Ende 2023 diskutierten Rechtsextreme bei einem Treffen nahe Potsdam Pläne zur sogenannten „Remigration“. Es ging, wie Recherchen des Mediennetzwerks Correctiv später offenlegten, um die Zwangsausweisung von Millionen Menschen mit Migrationshintergrund. Mit dabei waren mehrere AfD-Politiker und einzelne Mitglieder der Werteunion aus dem Umfeld der CDU.
Nun sorgt ein neuer Correctiv-Bericht für Schlagzeilen: Wieder sollen sich AfD-Abgeordnete mit Rechtsextremisten getroffen haben, dieses Mal in der Schweiz. Wieder soll es um "Remigration" gegangen sein. Die Enthüllungen erinnern an das Treffen in Potsdam, dessen Bekanntwerden Anfang des Jahres für eine bislang einmalige Welle zivilgesellschaftlichen Protests gegen Rechtsextremismus gesorgt hatte. Doch was ist von der anfänglichen Empörung ein Jahr danach übrig?
Worum ging es bei dem Potsdamer Treffen?
Vor einem Jahr, Anfang Januar 2024, veröffentlichte das gemeinnützige Medienhaus Correctiv seine Recherche über eine als "Potsdamer Geheimtreffen" bekannt gewordene Konferenz von Rechtsextremen mit rechten Politikern im Landhaus Adlon am brandenburgischen Lehnitzsee.
Dem Bericht zufolge hatten sich am 25. November 2023 mehrere AfD-Politiker, einzelne Mitglieder der CDU und der Werteunion sowie zahlungskräftige Unternehmer mit dem früheren Kopf der rechtsextremen Identitären Bewegung, Martin Sellner, getroffen und über Pläne zur "Remigration" diskutiert. Dabei handelt es sich laut Correctiv um ein Vorhaben, Asylbewerber, Ausländer mit Bleiberecht und „nicht assimilierte Staatsbürger“ aus Deutschland zu vertreiben.
"Remigration": Ein rechter Kampfbegriff
Ursprünglich bedeutet der Begriff „Remigration“ die freiwillige Rückkehr von Menschen in ihr Geburtsland, das sie zuvor aus Gründen der politischen, ethnischen oder rassistischen Verfolgung verlassen mussten. Wenn Rechtsextremisten den Ausdruck verwenden, meinen sie damit allerdings in der Regel, eine große Zahl von Menschen ausländischer Herkunft außer Landes zu schaffen - auch unter Zwang.
Laut Historiker Florian Wagner von der Universität Erfurt wird der Begriff schon lange von Rechten genutzt. Hinter dieser "Sprachmanipulation" verberge sich ein rassistisch geprägtes Projekt der Abschiebung unerwünschter Menschen. Anfang dieses Jahres wurde "Remigration" zum „Unwort des Jahres“ 2023 erklärt. Die Jury bezeichnete das Wort als einen „rechten Kampfbegriff“ und als eine „beschönigende Tarnvokabel“, die die tatsächlichen Absichten von Rechtsextremisten verschleiere, Menschen unter unwürdigen Bedingungen aus Deutschland zu deportieren.
Welche Reaktionen gab es auf die "Remigrations"-Pläne?
Die Correctiv-Enthüllungen um die "Remigrations"-Pläne lösten zu Beginn des Jahres bundesweit eine Welle der Empörung aus. Es folgten die größten zivilgesellschaftlichen Demos der Nachkriegsgeschichte. In ganz Deutschland gingen Menschen auf die Straße, um ein Zeichen gegen Rechtsextremismus zu setzen - nicht nur in den Metropolen, sondern auch in zahlreichen Kleinstädten und Dörfern. Die Tageszeitung taz zählte im Zeitraum von Mitte Januar bis Ende April mehr als 1.800 Kundgebungen mit zusammen rund vier Millionen Demonstrantinnen und Demonstranten.
Ein Grund für die hohe Beteiligung waren laut Politikwissenschaftler und Protestforscher Wolfgang Kraushaar die bevorstehenden Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg und die guten Umfragewerte für die AfD. Es seien Befürchtungen aufgekommen, die Partei würde so erfolgreich, dass sie ihren „Masterplan Remigration“ durchsetzen könnte. Auch der Soziologe Dieter Rucht, Experte für soziale Bewegungen, sagt, angesichts steigender Zustimmungswerte für die AfD hätten der Correctiv-Bericht und die darin beschriebenen Deportationspläne viele im Land aufgeschreckt.
