Bettina Klein: In den 80er- und 90er-Jahren forderte die Aids-Epidemie Tausende von Menschenleben überall auf der Welt. Vor allem in New York starben viele. Die Stadt war das Epizentrum der Krankheit und eine Reihe von Künstlern suchte deshalb dort nach einem Symbol für die Katastrophe, die von der Politik ignoriert wurde. Es war die Geburtsstunde der Roten Schleife. Sieben Künstler entwarfen das Symbol, das in nur wenigen Jahren die Welt erobern und das Bewusstsein vieler Menschen ändern würde.
Elisabeth Pott ist die Direktorin der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung hier in Deutschland, und ich habe sie gefragt, weshalb solche Symbole eigentlich immer noch so wichtig sind.
Elisabeth Pott: Die Rote Schleife, die ja als Solidaritätssymbol sich wirklich absolut durchgesetzt hat, signalisiert eben auf einen Blick, dass es hier darum geht, Menschen mit HIV und Aids nicht auszugrenzen, und ein Symbol ist immer auch eine emotionale Ansprache und wer sich diese Rote Schleife an das Revers heftet, der zeigt, ich bekenne mich zu meiner Einstellung, ich bekenne mich zu diesem Thema Solidarität, und das schafft Kommunikation, das schafft Aufmerksamkeit, und deshalb sind solche Symbole wichtig, weil sie unkompliziert auf einen Blick die Haltung erläutern.
Klein: Sie haben in diesem Jahr eine neue Werbekampagne gestartet, mit vier Botschaften, deren Aussagen man auch im Internet ansehen und anhören kann, und wir hören mal in ein solches Statement rein.
Sybejde: "Ich stand da, wusste überhaupt nicht mehr, was ich sagen sollte. Meine erste Reaktion war nur, das kann nicht sein."
Klein: Das war Sybejde, 43 Jahre alt, aus Nordrhein-Westfalen, die erzählt, wie sie reagiert hat, als sie von ihrer Erkrankung erfahren hat, und sie wirbt auch auf Plakaten mit der Frage, wie verbindet sich das, HIV positiv und Mutter sein. Wie sind Sie bei der Auswahl dieser Kampagne-Motive und, ich sage mal, der Problemfelder vorgegangen?
Pott: Ja, wir sind sehr vorsichtig vorgegangen – aus dem einfachen Grund, weil wir auf der einen Seite denken, es ist ganz wichtig, Menschen zu finden, die sich öffentlich mit ihrer Krankheit darstellen und die authentisch über ihre Probleme, ihre Situation berichten, um so ganz ehrlich auch Menschen anzusprechen und sie zu Solidarität zu motivieren, weil ich das viel überzeugender finde als jede Art von abstrakter Werbung für Solidarität, wenn man mit den ganz konkreten Menschen sich näher kommt, mit denen zu tun hat. Und das zweite ist, dass wir gesucht haben nach sehr unterschiedlichen Menschen, um die Breite des Spektrums der Menschen, die von HIV betroffen sind, zu zeigen und zu zeigen, dass es ganz unterschiedliche Menschen treffen kann in ganz unterschiedlichen Lebenssituationen. Und die Nähe zum tatsächlichen Leben, die Authentizität der Betroffenen und die Vielfalt der Schicksale, das, denken wir, ist für diese Kampagne das Wesentliche, um Menschen mit HIV und Aids noch mehr in die Mitte unserer Gesellschaft zu holen.
Klein: War es eigentlich schwierig, solche Personen zu gewinnen, die sich öffentlich dafür auch bereitgefunden haben?
Pott: Es war nicht so schwierig, aber wir haben auch ganz sorgfältig darauf geachtet, dass auch Menschen, die sich bereitgefunden haben, in die Öffentlichkeit zu gehen, dass wir mit denen wirklich auch ausführlich darüber gesprochen haben, ob sie für den Fall, dass es auch negative Resonanz gibt, damit auch wirklich umgehen können.
Klein: Gab es schon negative Rückmeldungen, die diese Leute erfahren mussten?
Pott: Also wir haben bis jetzt das Glück – und ich hoffe, das bleibt so -, dass alle berichten, dass es überall, wo sie damit sich dargestellt haben, positive Resonanz gab und dass es eine große, große Unterstützung gibt.
