„Wir wollen ja konkurrenzfähig bleiben. Und wenn die Gesamtsumme der Mittel, die in den Spitzensport hineinfließen, begrenzt sind – und das sind sie halt nun mal – dann muss man sich klare Gedanken um die Zielstellung machen. Und dafür, glaube ich, ist PotAS ein ganz gutes Instrument", sagt Urs Granacher, Professor für Trainingswissenschaft an der Universität Freiburg und Vorsitzender der 2017 gegründeten Potenzialanalyse-Kommission.
Unter seiner Leitung ist ein hoch-komplexes Analyseverfahren entstanden, kurz PotAS, mit dessen Hilfe herausgefunden werden soll, in welchen Sportarten die Chancen auf olympisches Edelmetall am größten sind. Danach bemisst sich die Höhe der Fördergelder, die die Sportverbände vom Bund erhalten.
Granacher sagt: „Wir sagen keine Medaillengewinner voraus. Machen wir nicht. Wir sagen nur: die Disziplin versuchen wir voraus zu antizipieren, die möglicherweise Top-8, Top-3-Potenzial haben.“
Michelmann (Teamsport Deutschland): "Krasser geht es kaum"
„Das scheint doch großer Unsinn gewesen zu sein, sonst wäre doch Basketball nicht auf Platz 26 gelandet und die Leichtathletik auf Platz 1. Krasser geht es ja kaum“, hält Andreas Michelmann dagegen, Sprecher von Teamsport Deutschland.
Leichtathletik vorne, dabei gab's bei der WM keine einzige Medaille. Basketball hinten, dabei wurden die Jungs um Dennis Schröder Weltmeister: Wer soll das verstehen? Im Deutschlandfunk-Sportgespräch kritisiert Michelmann vor allem den bürokratischen Aufwand, den die Verbände leisten müssten, um den Anforderungen von PotAS zu genügen:
„Ich glaube nicht, dass beim Basketball wirklich jemand fragt: wie transparent ist denn das jetzt mit der Leistungsnorm? Wenn du erfolgreich bist, hast du alles richtig gemacht. Transparenz hin, Transparenz her.“
Männer stark, Frauen und beide 3x3-Teams nicht medaillenverdächtig
Der Vorsitzende der PotAS-Kommission Urs Granacher ärgert sich über derlei Kritik. Zum einen, sagt er, seien die Spitzenverbände wesentlich daran beteiligt gewesen, den Kriterienkatalog für PotAS zu entwickeln. Zum anderen würden die Tatsachen verkürzt dargestellt:
„Wenn man in den Verbandsbericht von 20/21 hineinschaut, dann haben die Basketball-Männer 100% Potenzial von uns zugesprochen bekommen. Also das maximale Potenzial. Mit anderen Worten: wir haben in ‘21 die Entwicklung der Männer wohlgemerkt hin zu EM-Dritter letztes Jahr und dann Weltmeistertitel dieses Jahr nicht so, aber zumindest mal im Sinne der Wahrscheinlichkeit angenommen, dass es möglich wäre. Wir haben es aber nicht angenommen für die drei anderen Disziplinen.“
Und zwar für die Frauen-Nationalmannschaft und die beiden 3x3-Teams der Männer und Frauen. Sie hätten so schwache Werte gehabt, dass der Deutsche Basketball Bund als Ganzes im PotAS-Ranking deshalb nach unten gerutscht ist.
Sportwissenschaftler Csapo: Schwierige Objektivität als Pferdefuß
„An der Treffsicherheit von der Vergabe von Fördermitteln im Sport wird man immer Kritik üben können“, sagt Robert Csapo, Professor für Trainingswissenschaft an der Universität Wien. In Österreich funktioniert das staatliche System der Sportförderung ähnlich wie in Deutschland. Und wie bei PotAS werden auch hier leistungs- und potenzialorientierte Bewertungsdimensionen herangezogen:
„Zugegebenermaßen: diese Kriterien sind natürlich nicht immer ganz leicht objektiv festzustellen, das ist ganz sicherlich auch ein Pferdefuß an dem gesamten System. In Österreich, muss man sagen, hat es relativ wenig Kritik an diesen Förderstrukturen gegeben, wenn auch wir bei den letzten Leichtathletik-Weltmeisterschaften leer ausgegangen sind. In Österreich ist halt die Erwartungshaltung deutlich geringer. Seit der Erstaustragung 1983 hat Österreich in Summe nur vier WM-Medaillen geholt und liegt damit im ewigen Medaillenspiegel hinter Burundi und Nordkorea.“
Staatliches Fördergeld oben rein, Medaillen unten raus: so einfach sei die Rechnung nicht, meint Sportwissenschaftler Csapo. Es kämen noch andere Faktoren zum Tragen: „Ich möchte zum Beispiel nur auf die Rolle des familiären Umfelds hinweisen: die Verbandsstrukturen können noch so gut sein, wenn eine Familie bei einem Kind oder Jugendlichen die leistungssportliche Ausbildung nicht mitträgt, und das bedeutet in den meisten Fällen sehr großes, auch finanzielles Commitment, dann wird daraus niemals ein Weltklasse-Athlet werden.“
Verbandsstruktur wird unwichtiger
Der Deutsche Olympische Sportbund will an PotAS festhalten – trotz aller Kritik. Richtig so, findet der Sprecher von Athleten Deutschland, Johannes Herber:
„Aus meiner Sicht sollte man es nicht einstampfen, denn man braucht ja eine Grundlage, auf der man diese Förderentscheidungen trifft. Und die Grundlage muss natürlich sein: wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass dieser Sport auch in Zukunft Erfolg hat oder zum Erfolg geführt werden kann? Und deswegen ist die Kritik, die man jetzt an PotAS hat, etwas zu platt.“
Gleichwohl wird das Potenzialanalysesystem jetzt überarbeitet. Zudem soll es in eine Sportagentur integriert werden, die im Zuge der Spitzensportreform Ende 2025 gegründet werden soll. Der bürokratische Aufwand für die einzelnen Verbände – der Hauptkritikpunkt an PotAS – werde sich erheblich reduzieren, prognostiziert Urs Granacher. Denn dann zählen nur noch die beiden Säulen ‚Erfolg‘ und ‚Kaderpotenzial‘. Die Säule ‚Struktur‘ spiele im zukünftigen PotAS-Ranking keine Rolle mehr, so der Vorsitzende der Kommission:
„Wenn sie professionelle Strukturen haben, haben sie nicht auch automatisch sportlichen Erfolg. Da gibt es keinen direkten Zusammenhang zwischen Struktur und sportlichem Erfolg. Und deswegen haben wir gesagt: es macht durchaus Sinn, diese Strukturen nicht komplett zu streichen, aber sie aus dieser PotAS-Rangliste herauszunehmen, damit das Ergebnisbild nochmal klarer wird. Das übergeordnete Interesse ist halt, das größtmögliche Potenzial zu identifizieren und dort zu investieren.“