"Ein Tropfen Öl wirkt Wunder", pflegt mein Vater zu sagen. Dabei hantiert er nicht mit altmodischen Ölkännchen herum, sondern ist ein Freund des fettenden Sprühregens aus der Dose. Pfft, pfft – und es herrscht Ruhe. Ich bin also aufgewachsen in einer quietschfreien Umgebung. Sobald eine Kommodenschublade, eine Zimmertür oder ein Schreibtischstuhl von sich hören lieβen, kam die Dose zum Einsatz. Pfft, pfft.
Die Gäste sehnen sich ein Anti-Quietsch-Spray herbei
Diese akustische Sozialisierung hat mich keine gnädige Mitbewohnerin werden lassen. Meinen Nachbarn habe ich kürzlich eine solche Zauberdose vor die Tür gestellt. Die damit verbundene Aufforderung war wohl unmissverständlich: Bitte die unliebsame Musik abstellen, die ein jedes Türöffnen begleitet. Wochenlang war ich nämlich bestens informiert gewesen über das Kommen und Gehen meiner Nachbarn. Wohnungstür auf – quietsch! Wohnungstür zu – quietsch! Herrje!
Offensichtlich bin ich aber nicht allein mit dieser Empfindlichkeit. Denn hier in Cannes wird ein Anti-Quietsch-Spray von vielen herbeigesehnt, die sich ganz auf die Tonspur konzentrieren möchten. Im "Théâtre Claude Debussy", dem zweitgrößten Kinosaal auf dem Festivalgelände, gibt es nämlich eine Saaltür, die niemanden ungehört den Raum verlassen lässt. Wenn mich meine Ohren nicht täuschen, dann ist es die Tür in der Mitte links. Jeder, der frühzeitig oder auch nur vorübergehend raus muss, wird von den Scharnieren -wie soll man sagen? - verpfiffen.
Jaulen als Indikator für die Stimmung im Saal
Das fällt nicht weiter auf, wenn gerade Züge über die Leinwand rattern, Meereswellen tosen oder Kinder kreischen. Aber wenn kurdische Kämpferinnen durch einen Untergrundtunnel schleichen und dabei jedes Geräusch vermeiden, dann wird das Quietschen der Saaltür irgendwann vom lauten Stöhnen der Zuschauer begleitet. Diese Unmutsbekundungen sind nicht minder laut, verschaffen aber zumindest den genervten Sitzenbleibern ein bisschen Erleichterung.
Wenn man's genau nimmt, ist das Jaulen der Tür ein Indikator für die Stimmung im Saal. Sind alle gebannt vom aktuellen Kinogeschehen, bleiben sie brav sitzen auf ihren roten Polsterstühlen. Wird es langweilig oder gar ärgerlich, steigen Unruhe und Fluktuation. Vielleicht muss man's einfach so sehen. Und nicht warten auf ein Wunder.