Bei Lichte besehen habe ich eine schöne Handschrift. Gleichförmig, geschwungen und bisweilen ausladend. Ein Graphologe würde mir wohl ein gesundes Selbstbewusstsein attestieren, mit einer leichten Neigung, Raum für mich in Anspruch zu nehmen. Vielleicht gar keine schlechten Eigenschaften für eine Radiofrau.
Die meisten können meine Schrift entziffern. Nur ich selbst tu‘ mich von Zeit zu Zeit schwer damit. Besonders im Mai, wenn ich in Cannes bin. Da ergibt mein Gekritzel, das im dunklen Kinosaal entstanden ist, manchmal so überhaupt keinen Sinn. Wie ich’s auch drehe und wende: Ich weiß beim besten Willen nicht, was die Worte bedeuten sollen. Ich frage mich sogar, in welcher Sprache ich sie verfasst habe. Und wenn’s ganz wild zugeht auf der Leinwand, dann schreibe ich kreuz und quer, gerne nutze ich dieselbe Zeile mehrfach.
Chronistin des Filmgeschehens
Jetzt ist es raus: Ich bin eine Mitschreiberin, eine Chronistin der filmischen Handlung. Am Anfang war mir das hochnotpeinlich. Da habe ich Büchlein und Stift erst verstohlen aus der Tasche gezogen, wenn das Saallicht schon gedimmt war. Denn diejenigen, die ihrer Erinnerungsfähigkeit mit Notizen auf die Sprünge helfen müssen, sind unter den Filmkritikern in der Minderheit – und werden nicht selten belächelt. Das ist mir mittlerweile schnurzpiepegal. Ich lächle einfach zurück.
Und wenn ich noch ehrlicher sein darf…? In meine Filmprotokolle schaue ich nachher nur noch selten hinein. Warum auch!? Ich kann sie ja ohnehin kaum lesen. Der Weg ist auch hier mal wieder das Ziel: schreiben, um aufmerksam zu bleiben. So einfach ist das – bei Lichte besehen.