Klein: Die Plakate im Stadtbild zum Beispiel in Köln kann man ja gar nicht übersehen – mit sehr einfachen, aber durchaus eindringlichen Fragen, denen man sich, wenn man sie liest, eigentlich gar nicht entziehen kann. Eine habe ich genannt. Eine andere war "HIV positiv und Freund sein". Manch einer ertappt sich vielleicht bei der Frage, wie wäre das, wenn mein bester Freund, meine beste Freundin die Krankheit hätten, würde ich dann vielleicht doch den Kontakt beschränken – aus Angst, ich stecke mich an? Wie weit sind wir auf solchen Ebenen mit unserem Bewusstsein in Deutschland?
Pott: Wir sind im Grunde in den Befragungen da auf einem sehr hohen Bewusstseinsstand. Aber im Einzelfall, wenn es einen konkret trifft, dann macht das manchmal noch einen Unterschied zu dem, was man abstrakt weiß und wo man eigentlich auch, wenn man sich an das, was man weiß, erinnert, sagt, eigentlich Quatsch, wieso eigentlich, weil ich ein Freund von jemandem bin, der HIV positiv ist, bin ich doch überhaupt nicht gefährdet, ich weiß ja, was ansteckend ist und wie ich mich nicht anstecke. Und es ist auch so, dass durch die Tatsache, dass dieses Wissen in Deutschland sehr weit verbreitet ist, bei uns natürlich Diskriminierung und Ausgrenzung keinesfalls die Dimensionen hat, die es in vielen anderen Ländern noch hat, wo Menschen, die HIV positiv sind, gegebenenfalls sogar ins Gefängnis gesteckt werden. Aber trotzdem ist es bei uns so, dass es eben auch Menschen gibt, die ihre Freunde verlieren, die, wenn sie HIV positiv sind und Mutter werden, völlig ganz alleine gelassen werden und nicht wissen, wie sie damit umgehen sollen, oder die ihren Arbeitsplatz verlieren, und deshalb haben wir hier immer noch eine ganz wichtige Aufgabe zu erfüllen.
Klein: Heißt das, wir brauchen auch eine andere Rechtslage, oder ist da eigentlich die Basis dafür gegeben, dass diese Diskriminierung gar nicht mehr stattfinden dürfte?
Pott: Also wir haben schon eine recht gute Rechtslage, sowohl was das allgemeine Gleichbehandlungsgesetz zum Beispiel angeht, oder auch den Kündigungsschutz. Da gibt es schon Möglichkeiten. Aber wenn wir uns das realistisch in der Lebenswirklichkeit vorstellen – nehmen Sie mal an, Ihre Kollegen lehnen Sie ab, weil sie wissen, Sie sind infiziert, das hat sich irgendwie herumgesprochen, und Sie klagen jetzt, dass Sie Ihren Arbeitsplatz nicht verlieren. Wie fühlen Sie sich an diesem Arbeitsplatz? Das heißt, es ist zwar einiges rechtlich möglich, aber das Ausschöpfen rechtlicher Möglichkeiten löst nicht immer das Problem.
Klein: Schauen wir noch einen Augenblick auf die Situation allgemein in Deutschland. Es hat ja vor einigen Tagen Schlagzeilen gemacht, dass wir in Deutschland offensichtlich weniger Neuinfektionen haben als noch vor einigen Jahren. Ist das eine Art Entwarnung, die Sie hier geben würden?
Pott: Wir haben in Deutschland eine Situation, wo wir schon vorher in einer Situation im internationalen Vergleich waren, dass wir sagen können, wir gehören zu den Ländern mit den allerniedrigsten Infektionszahlen aufgrund unserer langjährigen umfassenden Präventionsstrategie. Und die intensiven Anstrengungen der Prävention über einen so langen Zeitraum zeigen uns eben, dass dieses kontinuierlich, langsam, aber kontinuierlich anwachsende Schutzverhalten sich wirklich breit in der Bevölkerung durchgesetzt hat. Wir machen dazu ja auch ständig und regelmäßig Untersuchungen, und die zeigen uns eben, dass heute das Schutzverhalten bei weit über 80 Prozent in der Bevölkerung, auch bei denen, die wechselnde Partner haben oder am Anfang einer neuen Bekanntschaft stehen, verbreitet ist.
Klein: Schauen wir auf die Staaten, die immer noch weiterhin einen enormen Zuwachs an Infektionen verzeichnen müssen. Wir sprechen da wiederum über Staaten beispielsweise in Osteuropa, über ehemalige Sowjetrepubliken wie die Ukraine, aber auch Ungarn. Was sind die Gründe dafür und weshalb ist es bis heute nicht möglich, die Krankheit dort in der Weise einzudämmen, wie das hierzulande zum Beispiel geschehen ist?
