdeuten, geben Preoccupations wenig auf konventionelle Songstrukturen. Intros können eine kleine Ewigkeit dauern. Ein Stück des neuen Albums macht's nicht unter elf Minuten. Ein anderer Song hat noch gar nicht richtig angefangen, da ist er auch schon wieder vorbei.
Keine Charts-Stürmer
Und doch stecken in der Musik der Preoccupations so viele Gesangsharmonien und eingängige Melodien, dass auch Popfreunde einen Zugang zum Album finden können. Warum die vier Kanadier trotzdem keine Chartsstürmer sind, hat auch mit der beklemmenden Grundstimmung ihrer Songs zu tun, mit der Angst, die sich nicht in süßlicher Melancholie auflöst, sondern immer wieder zwischen Zorn und Resignation wechselt. "Anxiety" heißt die erste Single aus dem neuen Album.
"Was in mir Angstzustände auslöst? Interviews zum Beispiel! (Alle lachen).Ich habe den Text dieses Songs im Auto geschrieben. Ich hatte meine Freundin zum Flughafen gebracht und dann war ich down und habe diesen Text in mein Smartphone gesungen. Es geht um all die Dinge, die mich fertig machen im Leben", sagt Matt Flegel. In dem Song geht es um existenzielle Ängste, um Kontrollverlust und die Frage nach dem Sinn des Daseins, ein Dauerthema in Matt Flegels Texten. "Ich wurde doch nicht geboren, nur um zu atmen", lautet eine Zeile in "Anxiety".
"Es ist ein sehr persönliches Album. Wir alle erlebten vor und während der Aufnahmen eine starke Phase der Verunsicherung - nicht zuletzt wegen der Sache mit dem Bandnamen. Die Platte reflektiert das. Ich tanze mit den Dämonen in meinem Kopf", sagt Flegel. "Preoccupations", das Album, ist wie ein Sprung ins eiskalte Wasser des Existenzialismus. Eine Erkältung fängt man sich trotzdem nicht ein, dafür stecken viel zu viel Leidenschaft und Spielfreude in dieser schweren, aber großen Platte.
"Preoccupations" von den Preoccupations ist am 16.09.2016 erschienen.
Tour-Termine in Deutschland: 15.11. in Hamburg, 16.11. in Berlin, 28.11. in Köln.