Über den Alten Markt im historischen Zentrum Potsdams schallt das Geläut der Glocken der Nikolaikirche. Das Gotteshaus im klassizistischen Stil aus dem 19. Jahrhundert steht unter Denkmalschutz, seine Kuppel wirft einen Schatten bis auf den Eingang des Parlaments: Das moderne Funktionsgebäude des Landtags schmückt sich mit der historischen Außenfassade des Stadtschlosses. Gleich neben der rekonstruierten altrosa Pracht des Schlosses wirkt der gelb-graue Klotzbau der Fachhochschule aus DDR-Zeiten noch maroder. Der Abriss ist beschlossene Sache, Architektin Frauke Röth will ihn dennoch verhindern.
"Wir haben sehr viel Barock und auch sehr viel wiederaufgebaut und das ist auch okay. Ich finde es sehr schwierig, wenn dafür halt Nachkriegsmoderne abgerissen werden soll, Gebäude, die selbst historisch sind, weichen sollen und dann diese Vielfalt, die Potsdam eigentlich hat, verschwindet."
Vertraute Architektur der Ostmoderne
Hässlichkeit ist subjektiv und für Architekten kein Kriterium. Die 35-jährige Frauke Röth von der Initiative "Potsdamer Mitte neu denken" ist in Halle/Neustadt aufgewachsen. Mit Blick auf die Fachhochschule preist sie die Qualität der ihr von Kindheit an vertrauten Architektur der Ostmoderne.
"Zum Beispiel die Verknüpfung von Außenraum und Innenraum. Es gab eine sehr schöne Außenraumgestaltung. Es gibt diese Kolonnadengänge drum herum, die diese Landschaft in das Gebäude hinein führen und anders herum. Es gibt diesen Austausch, es gibt transparente Räume."
Zur historischen Wahrheit gehört auch, dass die DDR-Regierung hier den "Geist von Potsdam" mit dem Betonmischer bekämpfte und bemüht war, dem Hort von Preußentum und Militarismus ein einheitlich sozialistisches Gepräge entgegen zu setzen. Doch ein Vierteljahrhundert nach dem Ende der DDR steht das FH-Gebäude symbolisch für die Frage, die Potsdam sich stellen muss, meint der Architekt und Künstler Günter zur Nieden: Setzt sich die Stadt zukunftsgewandt mit dem Erbe des Sozialismus auseinander? Oder versucht sie es per Kahlschlag zu tilgen?
"Die Beschlüsse, die 1990 gefasst worden sind, waren Beschlüsse in einer Art von historischem Reflex gesellschaftspolitischer Art auf die davor liegende Geschichte. Dieser Reflex ist jetzt 25 Jahre später vielleicht nicht mehr der allein leitende."
Doch die Stadt Potsdam betont, dass die Beschlüsse von damals nach wie vor gelten: Die Wiederannäherung an den historischen Grundriss ist das Leitbild. Man wolle die Nachkriegsbauten aber nicht komplett abreißen.
So seien beispielsweise die Hochhauswohnviertel "Schlaatz" und "Am Stern" erhalten und saniert worden: Am grünen Stadtrand gelegene, reine Plattenbausiedlungen mit bis zu 14 Geschossen. Die Bebauung ist aber locker, die Fassaden hell gestrichen, die Wohnungen haben Balkon und bieten in den oberen Etagen einen tollen Ausblick.
Potsdam wächst in der Bewohnerzahl
Die Hochhäuser braucht es auch: Denn bezahlbarer Wohnraum ist im schön und nahe an Berlin gelegenen Potsdam Mangelware geworden. Anders als im Rest Brandenburgs wächst hier die Einwohnerzahl. Zur Nieden fordert denn auch Pragmatismus statt pauschaler Ablehnung der Ostmoderne:
"Wir müssen jetzt nicht, weil die einen es Barock restaurieren wollen, unbedingt partout jede Art von DDR-Tradition restaurieren. Das wäre für meine Begriffe beides ein rückwärtsgewandtes Ansinnen. Sondern was ist denn eigentlich das Ziel der heutigen Städte?"
Nachhaltigkeit zum Beispiel und intelligentes Energiesparen. Die "es Barock restaurieren wollen", das sind unter anderen die Mitglieder der Bürgerinitiative "Mitteschön". Sie wollen zum Beispiel auch die Garnisonkirche wieder aufgebaut sehen.
Während Städte wie Cottbus und Eisenhüttenstadt mittlerweile gelassen auf ihre sanierten Plattenbauten blicken, weil sie ihrer Vergangenheit als sozialistische Arbeiterstädte selbstbewusst begegnen, wird im einstmals preußischen Potsdam die Debatte sehr emotional geführt. Die Gräben klaffen so tief, weil der Zank um die Gebäude ein Stellvertreterstreit ist: Es geht immer auch um die politische Ausrichtung der Kontrahenten.
Streit auch ums Interhotel "Mercure"
So wird auch um das ehemalige Interhotel "Mercure" gerungen, dessen Turm von 1969 trotzig das rekonstruierte Stadtschloss auf der anderen Straßenseite überragt. 17 Etagen hoch ist die einstmalige "sozialistische Stadtkrone", ein Hohn für alle, die von einem historischen Stadtbild aus dem 18. Jahrhundert träumen. Auch die Stadtverwaltung würde es lieber heute als morgen abreißen. Doch der Kunsthistoriker André Tomczak von "Potsdamer Mitte neu denken" hat einen ganz anderen Blick auf den Turm, der einer US-Investmentgruppe gehört:
"Hotel Mercure ist für uns, für mich, ein klassisches Beispiel dafür, dass es auch eine neue Lesart von Stadtentwicklung braucht. Der Architekt vom Landtag selbst, Kulka, sagt auch: Eine Stadt lebt von Kontrasten. Eine Stadt muss ein bisschen was aushalten können. Und Potsdam ist der Ort, an dem Preußen am lebendigsten geblieben ist. Die ganze Stadtlandschaft, die Kulturlandschaften mit den Schlössern, mit den Gärten, mit den vielen barocken Häusern in der barocken Stadterweiterung, das ist alles noch da. Und dem tut es keinen Abbruch, wenn zwischendurch auch die Geschichte der letzten 70 Jahre noch erkennbar ist. Im Gegenteil, das wertet sich gegenseitig auch auf."