Pott: In Deutschland haben wir seit _87 die umfassende nationale Präventionsstrategie, die wir hier als Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung durchführen. Diese umfassende nationale langjährige Kampagne ist praktisch sonst beispiellos, das gibt es in keinem anderen Feld. Und die meisten anderen Länder haben solche Kampagnen und schon gar nicht so langjährig und so umfassend wie wir eben nicht. Das hängt damit zusammen, dass in vielen Ländern auch man glaubt, das Thema betreffe nur bestimmte Bevölkerungsgruppen und für die fühlt man sich unter Umständen in bestimmten Staaten nicht so verantwortlich.
Klein: Wer versagt in diesen Staaten? Ist es die Öffentlichkeit, sind es die Medien, oder ganz klar die Politiker, die eben versäumen, durch Gesetze eine andere Lage auch herzustellen?
Pott: Ja. Wir haben in Deutschland zu Beginn der Aufklärungskampagne auch das Problem gehabt, dass es sehr schwierig war, über Sexualität zu reden. Und da eben der Übertragungsweg vor allem der Geschlechtsverkehr ist, muss über Sexualität gesprochen werden, wenn man aufklären will. Aber da dieses Thema derartig hoch tabuisiert ist, mussten wir auch sehr, sehr vorsichtig und schrittweise vorgehen. Viele, viele andere Länder sind heute noch in der Situation, in der wir zu Beginn eben auch waren, dass die Politik sehr große Ängste hat, das Thema anzugehen und darüber zu sprechen und dafür kaum eine Sprache hat, und dass Vorurteile und Diskriminierung so verbreitet sind, dass es eben auch ganz schwierig ist, da rauszukommen. Aber ohne Prävention und Aufklärung wird man in diesen Ländern auch das Problem nicht zurückdrängen können. Und wenn man sich fragt, ist es wichtiger, Menschenleben zu retten, oder ist es wichtiger, an diesem Tabu festzuhalten, dann muss man meiner Meinung nach eben auch ganz klar die Konsequenz ziehen: Wir brauchen eine explizite Aufklärung, wir brauchen die Zusammenarbeit mit den Betroffenen auch in allen anderen Ländern, nicht nur in Deutschland.
Klein: Ein Gespräch mit Elisabeth Pott, sie ist die Direktorin der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung hier in Deutschland. Ein Interview am diesjährigen Welt-Aids-Tag.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Elisabeth Pott ist die Direktorin der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung hier in Deutschland, und ich habe sie gefragt, weshalb solche Symbole eigentlich immer noch so wichtig sind.
Elisabeth Pott: Die Rote Schleife, die ja als Solidaritätssymbol sich wirklich absolut durchgesetzt hat, signalisiert eben auf einen Blick, dass es hier darum geht, Menschen mit HIV und Aids nicht auszugrenzen, und ein Symbol ist immer auch eine emotionale Ansprache und wer sich diese Rote Schleife an das Revers heftet, der zeigt, ich bekenne mich zu meiner Einstellung, ich bekenne mich zu diesem Thema Solidarität, und das schafft Kommunikation, das schafft Aufmerksamkeit, und deshalb sind solche Symbole wichtig, weil sie unkompliziert auf einen Blick die Haltung erläutern.
Klein: Sie haben in diesem Jahr eine neue Werbekampagne gestartet, mit vier Botschaften, deren Aussagen man auch im Internet ansehen und anhören kann, und wir hören mal in ein solches Statement rein.
Sybejde: "Ich stand da, wusste überhaupt nicht mehr, was ich sagen sollte. Meine erste Reaktion war nur, das kann nicht sein."
Klein: Das war Sybejde, 43 Jahre alt, aus Nordrhein-Westfalen, die erzählt, wie sie reagiert hat, als sie von ihrer Erkrankung erfahren hat, und sie wirbt auch auf Plakaten mit der Frage, wie verbindet sich das, HIV positiv und Mutter sein. Wie sind Sie bei der Auswahl dieser Kampagne-Motive und, ich sage mal, der Problemfelder vorgegangen?
