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Posthumes Chuck-Berry-Album
Marketingmasche oder würdiges Vermächtnis?

Es wirkt wie abgeschmacktes Marketing, aber es waren unglückliche Umstände: Der im März verstorbene Rock-'n'-Roll-Urvater Chuck Berry hatte ein letztes Album geplant. Nun erscheint es posthum.

Von Bernd Lechler |
    Schelmisch bis ins hohe Alter - der inzwischen verstorbene Chuck Berry bei einem Konzert 2013
    Schelmisch bis ins hohe Alter - der inzwischen verstorbene Chuck Berry bei einem Konzert 2013 (AFP / PABLO PORCIUNCULA)
    Musikausschnitt: "Lady B. Goode"
    Schon klar, das ist exakt das Riff, das vor sechs Jahrzehnten Chuck Berrys berühmtesten Song "Johnny B. Goode" eingeleitet hat. Er packt es hier mehrmals aus, und nicht nur das. "Lady B. Goode" ist die Fortsetzung des Klassikers, auf die niemand gewartet hat. Aber nun: Tausende haben Chuck Berry kopiert, da wird er es wohl auch dürfen. Das neue Album umfasst zehn unveröffentlichte Songs, gesammelt seit den frühen Neunzigern bis 2014, als Berry zum letzten Mal auftrat; und es ist einem beim Auflegen schon etwas bang: So uninspiriert bis würdelos, wie er bei vielen seiner späten Konzerte durch seine Musik gestolpert ist. Aber die Sorge ist unnötig.
    Manchmal poetisch, nie kitschig
    Man höre nur "Big Boys", da beschwört Berry seine Kindheit herauf und wie er lernte, "zu feiern wie die großen Jungs", da geht es natürlich in guter Rock'n'Roll-Tradition um Sex, ohne dass das ausgesprochen würde. Oder unglaubhaft wäre, denn der knapp 90-Jährige klingt wie Anfang 40 und in Ausgehlaune.
    Und in "You Go To My Head" singt er: "Du steigst mir zu Kopf mit deinem Lächeln, das meine Temperatur erhöht wie ein Sommer mit tausend Julis". Auch ein hochbetagter Chuck Berry hat noch prägnante, im Alltag verankerte Storys parat, die manchmal poetisch sind, öfter schlitzohrig, nie kitschig.
    "Darlin’", ist ein Duett mit Tochter Ingrid Berry, da spricht er dann auch mal vom Älterwerden und dem Tod irgendwann. "Man hat schon gute Zeiten", singt er, "aber die dauern nie an", aber das ist auch schon der Gipfel der Melancholie. Chuck Berry hätte ein ganz anderes Album machen können: Wie Johnny Cash coolen Gegenwartspop covern oder sich einen Starproduzenten holen und prominente Duettpartner, es wären doch alle von Keith Richards bis Jack White notfalls zu Fuß nach St. Louis gepilgert.
    Tom Morello statt Keith Richards
    Stattdessen: kleinere Gastauftritte, Tom Morello von Rage Against The Machine, der texanische Bluesjungspund Gary Clark jr. Im Übrigen umgibt sich Berry lieber mit Familie: außer der Tochter gehört auch sein Sohn Charles zur Band, zweimal gastiert ein Enkel, und es zupft derselbe Bassist wie vor 38 Jahren.
    Natürlich steckt Nostalgie in diesem Album, es ist schon mehr 1958 als 2017, allerdings sind die Riffs nicht ganz so rasant wie damals, der Gesang nicht ganz so bissig, und keiner der Songs reicht an "Roll Over Beethoven" oder "Maybelline" heran. Das ist okay. Chuck Berrys setzt keinen aufwühlenden Schlusspunkt im Angesicht des Todes, wie David Bowie oder Leonard Cohen das getan haben. Er feiert den Rock'n'Roll, er erinnert an seine Leistung, dieser Ansatz ist stolz und bescheiden zugleich - und in den besten Momenten ein großer Spaß. Viel größer, als man hätte erwarten dürfen. Mick Jagger oder Jimmy Page, die ja gerade mal knusprige 73 sind, wird es Hoffnung machen.
    Chuck Berry: "Chuck", EP, erschienen am 9. Juni 2017