Als Reaktion auf die Enthüllungen formierte sich auch in der Wirtschaft Widerstand gegen rechtsextreme Tendenzen in Deutschland. Zahlreiche deutsche Unternehmenschefs, etwa vom Software-Konzern SAP, vom Chiphersteller Infineon, vom Stiftungskonzern Bosch oder Chemiekonzern Evonik nannten das Erstarken der AfD eine Bedrohung für die größte europäische Volkswirtschaft.
Reaktionen aus der Politik
Hohe Wellen schlugen die Recherchen zunächst auch in der Politik. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier rief dazu auf, sich Verfassungsfeinden entgegenzustellen. Ähnlich deutliche Worte fand Olaf Scholz (SPD). „Rechtsextremisten greifen unsere Demokratie an. Sie wollen unseren Zusammenhalt zerstören", sagte der Kanzler und Innenministerin Nancy Faeser (SPD) warnte im Parlament: Wer von Remigration fantasiere, knüpfe an die menschenverachtenden Rassengesetze der Nazis an. „Wir sehen aktive Bestrebungen, Grenzen zu verschieben und Demokratieverachtung und Menschenfeindlichkeit in die Mitte der Gesellschaft zu tragen“, so die Ministerin und versicherte: „Diese Demokratie weiß sich zu wehren.“
Die AfD ging indes zum Gegenangriff über und attackierte die Journalisten. Alice Weidel nannte das Treffen im ZDF-Interview eine völlig belanglose Veranstaltung, die nicht der Programmatik der Partei entspreche. In einer Presseerklärung sagte die Co-Parteichefin zudem: „Es ist ein Skandal, wenn solche Machenschaften für eine Kampagne instrumentalisiert werden, die das Ziel verfolgt, privaten Meinungsaustausch zu kriminalisieren und unter Gesinnungskontrolle zu stellen.“
Was ist seit den Massenprotesten passiert?
Mit welcher Wucht die Protestwelle nach den Correctiv-Enthüllungen das Land auch erreichte, so schnell ebbte sie wieder ab. Schon nach wenigen Monaten waren die Demonstrationen spürbar zurückgegangen. Trotzdem ist die Publizistin Eva Kienholz überzeugt, die Recherche zum Geheimtreffen habe "einiges in Gang gesetzt". Etwa weil sie die "tolerante und demokratische Gesellschaft" wachgerüttelt habe. "Klar ist jetzt auch alles wieder abgeflaut, aber ich glaube, das hat schon Spuren hinterlassen."
Die Empörung über die rechtsextremen Ausweisungspläne hielt auch deshalb nur kurz an, weil die Debatte schon bald überlagert wurde, sagt Rechtsextremismus-Forscher Hajo Funke. Nachdem Ende Mai ein Migrant mit afghanischer Herkunft in Mannheim einen Polizisten erstach und im August bei einem mutmaßlich islamistischen Anschlag auf dem Stadtfest in Solingen drei Menschen getötet und weitere verletzt wurden, drängte sich ein anderes Thema in den Vordergrund: Den Diskurs beherrschte nicht mehr der Rechtsextremismus, stattdessen standen Ausländerkriminalität, innere Sicherheit und Abschiebungen im Mittelpunkt.
Als Reaktion auf den Anschlag in Solingen brachte die Bundesregierung ein sogenanntes Sicherheitspaket auf den Weg. Im Parlament diskutierten die Abgeordneten über Verschärfungen im Asyl- und Aufenthaltsrecht, über ein strengeres Waffengesetz und Messerverbotszonen. Man müsse diejenigen, die kein Recht hätten, in Deutschland zu bleiben, „endlich in großem Stil“ abschieben, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz dem Nachrichtenmagazin Spiegel.
Die AfD und der Begriff "Remigration"
Während der öffentliche Protest über die Ausweisungspläne abflaute, sorgten Abgeordnete der AfD für weitere Skandale. So etwa ihr Spitzenkandidat für die Europawahl, Maximilian Krah, der zunächst wegen Spionage- und Korruptionsvorwürfen in die Schlagzeilen geraten war, später auch wegen Äußerungen zur nationalsozialistischen SS.
