Noch von Hand gesteuert quietscht und rattert Tram Nummer 400 aus der Wendeschleife des Betriebsgeländes. Dann schaltet Straßenbahnfahrer Manfred Kienitz auf autonomes Fahren. Nun muss die neue Technik allein bewerten, ob die beiden jungen Frauen an der Haltestelle zu nahe an den Schienen stehen, oder nicht. Schließlich soll autonomes Fahren die Sicherheit erhöhen.
Das System zögert kurz, verlangsamt, fährt dann wieder an und verzichtet auch auf ein warnendes Bimmeln. Manfred Kienitz, 68 Jahre alt, sitzt wie in der Fahrschule auf dem Beifahrersitz: Noch ist es nicht soweit, dass die Tram gänzlich ohne Fahrer auskommt.
Noch wird nur getestet
"Ich sitze da ganz entspannt daneben und weiß ja, wo ungefähr die kribbeligen Situationen während der Fahrt auftreten könnten und da bin ich auch wieder 100 Prozent fokussiert, um zu beobachten, was im Umfeld der Straßenbahn passiert oder nicht passiert, dass wir heil über die Strecke kommen."
Hinter dem Fahrer sitzt ein Siemens-Mitarbeiter mit Laptop und prüft, ob die Algorithmen greifen, ob die Antriebs- und Bremstechnik auf die Situationen an der Teststrecke richtig reagiert: Auf ein Auto, das aus einer Seitenstraße kommt, auf den älteren Herrn, der noch schnell über die Schienen läuft, auf die Frau mit den Kinderwagen an der Haltestelle. In der Mitte des Waggons steht Projektleiter Christian Klier von Siemens vor einem großen Bildschirm und erklärt die Technik, die dafür nötig ist.
"Wir haben verschiedene Sensorik installiert, ähnliche Sensorik, wie man das auch aus Automotive kennt, aber natürlich adaptiert an unsere Anwendungsfälle. Wir haben Kameras, wir haben Lidar-Systeme, wir haben Radarscanner installiert."
"Fürs System sind Menschen das Schwierigste"
Lidar ist die Abkürzung für "Light detection and ranging": Eine dem Radar verwandte Methode zur optischen Abstands- und Geschwindigkeitsmessung mit Laserstrahlen. Die Tram erfasst die Frau mit Kinderwagen mit ihren Kameras, die 250 Meter voraus schauen können, und hält an. Es ist eine Siemens-Mitarbeiterin, der Kinderwagen ist leer, die Technik hat die Prüfung bestanden.
"Für das System sind natürlich die Menschen schon das Schwierigste. Die lassen sich am wenigsten vorhersagen. Die machen, was sie wollen. Da gibt es sicherlich noch viele Situationen, die auch unser System heute noch nicht kennt, die noch beigebracht werden müssen."
Dafür beobachten die Tüftler, wie erfahrene Straßenbahnfahrer wie Manfred Kienitz das machen. Siemens beliefert auch den öffentlichen Nahverkehr und will den Anschluss ans autonome Fahren nicht verpassen. Der Konzern hat nach eigenen Angaben einen höheren einstelligen Millionenbetrag in das Forschungs-Projekt gesteckt, das regulären Fahrgästen nicht zur Verfügung steht. In dem einen Testjahr sei schon viel erreicht worden, sagt Fahrer Kienitz.
"Ich bin da sehr zufrieden. Einwandfrei alles ordentlich gelaufen oder gut gefahren."
(Noch) keine Sorge um Arbeitsplätze
Angst um die Arbeitsplätze der Tramfahrer hat Kienitz nicht. Es werde noch viel Wasser die Havel runter fließen, bis die Technik serienmäßig funktioniert und Straßenbahnen ganz autonom unterwegs sind, meint er. Die Verkehrsbetriebe Potsdam stellen den seinerzeit von Siemens hergestellten Testwaggon zur Verfügung, Platz in der Werkstatt und die Teststrecke.
"Es geht in erster Linie um die Sicherheit des ganzen Systems Straßenbahn."
Sagt der technische Geschäftsführer Oliver Glaser.
"Wir sehen zunehmend aus dem Pkw- und LKW-Bereich kommend Assistenzsysteme, die den Straßenverkehr sicherer machen. Da wir als Straßenbahn ja eben im Straßenraum mitfahren, ist es von großen Interesse: Wie können solche Assistenzsysteme auch auf die Straßenbahn übertragen werden, die eine viel komplexere Systematik mitbringt als der Pkw?"
Das gänzlich autonome Fahren stecke noch in den Kinderschuhen, sagt Glaser. Doch für die nächste Generation an Bahnen, die ab 2023 durch Potsdam fahren sollen, werde es schon einiges an neuer Technik geben.