Der künstlerische Direktor der Filmfestspiele in Cannes, Thierry Frémaux, ist ein charmanter Gastgeber: Er weiß, wie man im Blitzlichtgewitter eine gute Figur macht, wie man Hollywoodstars begrüßt – mit leicht ausgebreiteten Armen und Küsschen rechts, Küsschen links – und wie man sich nichts anmerken lässt, wenn der eigene Favorit bei der Palmenvergabe leer ausgeht. Doch manchmal vergisst Frémaux seine gute Kinderstube.
Vor zwei Jahren etwa, da sprach er für den roten Teppich ein Selfie-Verbot aus. Man sehe nirgends so hässlich aus wie auf einem Selfie, polterte er. Dass es ihm dabei nicht um die Qualität der Bilder ging, sondern darum, dass die Filmstars lieber in die blitzenden Kameras der Fotografen lächeln sollten als in ihre mitgebrachten Handys – das war mehr als offensichtlich, und der Spott ließ nicht lange auf sich warten.
"I’m so pathetic: I took a selfie on the red carpet"
Die Geschichte war eigentlich schon vergessen. Doch nun wärmt die Festivalleitung sie selbst wieder auf wie eine Tasse abgestandenen Kaffee. Und mehr noch: Sie versucht, Frémaux‘ verbalen Ausrutscher nachträglich zum Kultspruch zu erklären, indem sie teppichrote Ansteckbuttons mit dem Aufdruck "I’m so pathetic: I took a selfie on the red carpet" hat fertigen lassen, was in etwa so viel heißt wie "Was bin ich doch für eine arme Wurst: Ich habe auf dem roten Teppich ein Selfie gemacht." Autsch! Peinlichkeit im 3D-Format.
Die anderen Anstecksprüche sind nicht unbedingt besser. Der auf meinem Button etwa spielt auf den Möchtegern-Skandal "Flatgate" an: "I fantasize about doing the red carpet in flip-flops!" steht darauf. Also: "Ich fantasiere davon, in Badelatschen über den roten Teppich zu gehen."
Der Hintergrund: 2015 hatte das Gerücht die Runde gemacht, Frauen müssten auf dem roten Teppich Highheels tragen. Frémaux dementierte und schob die Schuld an der Falschmeldung einem Mitarbeiter der Security in die Schuhe: Der habe da wohl was missverstanden.
Auch nicht wirklich palmenwürdig – weder das Ablenkmanöver von damals noch der Button zum diesjährigen 70. Festivalgeburtstag. Vielleicht sollten die Cannes-Macher lieber die Finger von der Legendenbildung lassen und darauf vertrauen, dass wahrer Kult von selbst entsteht?