"Où est-elle?" Meine Französischkenntnisse sind wahrlich nicht berauschend. Aber dieser Satz schwirrt sofort durch meinen Kopf, als ich das umfangreiche Festivalprogramm durchblättere, ohne ELLE zu finden. "Pas là?" Kann es sein? Ein Cannes-Jahr ohne die Königin des französischen Kinos? Ohne Isabelle Huppert? "Sans blague!"
Wahrscheinlich muss man sich um sie keine Sorgen machen. Erst im Februar bei der Berlinale ist sie uns auf der Leinwand erschienen: als Edelprostituierte Eva in Benoît Jacquots gleichnamigen Film. Kein wirklich guter Film, aber eine Huppert wie sie im Buche steht. Kerzengrade, eiskalt und unerbittlich. Ist die Lage auch noch so katastrophal – sie streicht sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht, und vergessen ist die Sache. Der Postkartenspruch, der mittlerweile jeden zweiten Büroschreibtisch zu zieren scheint, muss sie zum Vorbild gehabt haben: "Hinfallen. Aufstehen. Krone richten. Weitergehen."
Die berühmte Augenbraue
Deshalb wird sie eine Wettbewerbspause mit Sicherheit nicht persönlich nehmen. Nicht viel mehr als ein Augenbrauenzucken wird es ihr wert sein. Ein mitleidiger Blick, ein gequältes Lächeln und die berühmte Augenbraue. "Ce n’est pas grave." Nicht der Rede wert.
Dann wollen also auch wir kein Gewese drum machen. Schließlich ist so ein Huppert-freies Cannes-Jahr auch in der Vergangenheit schon mal vorgekommen. Nicht so oft wie ein Schaltjahr, aber immerhin. Und? Cannes hat es offenbar überlebt.
In den Wettbewerb geschmuggelt
Das Branchenblatt "Variety" trägt auch zur Beruhigung bei: Isabelle Huppert stehe zur Zeit vor der Kamera, heißt es da, in einer Neuerzählung von Schneewittchen. Regie führe Anne Fontaine. Na also!
Als der Phantomschmerz aber gerade vollends abebbt, taucht Isabelle Huppert dann doch noch auf. Aus dem Nichts und auch nur für wenige Sekunden. Regisseur Christophe Honoré hat sie – quasi als blinde Passagierin – in den Wettbewerb geschmuggelt: auf einem Theaterplakat. Isabelle Huppert mit weißgeschminktem Gesicht und Pierrotkragen in Robert Wilsons Pariser "Orlando"-Inszenierung aus dem Jahr 1993. Geht doch! Was wäre das denn auch für ein Cannes-Jahrgang gewesen – ohne Isabelle Huppert? "Impensable!"