Gleichzeitig arbeitete die Partei konstant daran, den Begriff "Remigration" zu normalisieren. Mittlerweile wirbt sie sogar öffentlich damit. Beispielsweise beschloss sie Ende November bei ihrem Landesparteitag in Greding eine „bayerische Resolution für Remigration“. In dem Papier setzt sich der Landesverband sowohl dafür ein, straffällig gewordene Migranten abzuschieben, als auch Menschen mit „schwach ausgeprägter Integrationsfähigkeit“.
Im Dezember sollen sich zudem neuen Correctiv-Recherchen zufolge wieder AfD-Vertreter und Rechtsextremisten getroffen und über "Remigration" beraten haben. Laut Correctiv-Journalist Jean Peters waren bei dem Treffen auch Mitglieder der in Deutschland verbotenen Neonazi-Organisation Blood and Honour anwesend.
Wie steht es um ein AfD-Verbotsverfahren?
Die Recherche um das "Potsdamer Geheimtreffen" hat auch die Debatte um ein AfD-Verbot wiederbelebt. Ein Jahr nach der Versammlung legten mehr als 100 Abgeordnete verschiedener Fraktionen einen Antrag für ein Verbotsverfahren vor. Die Initiative wirft der AfD vor, sich gegen zentrale Grundprinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu wenden und nimmt auch Bezug auf die "Remigrations"-Pläne. Allerdings ist wegen der Neuwahlen im Februar 2025 offen, ob der Antrag noch in dieser Wahlperiode beraten wird.
Anfang Dezember legte zudem eine Gruppe von 43 Grünen-Abgeordneten einen eigenen Antrag zur Prüfung der Erfolgsaussichten eines Verbotsantrags gegen die AfD vor. Es bestünden erhebliche Anzeichen dafür, dass die Partei darauf ausgehe, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen, und damit die Voraussetzungen eines Verbots durch das Bundesverfassungsgericht erfülle, heißt es darin. Ein solches Gutachten abzuwarten würde dazu führen, dass sich die Entscheidung zwangsläufig in die kommende Legislaturperiode verschiebt.
Für und Wider
Ein AfD-Verbotsverfahren stößt in Deutschland auf ein geteiltes Echo. Einer, der sich vehement dafür ausspricht, ist der Publizist und Jurist Heribert Prantl. Alles andere sei unterlassene Hilfeleistung. "Wann, wenn nicht jetzt ist ein Antrag auf ein Parteiverbot fällig", betont Prantl mit Verweis auf die Correctiv-Recherchen und die Proteste Anfang des Jahres. Es gehe schließlich um den Schutz der Menschenwürde.
Allerdings gibt es auch Kritik an einem solchen Schritt. Gegnerinnen und Gegner verweisen darauf, dass ein Verbotsverfahren lange dauern würde und ein Erfolg nicht sicher sei. Manche befürchten zudem, dass ein Verbotsverfahren dem demokratischen System sogar schaden könnte. Gesine Schwan, Politikwissenschaftlerin und SPD-Politikerin, etwa ist überzeugt, eine Partei mit so vielen Anhängern zu verbieten, sei kontraproduktiv. „Ich glaube, dass es schon so viele Anhänger gibt, die das nur als einen Beweis ansähen, dass unsere repräsentative Demokratie nichts taugt.“
Demo zum Jahrestag
Ein Jahr nach dem Treffen in Potsdam sind in der brandenburgischen Landeshauptstadt wieder Menschen gegen Rechtsextremismus auf die Straße gegangen. Zu der Kundgebung hatten unter anderem das Klimabündnis Fridays For Future, "Omas gegen rechts" und die Nachwuchsorganisationen der Grünen, SPD und Linke aufgerufen. Nach Angaben der Veranstalter demonstrierten rund 700 Menschen.
Rechtsextreme Gruppierungen und Parteien seien weiter auf dem Vormarsch, erklärte Leonel Richy Andicene von den Jusos Brandenburg im Vorfeld der Protestveranstaltung. Es sei wichtiger denn je, ein Zeichen dagegenzusetzen.
irs