Pott: Ja, wir sind sehr vorsichtig vorgegangen – aus dem einfachen Grund, weil wir auf der einen Seite denken, es ist ganz wichtig, Menschen zu finden, die sich öffentlich mit ihrer Krankheit darstellen und die authentisch über ihre Probleme, ihre Situation berichten, um so ganz ehrlich auch Menschen anzusprechen und sie zu Solidarität zu motivieren, weil ich das viel überzeugender finde als jede Art von abstrakter Werbung für Solidarität, wenn man mit den ganz konkreten Menschen sich näher kommt, mit denen zu tun hat. Und das zweite ist, dass wir gesucht haben nach sehr unterschiedlichen Menschen, um die Breite des Spektrums der Menschen, die von HIV betroffen sind, zu zeigen und zu zeigen, dass es ganz unterschiedliche Menschen treffen kann in ganz unterschiedlichen Lebenssituationen. Und die Nähe zum tatsächlichen Leben, die Authentizität der Betroffenen und die Vielfalt der Schicksale, das, denken wir, ist für diese Kampagne das Wesentliche, um Menschen mit HIV und Aids noch mehr in die Mitte unserer Gesellschaft zu holen.
Klein: War es eigentlich schwierig, solche Personen zu gewinnen, die sich öffentlich dafür auch bereitgefunden haben?
Pott: Es war nicht so schwierig, aber wir haben auch ganz sorgfältig darauf geachtet, dass auch Menschen, die sich bereitgefunden haben, in die Öffentlichkeit zu gehen, dass wir mit denen wirklich auch ausführlich darüber gesprochen haben, ob sie für den Fall, dass es auch negative Resonanz gibt, damit auch wirklich umgehen können.
Klein: Gab es schon negative Rückmeldungen, die diese Leute erfahren mussten?
Pott: Also wir haben bis jetzt das Glück – und ich hoffe, das bleibt so -, dass alle berichten, dass es überall, wo sie damit sich dargestellt haben, positive Resonanz gab und dass es eine große, große Unterstützung gibt.
Klein: Die Plakate im Stadtbild zum Beispiel in Köln kann man ja gar nicht übersehen – mit sehr einfachen, aber durchaus eindringlichen Fragen, denen man sich, wenn man sie liest, eigentlich gar nicht entziehen kann. Eine habe ich genannt. Eine andere war "HIV positiv und Freund sein". Manch einer ertappt sich vielleicht bei der Frage, wie wäre das, wenn mein bester Freund, meine beste Freundin die Krankheit hätten, würde ich dann vielleicht doch den Kontakt beschränken – aus Angst, ich stecke mich an? Wie weit sind wir auf solchen Ebenen mit unserem Bewusstsein in Deutschland?
Pott: Wir sind im Grunde in den Befragungen da auf einem sehr hohen Bewusstseinsstand. Aber im Einzelfall, wenn es einen konkret trifft, dann macht das manchmal noch einen Unterschied zu dem, was man abstrakt weiß und wo man eigentlich auch, wenn man sich an das, was man weiß, erinnert, sagt, eigentlich Quatsch, wieso eigentlich, weil ich ein Freund von jemandem bin, der HIV positiv ist, bin ich doch überhaupt nicht gefährdet, ich weiß ja, was ansteckend ist und wie ich mich nicht anstecke. Und es ist auch so, dass durch die Tatsache, dass dieses Wissen in Deutschland sehr weit verbreitet ist, bei uns natürlich Diskriminierung und Ausgrenzung keinesfalls die Dimensionen hat, die es in vielen anderen Ländern noch hat, wo Menschen, die HIV positiv sind, gegebenenfalls sogar ins Gefängnis gesteckt werden. Aber trotzdem ist es bei uns so, dass es eben auch Menschen gibt, die ihre Freunde verlieren, die, wenn sie HIV positiv sind und Mutter werden, völlig ganz alleine gelassen werden und nicht wissen, wie sie damit umgehen sollen, oder die ihren Arbeitsplatz verlieren, und deshalb haben wir hier immer noch eine ganz wichtige Aufgabe zu erfüllen.
Klein: Heißt das, wir brauchen auch eine andere Rechtslage, oder ist da eigentlich die Basis dafür gegeben, dass diese Diskriminierung gar nicht mehr stattfinden dürfte?
Pott: Also wir haben schon eine recht gute Rechtslage, sowohl was das allgemeine Gleichbehandlungsgesetz zum Beispiel angeht, oder auch den Kündigungsschutz. Da gibt es schon Möglichkeiten. Aber wenn wir uns das realistisch in der Lebenswirklichkeit vorstellen – nehmen Sie mal an, Ihre Kollegen lehnen Sie ab, weil sie wissen, Sie sind infiziert, das hat sich irgendwie herumgesprochen, und Sie klagen jetzt, dass Sie Ihren Arbeitsplatz nicht verlieren. Wie fühlen Sie sich an diesem Arbeitsplatz? Das heißt, es ist zwar einiges rechtlich möglich, aber das Ausschöpfen rechtlicher Möglichkeiten löst nicht immer das Problem.
Klein: Schauen wir noch einen Augenblick auf die Situation allgemein in Deutschland. Es hat ja vor einigen Tagen Schlagzeilen gemacht, dass wir in Deutschland offensichtlich weniger Neuinfektionen haben als noch vor einigen Jahren. Ist das eine Art Entwarnung, die Sie hier geben würden?
Pott: Wir haben in Deutschland eine Situation, wo wir schon vorher in einer Situation im internationalen Vergleich waren, dass wir sagen können, wir gehören zu den Ländern mit den allerniedrigsten Infektionszahlen aufgrund unserer langjährigen umfassenden Präventionsstrategie. Und die intensiven Anstrengungen der Prävention über einen so langen Zeitraum zeigen uns eben, dass dieses kontinuierlich, langsam, aber kontinuierlich anwachsende Schutzverhalten sich wirklich breit in der Bevölkerung durchgesetzt hat. Wir machen dazu ja auch ständig und regelmäßig Untersuchungen, und die zeigen uns eben, dass heute das Schutzverhalten bei weit über 80 Prozent in der Bevölkerung, auch bei denen, die wechselnde Partner haben oder am Anfang einer neuen Bekanntschaft stehen, verbreitet ist.
Klein: Schauen wir auf die Staaten, die immer noch weiterhin einen enormen Zuwachs an Infektionen verzeichnen müssen. Wir sprechen da wiederum über Staaten beispielsweise in Osteuropa, über ehemalige Sowjetrepubliken wie die Ukraine, aber auch Ungarn. Was sind die Gründe dafür und weshalb ist es bis heute nicht möglich, die Krankheit dort in der Weise einzudämmen, wie das hierzulande zum Beispiel geschehen ist?
Pott: In Deutschland haben wir seit _87 die umfassende nationale Präventionsstrategie, die wir hier als Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung durchführen. Diese umfassende nationale langjährige Kampagne ist praktisch sonst beispiellos, das gibt es in keinem anderen Feld. Und die meisten anderen Länder haben solche Kampagnen und schon gar nicht so langjährig und so umfassend wie wir eben nicht. Das hängt damit zusammen, dass in vielen Ländern auch man glaubt, das Thema betreffe nur bestimmte Bevölkerungsgruppen und für die fühlt man sich unter Umständen in bestimmten Staaten nicht so verantwortlich.
Klein: Wer versagt in diesen Staaten? Ist es die Öffentlichkeit, sind es die Medien, oder ganz klar die Politiker, die eben versäumen, durch Gesetze eine andere Lage auch herzustellen?
Pott: Ja. Wir haben in Deutschland zu Beginn der Aufklärungskampagne auch das Problem gehabt, dass es sehr schwierig war, über Sexualität zu reden. Und da eben der Übertragungsweg vor allem der Geschlechtsverkehr ist, muss über Sexualität gesprochen werden, wenn man aufklären will. Aber da dieses Thema derartig hoch tabuisiert ist, mussten wir auch sehr, sehr vorsichtig und schrittweise vorgehen. Viele, viele andere Länder sind heute noch in der Situation, in der wir zu Beginn eben auch waren, dass die Politik sehr große Ängste hat, das Thema anzugehen und darüber zu sprechen und dafür kaum eine Sprache hat, und dass Vorurteile und Diskriminierung so verbreitet sind, dass es eben auch ganz schwierig ist, da rauszukommen. Aber ohne Prävention und Aufklärung wird man in diesen Ländern auch das Problem nicht zurückdrängen können. Und wenn man sich fragt, ist es wichtiger, Menschenleben zu retten, oder ist es wichtiger, an diesem Tabu festzuhalten, dann muss man meiner Meinung nach eben auch ganz klar die Konsequenz ziehen: Wir brauchen eine explizite Aufklärung, wir brauchen die Zusammenarbeit mit den Betroffenen auch in allen anderen Ländern, nicht nur in Deutschland.
Klein: Ein Gespräch mit Elisabeth Pott, sie ist die Direktorin der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung hier in Deutschland. Ein Interview am diesjährigen Welt-Aids-Tag.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.